Die Buchmesse und die rechten Verlage

Testgelände für das freie Wort

16. Oktober 2017
von Börsenblatt
Meinungsfreiheit ist nicht verhandelbar, schon gar nicht auf eigenem Terrain. Deshalb übten sich Buchmesse und Börsenverein gegenüber den rechten Verlagen in Toleranz. Das Dilemma dabei: Den Namen Antaios kennt nach der Buchmesse jeder. Ein Hintergrundbericht.

„Wir sind der Verlag, der mit der kleinsten Standfläche die größte Aufmerksamkeit auf der Buchmesse erzielt hat“, sagt Götz Kubitschek, Verleger des neurechten Antaios Verlags. Der 1970 in Ravensburg geborene, ausgebildete Lehrer gilt heute als eine Schlüsselfigur der Neuen Rechten, deren Ursprünge in den 70er Jahren zu suchen sind - die aber auch an die Tradition der Konservativen Revolution der 20er Jahre anknüpft und sich unter anderem auf Ernst Jünger beruft.

Die Aufmerksamkeit der Medien war Kubitschek sicher – bei den Sachbeschädigungen von Büchern des Verlags, bei Beschimpfungen auf Podiumsdiskussionen und bei gewaltsamen Tumulten, zu denen es am Samstag am Rande einer Lesung kam. Auf der Bühne im Forum Wissenschaft und Bildung waren Caroline Sommerfeld, die sich der Identitären Bewegung zurechnet, und Martin Lichtmesz. Als beide ihr Buch „Mit Linken leben“ vorstellten, betrat überraschend der AfD-Politiker Björn Höcke das Podium.

Linke Aktivisten hielten Schilder hoch, auf denen zu lesen war: „Ihr seid Nazis. Punkt.“, AfD-Sympathisanten riefen: „Jeder hasst die Antifa“. Einen Dialog herzustellen, war unmöglich. Die Situation eskalierte, es kam zu Handgreiflichkeiten, die Polizei musste die Veranstaltung auflösen. Ein Fotograf, der für das Börsenblatt vor Ort war, wurde attackiert und verletzt. Zu einer physischen Attacke war es schon am Freitagnachmittag am Stand der Zeitung „Junge Freiheit“ gekommen, als ein kritischer Kommentar von Achim Bergmann, Verleger des Trikont Musikverlags, von einem Messebesucher mit einem Faustschlag quittiert wurde.

In einem gemeinsamen Statement zu den gewaltsamen Übergriffen von linken und rechten Gruppierungen erklärten die Frankfurter Buchmesse und der Börsenverein: „Wir verurteilen jede Form der Gewalt. Sie verhindert den Austausch von politischen Positionen. Wir werden sie als Mittel der Auseinandersetzung nicht zulassen.“ Die Frankfurter Buchmesse lebe von der Vielfalt der Meinungen und sei ein Ort des freien Dialogs. „Das ist die unveränderliche Haltung der Frankfurter Buchmesse und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.“

Doch wo die Grenzen der freien Meinungsäußerung zu ziehen sind, darüber entbrannte auf der Frankfurter Buchmesse immer wieder Streit: Dialog auch mit extremen Positionen, fordern die einen; “keine Meinungsfreiheit für Freiheitsfeinde“ fordern die andern – Faschismus sei keine „Meinung“, sondern ein Verbrechen. Und schließlich, auch das muss gesagt werden, gab es zweifelhafte Aufrufe zu Aktionen - etwa bei einer Openbooks-Lesung von Stefanie Sargnagel, die das Publikum aufforderte: „Lasst uns morgen den Antaios-Stand auseinandernehmen“.

Kreativer Umgang mit Antaios & Co.
Die Buchmesse hatte es also nicht nur mit der Frage zu tun, ob in der Türkei oder in Saudi-Arabien die Meinungsfreiheit beschnitten wird, sondern auch damit, wie man auf eigenem Terrain mit dem Thema umgeht, ohne selbst zur Karikatur zu werden. Die Messe als Testgelände des freien Wortes. Einen „kreativen Umgang“ mit rechten Positionen hatte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, vor der Messe angekündigt. Dazu gehörte etwa ein Demo-Spaziergang, bei dem die Börsenvereinsspitze schweigend den Stand von Antaios passierte und dabei Banner für Freiheit, für Vielfalt und gegen Rassismus hochhielt.

Auch das kurzfristig angesetzte Podium „Der rechte Umgang – Umgang mit Rechts“ im „Weltempfang“ am Messemittwoch sei ein Beitrag dazu gewesen, so Tobias Voss, Leiter Internationale Projekte der Frankfurter Buchmesse. Außerdem wurde die Amadeu-Antonio-Stiftung für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur sehr bewusst schräg gegenüber zum Antaios-Stand platziert - was Verleger Kubitschek zu der Bemerkung verleitete, die Messe habe in der Nachbarschaft „Horchposten“ eingerichtet.

Wer sind und was wollen die neuen Rechten?
„Nazis“ und „Faschisten“ lauteten die Protestrufe gegen die rechten Verlage und ihre Vertreter. Doch was ist die sogenannte Neue Rechte und was will sie eigentlich? Zunächst grenzt sie sich selbst, wie Götz Kubitschek es formuliert, „gegen die unseligen Traditionen des Nationalsozialismus“ ab. Man müsse die deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit sehen, so Kubitschek.

