Die Kinderbuch-Zielgruppe ansprechen

Alle Hebel bewegen

21. September 2017
von Börsenblatt
Frequenzrückgang, Schwellenangst, Preissensibilität: Gemeinsam könnten Verlage und Buchhandlungen Lösungen finden. Andrea Fölster plädiert für mehr Mut und Veränderungsbereitschaft.

"Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert": Der Satz von Albert Einstein passt auf die aktuelle Situa­tion im Kinder- und Jugendbuch, denn als Händler und Verlage stehen wir vor besonderen Herausforderungen. Wo erreiche ich meine Zielgruppe noch? Wie erhöhe ich die Kundenfrequenz und deren Verweildauer, obwohl es durch den tiefgreifenden Strukturwandel immer schwieriger zu werden scheint? Wodurch sind die Menschen gewillt, (mehr) Geld auszugeben? – solche Fragen treiben uns derzeit um.

Bei der Zielgruppe der Jugendlichen und Young Adults etwa müssen neue Wege gefunden werden, von Handel und Verlagen gemeinsam. Wir müssen die digitale Welt nutzen, um diese (Noch-Nicht-)Leser und Käufer zu erreichen und zu gewinnen. Bei Fischer verbinden wir beide Welten, indem wir Buchprojekte mit YouTubern realisieren und dabei helfen, die Follower und Fans als Neukunden in die Buchhandlung zu holen. Ich denke, wir sind uns mit dem Buchhandel sehr einig: Idealerweise liegen die Bücher im Eingangsbereich, damit sie gleich im Blickfeld der Young Adults stehen und die anfängliche Hemmschwelle, eine Buchhandlung zu betreten, möglichst gering gehalten wird. Es werden übrigens tatsächlich  mehr Print- als digitale Produkte gekauft – und bei Signierstunden stehen die Fans Schlange. Es lohnt sich, diese Eventform weiterzuentwickeln.

Weiterhin darf nichts unversucht gelassen werden, um die Buchhandlung als Ort der persönlichen Begegnung zu inszenieren, wo die Kunden neugierig gemacht und überrascht werden – und aufgrund der individuellen Sortimentsauswahl und Empfehlung Bücher kaufen. Wer es hier schafft, die Kinder- und Jugendbuchabteilung zum Anziehungsmagnet und Umsatzbringer werden zu lassen, erzeugt auch langfristige Effekte: Aus lesenden Kindern werden lesende Jugendliche und lesende Erwachsene.

Das Kinderbuch hat mehrere Zielgruppen. Nicht nur das lesende Kind, sondern auch schenkende Erwachsene. Weil vielen Eltern und Großeltern die Bildung und sinnvolle Beschäftigung des Kinds wichtig ist, sind sie bereit, Geld dafür auszugeben. Hier kann der Händler ansetzen. Gerade im Kinderbuch werden eher Hardcover als Taschenbücher gekauft: Wertigkeit zählt. Inhalt und Gestaltung müssen mehr denn je unikal und über­raschend sein – dann tritt Preissensibilität in den Hintergrund.

Im Kinderbuch besonders lukrativ und verkäuflich sind Serien und Titel, deren Charaktere zu Identifikationsfiguren werden – und bei denen Autor und Illustrator idealerweise neben dem Verlag zur Marke werden. Die Kinderbuchheldin Liliane Susewind ist so ein Glücksfall, der dem Handel in den vergangenen zehn Jahren 1,6 Millionen verkaufte Exemplare beschert hat.
Jedes neue Buch aktiviert die Backlist. Buchhändler sollten den hohen Backlistanteil im Kinder- und Jugendbuchsegment nutzen und diese Klassiker und Lieblingshelden einfach prominenter präsentieren. Die, die es tun, sind oft überrascht, welchen Zusatzumsatz sie auf diese Weise generieren können.

Bei dem Thema Kundenfrequenz und Kundenverweildauer geht es nicht nur um die genaue Kenntnis der Kunden und Zielgruppen, sondern auch um die Local-Marketing-Attraktivität der Buchhandlung. Und gerade die Warengruppe Kinder- und Jugendbuch birgt mit ihren starken Marken und diversen Möglichkeiten ein lang noch nicht ausgeschöpftes Potenzial.

Mein Fazit: Veränderung ist notwendig, und gemeinsam mit dem Handel schaffen wir es: Wir können zwar den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.

Andrea Fölster, seit August Vertriebs- und Marketingleiterin Kinder- und Jugendbuch bei S. Fischer, ist gelernte Buchhändlerin und arbeitete zuvor bei Beltz und Lübbe