Die Sonntagsfrage

Tolino, oho?

3. Mai 2015
von Börsenblatt
In Kooperation mit neobooks holt die Tolino-Allianz jetzt Selfpublisher an Bord – wirbt mit erhöhten Margen und Buchhandelspräsenz. Was die Umworbenen über die neue Plattform denken, welche Chancen sie für ihre digitalen Bücher künftig am Markt sehen und was sich im Wettbewerb mit Amazon ändert: Antworten von Ivonne Keller.

Durch die Kooperation von Tolino und neobooks ändert sich für Selfpublisher (die via neobooks veröffentlichen) vor allem die mögliche Gewinnmarge. Auf den ersten Blick scheint diese bei beiden Anbietern gleich zu sein – ist sie jedoch nicht, da bei neobooks 70 Prozent des Nettoverlagserlöses ausgezahlt werden, während Tolino 70 Prozent des Nettoverkaufspreises auszahlt. Dies allerdings nur garantiert bis Ende Januar 2016 – was danach kommt, weiß man nicht. Wer also bisher seine Werke über neobooks vertrieben hat, könnte nun die Tolino-Welt direkt beliefern und mehr verdienen.

Bisher bestand bei neobooks lediglich für die Auslieferung an Amazon die Möglichkeit, diese von der Distribution auszuschließen und sein Werk bei diesem Anbieter direkt hochzuladen (KDP). Demnächst wird neobooks diese Ausschluss-Möglichkeit wohl ebenfalls für die Auslieferung an die Tolino-Welt anbieten, und beliefert dann nur noch die übrigen Händler. Wer gern alles in einer Hand hat, und sich nicht mit dem Hochladen seiner Manuskripte bei verschiedenen Anbietern herumschlagen möchte, kann weiter den gesamten Vertrieb über neobooks laufen lassen. Besonders verlockend, wenn man keine Zeit oder Muße hat, sich mit den Besonderheiten auf den jeweiligen Portalen zu beschäftigen.

Bleibt die Frage, ob Selfpublisher, die bisher exklusiv bei Amazon veröffentlichten (KDP Select), ihr Häkchen herausnehmen und zukünftig auch bei Tolino zu finden sein werden. Ein klarer finanzieller Vorteil wäre das für die Autoren, die ihre Werke zu einem Verkaufspreis unter 2,99 Euro anbieten – diese werden bei Amazon mit nur 35 Prozent vergütet. Für die Spitzenverkäufer mag dies jedoch nebensächlich sein, da der monatliche Autorenbonus für die „All stars“ diese Differenz vermutlich mehr als ausgleicht. Und die Chance auf spezielle Deals, die den Select Autoren vorbehalten sind, fiele weg.

Vieles gibt es zu bedenken, an alles denke ich sicher nicht. Sollten diese Autoren sich entschließen, mit ihren Werken auch auf den Tolino-Geräten anzukommen, könnte dies zumindest für ein wenig Wirbel im Amazon-Ranking sorgen, denn Indie-Autoren, die über KDP Select publiziert haben, waren in der Sichtbarkeit gegenüber anderen Werken im Vorteil.

Inwieweit Tolino ebenfalls spezielle Werbefeatures einführen wird, und welche Autoren in diesen Genuss kommen werden, wird sich zeigen. Reizvoll finde ich die Ankündigung, außergewöhnlich erfolgreiche Autoren könnten darüber hinaus die Chance erhalten, ihre Titel auch als gedruckte Exemplare in den Buchhandlungen der Tolino-Welt zu verkaufen.Ob das tatsächlich der Einstieg in den traditionellen Buchhandel wäre, wie ihn sich Selfpublisher wünschen? Für einige sehr erfolgreiche Indie-Autoren könnte dieser Traum vielleicht wahr werden. Von diesen wurden bereits etliche von Verlagen entdeckt und im Print-Format verlegt. Wie sich der ganze Kuchen neu verteilen wird? Ich bin gespannt.


_Ivonne Keller schreibt als Verlagsautorin bei Knaur (Verlagsgruppe Droemer Knaur) im Genre „Psychologische Spannung“ und hat darüber hinaus zahlreiche Kurzkrimis in Anthologien veröffentlicht. Als Selfpublisherin publiziert sie unter dem Pseudonym Alice Golding humorvolle Frauenromane. Der erste mit dem Titel „Gesucht: Traummann mit Ente“ ist bereits auf dem Markt, der zweite „Fräulein Millas Gespür für Tango“ folgt im Sommer. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der Nähe von Frankfurt am Main.