Constanze Kleis über zu oft kopierte Erfolgscover

Alle mal hergucken!

12. Juni 2018
von Börsenblatt
Frauen, die aufs Wasser starren: Constanze Kleis über Covergestaltung als Erfolgskopie – und überstrapazierte Symbole weiblicher Gefühlstiefe.

Sie liegen derzeit überall an jenen Plätzen, die so begehrt sind, dass Engländer schon morgens um fünf dort Handtücher auslegen würden, um ihr Revier zu markieren. Wären die Buchläden da schon geöffnet. Sind sie aber nicht. So muss man bis neun oder zehn Uhr warten, um ein erstaunliches Phänomen zu besichtigen: Frauen, die aufs Wasser starren.

Allein bei Elena Ferrante wird von "Meine geniale Freundin" bis hin zu "Geschichte des verlorenen Kindes" (Suhrkamp) gleich vier Mal gestarrt – und zwar zuverlässig auch von der Bestseller­liste. Das ist nicht einfallslos. Das gilt als Erfolgsrezept. Deshalb sind frei nach der guten alten Amazon-Devise "Wenn Ihnen dieses Buch gefällt, gefällt Ihnen sicher auch ..." längst auch andere auf den Zug aufgesprungen, respektive auf den Meerblick: darunter Fischer mit "Die Lichter unter uns" von Verena Carl, Wunderlich mit "Kranichland" von Anja Baumheier und Luchterhand mit "Die Liebe in Gedanken" von Kristine Bilkau.

Man könnte auch sagen: Die iPhonisierung des Frauenroman-Covers schreitet munter voran. Denn wie beim jeweils neuen Modell des Apple-Verkaufsschlagers muss man auch hier einfach fest daran glauben, dass das, was von außen immer ziemlich gleich aussieht, innen dann doch ausreichend Gründe für die Anschaffungskosten liefert. Das gilt so oder so ähnlich auch für all die Frauen, die auf Berge, Landschaften, Schlösser starren.

Klar, wo vermeintlich schon mal der Nachweis erfolgreichen Starrens erbracht wurde, kann man auf einen gewissen Trainingseffekt bei den Greifreflexen vertrauen. Immerhin gehen nach Schätzungen bis zu 75 Prozent der Käuferinnen – denn es sind meist Frauen, die Bücher kaufen – nach dem Titel. Und der hat im Schnitt acht Sekunden Zeit, um Aufmerksamkeit zu wecken. Und das nicht nur mit einem Déjà-vu, sondern auch mit einer Botschaft, die quasi mit dem Megafon vorgetragen wird. Sie lautet: Achtung! Achtung! Alle mal her­gucken! Hier empfindet eine Frau – und zwar maximal. Quasi ozeanisch tief und endlos.

Ja, Frauen haben Gefühle. Möglich, dass das jemand noch nicht wusste. Sicher ist, dass das über einen Roman so wenig sagt wie das Wetter am Tag seines Erscheinens. Deshalb starren Frauen in diesem Fall nicht bloß aufs Wasser, sondern auch auf einen ziemlich flachen Teller, in dem das dünne Süppchen der Rollenklischees schwimmt. Hat die Frauenliteratur das nötig? Braucht sie Sätze wie den einer Rezensentin der "Süddeutschen", die Männern empfahl, Ferrantes Bücher trotzdem zu lesen? Müssen die Verlage dem immer noch mehr Futter geben?

Die amerikanische Bestsellerautorin Meg Wolitzer hat sich in den vergangenen Jahren einige Male über all die sekundären ­Geschlechtsmerkmale der Frauenroman-Cover geäußert. Über "Wäsche auf einer Leine. Ein kleines Mädchen auf einer Blumenwiese. Ein paar Schuhe am Strand" und auch über das Frauguckt­aufWasser-Motiv, das aus ihrer Sicht für eine "gewisse Art von verführerischer Verträumtheit" steht – und für "effektive Diskriminierung".

Die Cover, meint sie, stünden in direktem Zusammenhang damit, dass die überwiegende Mehrzahl der in den renommierten Zeitungen besprochenen Romane solche sind, die ganz ohne Bildchen auskommen und souverän mit Schriftlösungen arbeiten. Gut, man kann sich jetzt vorstellen, dass diese ätherischen Frauenfiguren, die man immer bloß von hinten sieht, übermütig, glamourös, unkonventionell und über und über tätowiert sind. Dass sie Statement-Shirts mit dem Slogan "Feminist" tragen und dem nächsten einfach eine knallen, der in einer Cover-Besprechung vorschlägt, man könne doch eine Frau aufs Wasser starren lassen, so als Symbol für all die weibliche Gefühlstiefe. Schließlich geht es hier um Frauenliteratur, und da ist längst wirklich alles möglich. Auch, dass die Bücher einfach hinreißend klug und total verschieden sind. Wäre nur schön, man würde das alles endlich auch mit entsprechenden Covern würdigen.