Weder ein radikaler, rassistischer Antisemitismus noch das Konzept „minderwertiger Rassen“ sind elementarer Bestandteil der neurechten Strömungen – was sie nicht ungefährlicher macht. Eher ist es die Ablehnung ethnischer und gesellschaftlicher Pluralität, sind es antidemokratisches Denken, Antiliberalismus und autoritäre Vorbilder, ist es die Furcht vor dem Verlust der nationalen Identität und dem Untergang des eigenen Volks, die neurechte Bewegungen teilen. Und es sind bestimmte „Narrative“, die rechte Autoren und Verlage verbreiten und die in den sozialen Netzwerken kursieren.

Eines davon ist die Vorstellung vom „großen Volksaustausch“ oder auch von der „Umvolkung“, die eine mehr oder weniger planmäßige Substitution der eigenen Bevölkerung durch Zuwanderung behauptet, an deren Ende angeblich die Vernichtung des Volks steht.

Der Antaios Verlag führt in seinem Programm einen Hauptvertreter dieser Theorie, den Vordenker des Front National, Renaud Camus - mit dem Buch „Revolte gegen den großen Austausch“. Das Buch ist Teil des geistigen Überbaus der Identitären Bewegung, deren Vertreter auch auf der Buchmesse unterwegs waren. Kubitschek selbst gibt im Gespräch zu erkennen, dass er die Grundannahmen Camus‘ teilt und die unkontrollierte Zuwanderung ablehnt.

In einer aktuellen Broschüre stellt die Amadeu-Antonio-Stiftung die „toxischen Narrative“ vor, die Rechtspopulisten, Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker unter anderem über soziale Netzwerke verbreiten, und analysiert deren Strategie („Toxische Narrative. Monitoring rechts-alternativer Akteure“).

Anschluss an die Mitte
Die Strategie von Antaios und der verbundenen Verlage (wie ManuscriptumTumult und Junge Freiheit) besteht darin, Brückenköpfe ins bürgerliche Lager zu bauen – mit anderen Verlagen und Organisationen bewusst das Gespräch zu suchen und ideologische Teilmengen herzustellen. Ein Beispiel: Am Stand von Antaios lag ein Blatt aus, auf dem Besucher dazu aufgefordert wurden, auch die Stände anderer Verlage zu besuchen, die konservative oder rechte Denker im Programm hätten: zum Beispiel Klostermann (Martin Heidegger), Duncker & Humblot (Carl Schmitt) und Klett-Cotta (Ernst Jünger). Dadurch kam es auch zu Begegnungen ganz anderer Art. Wie ein Mitarbeiter von Klett-Cotta sagte, seien Götz Kubitschek und Martin Lichtmesz an den Stand gekommen, um mit den Autoren des Klett-Cotta-Titels „Mit Rechten reden“ zu diskutieren: Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn.

Ein von Ellen Kositza (Kubitscheks Frau und Mitstreiterin) unterbreitetes Angebot an die Amadeu-Antonio-Stiftung, ein Gespräch auf „Augenhöhe“ zu führen, lehnte diese ab. Das hieße, so die Stiftung in einem Antwortschreiben, die eigenen demokratischen Überzeugungen zur Debatte zu stellen. Nein, man sei nicht bereit, die Meinungen der neuen Rechten diskutabel zu machen.

Ein weiterer Baustein von Kubitscheks „Anschluss“-Strategie ist der Umgang mit der Presse: Einerseits – an das eigene Lager gerichtet – als „Lückenpresse“ denunziert, ist sie andererseits das Medium, um Öffentlichkeit für die Person und ihre Botschaften herzustellen. Zahlreiche Presseteams kamen zum Antaios-Stand, und bereits da hatte sich herumgesprochen, dass die „New York Times“ den neurechten Verleger und Aktivisten, der auch als Stichwortgeber von AfD-Politikern gilt (insbesondere von Björn Höcke), ein großes Porträt gewidmet hatte. Wieder im Rahmen der von Kubitschek so geschätzten Home Story auf dem Gut Schnellroda im sachsen-anhaltinischen Steigra, wo er mit seiner Frau und seinen sieben Kindern lebt.

Er habe noch „drei bis vier Journalisten“ auf der Warteliste, sagte der Verleger bei der ersten Veranstaltung des Verlags im Forum Wissenschaft, bei der der „Skandal“ um das bei Antaios erschienene Buch „Finis Germania“ von Rolf-Peter Sieferle genüsslich ausgeschlachtet wurde – die Streichung des Titels von der „Spiegel“-Bestsellerliste im Sommer. Umwelthistoriker Sieferle, dessen Bücher auch bei Manuscriptum und in einer gemeinsam mit „Tumult“ herausgegebenen Schriftenreihe erscheinen und der 2016 gestorben ist, scheint gerade zu einer neuen Lichtgestalt der Nationalkonservativen heranzuwachsen.

Ob, im Rückblick betrachtet, der „kreative Umgang“ mit Rechts funktioniert hat, werden sich Buchmesse und Börsenverein nun fragen. Juergen Boos und Tobias Voss bekräftigten jedenfalls, ihre Haltung beizubehalten: Solange Verlage nicht gegen Recht und Verfassung verstoßen, stehen sie unter dem Schutz der Meinungsfreiheit und dürfen auch auf der Frankfurter Buchmesse ausstellen.
Ein Verbot oder ein Boykott, das haben die Erfahrungen mit rechtsextremen Ausstellern auf der Buchmesse in Göteborg gezeigt, bewirkt nur das Gegenteil: Man erhöht die Aufmerksamkeit für die Rechten oder überlässt ihnen das Feld.