Die Sonntagsfrage

"Wie zieht man einen Verlag geordnet um, Herr Leitess?"

4. März 2016
von Börsenblatt
Der Züricher Unionsverlag hat nach 25 Jahren neue Verlagsräume bezogen - und sich in diesem Zuge von allerhand alten Schätzen getrennt. Das einbalsamierte Krokodil aus Kairo durfte aber mitumziehen. Lucien Leitess über die Wochen rund um den 28. Dezember, dem Umzugstag seines Verlags.

So geordnet wie alles im Verlagswesen geordnet geschieht. Man macht frühzeitig einen Terminplan, das Budget, eine Jobliste und verteilt umsichtig die Zuständigkeiten. Je näher der Stichtag kommt, desto deutlicher wird: Alles dauert doppelt so lang und kostet das Dreifache. Nun werden die Nächte zum Arbeitstag, die Wochenenden zum rettenden Puffer, und eine Stunde vor Ankunft des Lastwagens demontiert man die letzten Lampen. Zum Glück platzt dann beim überladenen Laster bei der Abfahrt ein Reifen, so dass man am neuen Ort die Signalisation für die Packer rechtzeitig anbringen kann.

Zudem hat man eines übersehen. Zum traditionellen Umzug des zwanzigsten Jahrhunderts (körperliche, in Kilos und Kubikmetern messbare analoge Güter) kommt im neuen Jahrtausend der digitale Umzug hinzu. IP-Adressen, Netzwerke, Internetzugänge, Telefondienste, Server, Router und Firewall müssen neu eingerichtet werden. Hier wird der Umzug zur Tragödie, Komödie, Burleske und verweigert sich jedem Terminplan. Erst wenn das erste Mail reinploppt und man glücklich die eigene Website wiedersieht, darf der Korken knallen. Dem ersten Anrufer, der auch wirklich durchkommt, möchte man um den Hals fallen. Ein Wunder ist geschehen: Der Verlag ist pünktlich wieder arbeitsfähig.

Die allergrößten Herausforderungen sind allerdings intellektueller Art. Was mitnehmen? Was wegschmeißen? Mit leisem Lächeln wird liquidiert: Ein Dutzend steinharte Fixogum Rubber Cement-Fläschchen. Der Notvorrat an 5 1/4- und 3 1/2 Zoll-Disketten. Vorsintflutliche Klebetikettenformate. Zwölferlei Farbbänder für ausgestorbene Nadeldrucker. Selbstdurchschreibendes Durchschlagpapier. Angebrauchte Letraset-Bögen für die Vorschau der Jahre 1975-1979. Verdampfter Wodka von sowjetischen Besuchern. Vorgedruckte Laufzettel für den Buchhandel.

Infolge Ewigkeitswert wird eingepackt und eingeschreint: Die Sammlung aller Buchmesse-Standbücher seit 1981. Der DDR-Wimpel »Vorbildliches Kollektiv - Beste Einheit«. Die ausgerissene Zeitungsschlagzeile: »Pfusch ist, wenn man hofft, es werde schon klappen.« Das einbalsamierte Krokodil aus Kairo. Der Telefonbeantworter aus den Achtzigerjahren samt allen archivierten Botschaften der Epoche auf Minikassetten. Die komplette Laptop-Sammlung seit es tragbare Computer gibt. Alle Autorengeschenke von Juri Rytchëus geschnitztem Walrosszahn bis Yaşar Kemals Zauberamulett gegen den Bösen Blick.

Aber: Wohin mit der Encyclopædia Britannica? Brehms Tierleben. Meyers Konversations-Lexikon 1874 und 1910. Kindlers einst »Neues Literaturlexikon«. Der Laufmeter von Duden-Bänden mit der jedesmal anders einzig richtigen Rechtschreibung. Propyläen Weltgeschichte. Leopold von Rankes »Sämtliche Werke«. In diesen Tagen scheinen sie obsolet. Was davon hat Zukunftswert wie die Sammlung von Micky-Maus-Heften aus des Verlegers Kinderzeit, die heute 4-stellig gehandelt wird?

Dieses Aussortieren tut so weh und macht so glücklich wie eine radikale Entschlackungskur. Am neuen Ort, während des Auspackens, füllt man im Rausch der großen Trennungen nochmals eine Abfalltonne mit entbehrlichen Sentimentalitäten.

Vor allem schwört man: Nie wieder umziehen! Oder noch besser: Den Umzug permanent machen! Eisenbahnwagen mieten (www.euro-express.eu), eine Internet-Satellitenverbindung kaufen, den Verlag auf Schienen verlegen und ins Blaue fahren. Halt machen, wo es das Herz begehrt oder wo der Bestseller der Saison herkommt. Je nach Verlagsprofil und -Programm geht das auch mit Wohn- oder Zirkuswagen.