Die Sonntagsfrage

“Was haben Sie aus dem Kloster mitgenommen, Frau Piwowarski?“

27. April 2018
von Börsenblatt

Sieben namhafte Belletristikverlage haben 100 Buchhändler zur Klausurtagung in die Klosteranlage Haydau bei Kassel eingeladen. Dort kamen Bücher, Pläne und Wünsche zur Sprache. Von beiden Seiten. Was Maria-Christina Piwowarski von der Berliner Buchhandlung ocelot aus dem Kloster mitgenommen hat, erzählt sie in der Sonntagsfrage.    

Der Einladungsbrief kam im Dezember. Mitten in der Hochphase des Weihnachtsgeschäfts verhieß ein freundliches Schreiben nicht nur das nahende neue Jahr, sondern ein frisches und spannendes Branchenexperiment: Sieben VerlegerInnen luden 100 BuchhändlerInnen zu einem zweitägigen Gespräch in besonderer Umgebung ein. Ein entspannter, aber fokussierter Austausch sollte im April stattfinden, in großer Runde, aber auch kleinen Kreis.

Ins Kloster riefen die VerlagsleiterInnen höchstselbst: Reinhard Rohn (Aufbau), Jonathan Beck (C.H. Beck), Sabine Cramer (DuMont), Jo Lendle (Hanser), Birgit Schmitz (Hoffmann & Campe), Tom Kraushaar (Klett-Cotta) und Jonathan Landgrebe (Suhrkamp).

"Anekdoten, Hintergründe, Netzwerken und Klassenfahrt"

Es stand für mich nicht eine Minute lang zur Debatte, dass ich unbedingt teilnehmen wollte. Das klang nach allem, wofür es auf den Messen zu laut war, wofür im buchhandelnden Alltag zu wenig Zeit blieb – das klang nach Anekdoten und Hintergründen, nach Netzwerken und Klassenfahrt.

Letzten Sonntag war es dann endlich so weit. Im Kloster Haydau angekommen, waren alle erstmal verzückt. Von dieser mitteldeutsch hügeligen Dorfidylle, an deren Rand sich ganz organisch ein hoch professionelles und trotzdem charmantes Tagungshotel schmiegte. Aber auch vom Wiedersehen mit geschätzten KollegInnen aus allen Ecken der Republik.

Vor dem Abendessen gab es eine sektbegleitete Rede von Verleger Tom Kraushaar. Gut gelaunt und dynamisch konstatierte er, dass das hier keine Krisensitzung sei, sondern einfach Raum und Gelegenheit für Fragen und Wünsche, für positives Feedback und Kritik.

Nach Krise oder nur dröger Notwendigkeit fühlte sich das alles ohnehin zu keinem Moment an, und das lag nicht nur am Sekt. Sieben Verlage auf gleicher Augenhöhe, deren Programmverantwortliche sich bei aller natürlichen Konkurrenz offensichtlich ehrlich schätzen und bereit sind, neue kommunikative Wege zu beschreiten, nahmen also gelinde gesagt eine Menge Geld in die Hand, um sich mit uns, der Basis unmittelbar an den LeserInnen ihrer Bücher, darüber auszutauschen, wie wir in Zukunft noch besser zusammenarbeiten können, um literarische Stoffe noch erfolgreicher an LeserInnen zu vermitteln.

Namensschildchen und Stundenpläne wurden verteilt. Aber bevor am nächsten Tag die Gesprächsrunden in kleinen Gruppen begannen, ließen wir den Abend mit einem Pub(lishing)-Quiz (Wie viele Seiten hat das dünnste Buch der Welt? Wie hieß die Katze von Doris Lessing? Nenne aus Thomas Manns „Zauberberg“ so viele ProtagonistInnen wie möglich! Aus welchem Buch stammen die folgenden ersten Sätze …?) und im Anschluss (dem aufwühlenden Quiz entsprechend notwendigerweise) an der Hotelbar ausklingen. 

 

"Die Round Tables waren so unterschiedlich wie die Verlage selbst"

Gemeinsam mit je zwei programmverantwortlichen LektorInnen und den Verantwortlichen für den Vertrieb, die sich allerdings sehr im Hintergrund hielten, trafen wir die VerlegerInnen in den jeweiligen Tagungsräumen und waren dankbar für die Gruppenzuordnung, die uns oft auch die Chance gab, über den Tellerrand der Bedürfnisse unserer eigenen Buchhandlungen hinauszublicken, und trotzdem kleine, diskussionsfähige Runden ermöglichte.

Alle Gespräche begannen mit dem glaubwürdigen Aufruf der VerlegerInnen zur offenen Kritik. Was assoziieren wir mit den jeweiligen Verlagen? Wie sieht die Kundschaft ihrer Bücher aus? Es ging neben vielem anderen um die Positionierung der Backlist, darum, wie Sachbücher sein müssen, damit sie vermehrt von Frauen gelesen werden, es ging um die Unverzichtbarkeit von Lyrik und um Bücher, deren Botschaft in kein Genrekorsett passt. Wir sprachen uns die Köpfe heiß um Covergestaltungen, die Vermeidung von Plastikfolien, die Herausforderung, besonders dicke Leseexemplare auf die Agenda ohnehin viel lesender BuchhändlerInnen zu bringen, um Reihen im Print-on-Demand-Verfahren und um die Frage, wie genau wir uns hilfreiche Vorschauen wünschen.

