Die Sonntagsfrage

"100 gute Bücher - wie entscheidungsstark muss man sein, um eine ultimative Liste deutschsprachiger Literatur herauszugeben?"

4. Oktober 2018
von Börsenblatt
Die Kulturredaktion der Deutschen Welle hat eine die Liste "100 gute Bücher" erstellt, die am 11. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt wird. Wie trifft man die Auswahl, welche Schwierigkeiten gilt es zu meistern und was soll so eine Liste überhaupt? Sabine Kieselbach, Projektkoordinatorin und Literaturkorrespondentin der Deutschen Welle, gibt Antworten. 

"Ultimativ" an unserer Liste der 100 guten Bücher ist, dass es sich ja nicht einfach um einhundert gute Bücher handelt, sondern dass die Titel auf unserer Liste ins Englische übersetzt worden und auch noch erhältlich sind: als gedrucktes Buch, oder auch als eBook.

Klar ist es von Vorteil, wenn man entscheidungsstark ist. Aber am Ende haben wir im Team den Konsens gesucht - und manchmal auch Rat von außen. Wir hatten Kontakt mit Übersetzern, mit Kritikerkollegen, auch im Freundeskreis war die Liste natürlich Thema. Wenn man gut eineinhalb Jahre mit Lesen und Auswählen beschäftigt ist, dann ist das unvermeidlich. Von Thomas Mann und Hermann Hesse sind alle Bücher übersetzt worden, da hatten wir die Qual der Wahl. Dass beide auf die Liste sollten, war von vornherein klar. Ein Thema wurden für uns schnell die Autorinnen: Frauen hatten es bis in die neunziger Jahre viel viel schwerer, einen Verlag zu finden. Und die zweite Hürde für unsere Liste, ins Englische übersetzt worden zu sein, haben nur wenige geschafft. Von zeitgenössischen Autorinnen dagegen wie Juli Zeh und Jenny Erpenbeck sind fast alle Bücher auch auf Englisch erhältlich. Es tut sich also was, endlich!

Ursprünglich war das Projekt vor allem für unsere Zuschauer und Leser im Ausland gedacht, an die sich das Programm der Deutschen Welle richtet. Wir wollen Lust auf deutschsprachige Literatur machen, die noch immer unter dem Image leidet, zu schwer, zu geschichtsbeladen zu sein. Dabei ging es uns nie um ein Ranking, sondern darum, möglichst unterschiedliche Bücher zu präsentieren. Klassiker ebenso wie Experimentelles, Bücher, die eher auf ein junges Publikum zielen, historische Romane, einen Thriller, Familiengeschichten. Eben das, was deutschsprachige Literatur ausmacht: von Thomas Mann über Thomas Bernhard und Herta Müller bis hin zu Olga Grjasnowa. Dazu gehört auch ein weltweiter Bestsellerautor wie Frank Schätzing oder der wunderbare Wolfgang Herrndorf mit "Tschick".

Ja, es stimmt: Viele Autorinnen und Autoren setzen sich mit der deutschen Vergangenheit, vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Auch die Teilung Deutschlands oder das Leben in der DDR sind Stoff für so einige Romane. Wenn Sie einen Familienroman schreiben wollen, der die letzten hundert Jahre umfasst, dann kommen Sie doch gar nicht drumherum.  Aber die Sprache und die Form, in der die Geschichten erzählt werden, sind höchst unterschiedlich.

Ein ganz eigenes Genre sind die Bücher von Autorinnen und Autoren, deren Muttersprache nicht deutsch ist. Ich war erstaunt, dass ein renommierter Schriftsteller wie Feridun Zaimoglu noch nicht ins Englische übersetzt worden ist, dafür aber eine so experimentierfreudige wie Yoko Tawada. Für uns hat am Ende gezählt, dass die ausgewählten Bücher gut erzählte Geschichten sind.  

Je weiter unser Projekt fortgeschritten war - wir haben insgesamt gut zwei Jahre daran gearbeitet -, desto öfter wurde ich aber auch von deutschsprachigen Freunden und Kollegen gefragt, welche Bücher auf der Liste sind, was empfehlenswert ist. Die großen Klassiker - Goethe, Schiller, vielleicht sogar Wolfram von Eschenbach - haben viele in der Schule gelesen, vielleicht auch noch die Brüder Mann oder Hermann Hesse. Aber was ist mit der Literatur des 20. Jahrhunderts, mit den Büchern der letzten Jahre, die nicht mehr auf den Bestsellerlisten auftauchen? Da bietet unsere Liste Orientierungshilfe. Deshalb freuen wir uns auch, dass der Börsenverein - neben der Frankfurter Buchmesse, dem Goethe Institut und New Books in German - Partner des Projekts ist. Denn unser Ziel ist doch das selbe: Lust am Lesen wecken, über Bücher streiten, Neues entdecken.

Der Börsenverein und die FBM kooperieren mit der Deutschen Welle bei ihrer Initiative "100 gute Bücher". Die Kooperation umfasst u.a. die Information und Aktivierung der Verlage und Buchhandlungen, etwa durch eine Beilage des Aktionsplakats im Börsenblatt vom 25. Oktober.