Allen Runden gemein war, dass die VerlegerInnen sich nicht nur eifrig Notizen machten, um wie angekündigt, unser „Wissen abzuzapfen“, das wir bereitwillig teilten, sondern dass sie auch zuließen, wenn unsere Einwürfe und Gedanken den Ablauf einer jeden Runde bestimmten und manchmal sogar komplett über den Haufen warfen. Dieses Ernstnehmen unserer Anregungen und Rückfragen war ungemein wohltuend.

Am Montagmorgen konnten wir zudem Karteikarten mit Fragen und Wünschen an alle Verlage ausfüllen, die am gleichen Abend (nach einem ebenfalls wieder sehr phänomenalen Abendessen) auf einer Podiumsdiskussion von den VerlegerInnen verhandelt wurden.

"Die Leidenschaft der VerlegerInnen war mitreißend und bewegend"

So unmittelbar und ungestört erleben zu dürfen, mit welcher Leidenschaft die VerlegerInnen an ihren Büchern arbeiten, war wirklich mitreißend und bewegend. Das war kein besonderes Highlight, das zog sich durch all die Stunden, die wir gemeinsam in Haydau verbracht haben. Bei kleineren Verlagen geschieht das oft ganz nebenbei und im Alltag, aber die Köpfe hinter diesen Verlagen auf so konzentrierte Weise kennenzulernen, war für uns alle etwas außergewöhnlich Motivierendes.

Auch wenn am Anfang der Ruf nach schmaleren Programmen noch laut war, ließen ihn die Anekdoten aus der Verlagswelt nahezu leise werden. Dass wir alle GeschichtenverkäuferInnen sind, fassten Reinhard Rohn und Birgit Schmitz in der Abschlussrede zusammen und vereinten uns damit nicht nur als Menschen, die wohl der tollsten Branche dieser Erde angehören, sondern erleichterte uns auch den Abschied, denn wir hatten sofort wieder Lust, zurück in unsere Buchhandlungen zu gehen und mit Elan und Überzeugung wieder das umzusetzen, worüber wir in den letzten Stunden so viel geredet hatten: Bücher und LeserInnen engagiert und kompetent zusammenzubringen. Zu erfahren, mit wie viel Verve und Leidenschaft diese Titel schon lange behandelt werden, bevor wir die fertigen Bücher dann in der Hand halten, war zu ahnen – es bestätigt zu sehen, war wunderbar und eindrucksvoll.

 
"Für solche Gesprächsrunden würde ich überall hinkommen"

Es war natürlich eine grandiose Atmosphäre in diesem luxuriösen Kloster. Ich empfand schon allein dadurch ein wunderbares Gefühl der Wertschätzung. Und die Hotelbar serviert einen White Russian, der würdig wäre, in Gedichten besungen zu werden. Aber der wahre Drive entstand durch das, was wir beobachten, hören und vor allem äußern konnten. Wenn bei künftigen Neuauflagen dieses Formats also finanzielle Gründe eine Rolle spielten, möchte ich hiermit gern zu Protokoll geben, dass ich für diese familiären Gesprächsrunden auch gern in irgendeine Rumpelkammer kommen würde, so wunderschön es im Kloster Haydau auch war.

Ansonsten wäre eine Art Vorab-Fragebogen ganz hilfreich gewesen. Vielleicht hätte das noch gezieltere Diskussionen ermöglicht? Interessant war auch, dass die Verlage sich größte Mühe gaben, unsere grundsätzlichen buchhändlerischen Bedürfnisse in den Fokus zu rücken, keine „Mini-Messe“ zu veranstalten und nicht zu viele Herbstnovitäten zu pitchen (was besonders schwer gewesen sein muss, da das ja saisonal bedingt verlagsintern gerade die Hochphase dafür ist), dass wir aber auch nicht umhinkönnen, zuzugeben, dass wir einfach auch süchtige LeserInnen sind und immer genau dann die Ohren besonders spitzten, wenn das Thema doch mal zur Sprache kam. Da können die Verlage künftig gern selbstbewusster rangehen.

 
"Und was liest du gerade?"

Was sich die Verlage von uns Buchhändlern wünschen? Am Ende wollen wir alle mehr Bücher verkaufen, das ist klar – und nötig und richtig, aber trotzdem genügt das nicht.

Ich denke, dass wir BuchhändlerInnen und Verlagsleute uns voneinander sehr Ähnliches wünschen. Kontakt halten, Anregungen austauschen, offene Ohren für unsere Bedürfnisse und Wünsche, ein stärkeres Empfinden dafür, dass Verlage nicht nur „die sind, die ständig neue Bücher raushauen“ und wir BuchhändlerInnen nicht nur „die sind, die immer zu wenig Platz im Laden haben“.

Am Ende der Veranstaltungen hatte ich noch etwas Zeit, bevor mein Zug fuhr. Viele BuchhändlerInnen waren bereits abgereist. Ich saß neben einer jungen Kollegin aus Hamburg, die ich vor Haydau noch nie gesehen hatte. Wir bewunderten noch ein paar Minuten den Ausblick auf die alten Klostermauern, ließen die tollen letzten Stunden nachwirken, schlürften unseren Kaffee, guckten uns an: „Und was liest du gerade?“