Ein Besuch auf der Ladenmesse EuroShop

Hausaufgaben für den Handel

16. März 2017
von Tamara Weise
Offlinekunden mit digitalen Mehrwerten zu begeistern: Darum geht es heute im Einzelhandel. Könnten Big Data und künstliche Intelligenz helfen? Ein Bericht von der Messe EuroShop.

Wie können traditionelle Einzelhändler im Umfeld der Online­konkurrenz bestehen und ihre Kunden begeistern? Keine Frage beschäftigte die rund 2.400 Aussteller der diesjährigen Handels-Fachmesse EuroShop (5. – 9. März) mehr als diese. Dabei hatte jeder seine eigenen Antworten mit nach Düsseldorf gebracht: Die einen konzentrierten sich auf digitale Services, andere eher auf den Laden als Erlebnisraum – oder auf beides. Unzählige Gespräche drehten sich ums ganzheitliche Einkaufen, um Omnichannel-Konzepte, datengetriebenes Marketing und Storytelling.

Der Laden als Erlebnisraum

Das Bessere ist der Feind des Guten – für den traditionellen Einzelhandel gehört die Erkenntnis seit Jahren zum Alltag. Permanent werden Konzepte im Sinne einer höheren Kundenbindung überarbeitet oder neu entwickelt, interessanterweise aber ohne dass sich am bekannten Grundsatz seit der letzten EuroShop 2014 viel verändert hätte: mehr Drama, mehr Emotionen, mehr Haptik und Erlebnisse – das bleiben aus Sicht vieler Aussteller im traditionellen Handel weiterhin die wichtigsten Faktoren, um sich von Onlineshops abzugrenzen. "Ohne Emotionen erreichen Sie keine Wertschätzung": Daran erinnerte zum Beispiel der Münchner De­signer und Ladengestalter Wolfgang Gruschwitz  bei einem Vortrag seine Zuhörer. Zugleich warnte er davor, den Laden deshalb gleich auf den Kopf zu stellen – denn auch Rituale und Traditionen seien ein gutes Mittel, um positive Gefühle bei Kunden zu aktivieren. "Achten Sie darauf, dass Ihre Kunden lachen und sich etwas zu erzählen haben", riet Gruschwitz. Tratsch habe nun mal auch seine guten Seiten.

Die vom EHI Retail Institute ermittelten Trends im Ladenbau liefern ebenfalls Argumente pro Emotionalisierung: "In" sind demnach Kontrasteffekte, die Spannung erzeugen, theatralische Inszenierungen und, etwas allgemeiner, das sogenannte Storytelling – das Erzählen von Geschichten rund ums eigene Sortiment und/oder das eigene Unternehmen (siehe Übersicht unten).

Storytelling funktioniert dabei nicht nur verbal, sondern über weite Strecken visuell und nebenbei, unter anderem durch die Wahl der Beleuchtung, der Fußböden und anderer Materialien, die in den Geschäften zum Einsatz kommen.

Diese Ladenbautrends waren auf der EuroShop Thema:

  • LEDs haben sich als Lichtquelle nahezu flächendeckend im Einzel­handel durchgesetzt, wobei Kosten­argumente so langsam in den Hintergrund rücken. Gefragt sind heute stattdessen Lichtanlagen, die sich flexibel steuern lassen – und je nach Tages- oder Jahreszeit zum Beispiel unterschiedliche Lichtfarben bieten.
  • Den Charakter eines Ladens zu zeigen und die Aufmerksamkeit eines Kunden zu lenken, beginnt schon mit dem Fußboden. Von der Fußballplatz-­Nachbildung bis zum Mosaikboden in Holz- oder Steinoptik: Auf Vinyl ist mittlerweile fast alles machbar, auch großflächig. Das Ziel: den Laden emotional aufladen – und das Kopf­kino starten.
  • Auch bei der Inneneinrichtung ist alles erlaubt, was Wertigkeit vermittelt, die Sinne anspricht und Geborgenheit ausstrahlt; Beton oder Naturmaterialien wie Holz haben dabei weiterhin Vorrang. 


Big Data für besseren Service 

Off- und Online gegeneinander auszuspielen – davon war auf der EuroShop allerdings keine Rede mehr. Durchgesetzt hat sich dafür die Erkenntnis, dass beides eng zusammengehört und Omnichannel-Strategien das Gebot der Stunde sind. Hunderte Dienstleister aus allen Segmenten hatten Lösungen im Gepäck, die Analoges mit Digitalem verknüpfen, damit für Kunden ganzheitliche, sogenannte phygitale (physisch-digitale) Einkaufs­erlebnisse entstehen. Die Methode der Wahl lautet hier Personalisierung – doch die hat mindestens einen Knackpunkt: Wer mit personalisierten Angeboten begeistern möchte, braucht Kundendaten, und die sind für stationäre Händler schwieriger zu erfassen als für Amazon & Co. Kein Kunde stellt sich mit seinen Vorlieben und Wünschen eigens vor, wenn er einen Laden betritt.

Bis stationäre Händler in diesem Umfeld nachziehen können, dauert es aber vermutlich nicht mehr lange: Reihen­weise entwickeln findige Dienstleister derzeit Werkzeuge, um die Datenspuren, die Kunden sowohl analog als auch digital hinterlassen, zu identifizieren und in Echtzeit clever auszuwerten.

Zwei, die sich in den Fachforen der ­EuroShop präsentierten, waren IBM mit einem als Cognitive Computing bezeichneten Modell – und eine Gruppe von IT-Firmen, die in Sachen Connected Commerce und User Relationship Management (URM) miteinander kooperieren. Diese Gruppe besteht aus dem Kassenspezialisten Diebold Nixdorf, UCM, einem Spezialisten für datengetriebenes Marketing sowie dem Analyseprofi Minodes und dem Entwickler Online Software. Ihr Plan: Sie wollen Filialisten in die Lage versetzen, ihre Kunden neu kennenzulernen – indem sie über WLAN-Punkte im Laden deren Handy- und Kassendaten erfassen und diese dann etwa mit Daten aus dem eigenen Onlineshop oder sozialen Medien verbinden. »Im Omnichannel Retailing wird die Wertschöpfung vorrangig durch Kundenwissen getrieben«, betonte Peter Rymers (Diebold Nixdorf). Er versprach zugleich, dass die Idee des Vierergespanns datenschutzrechtlich einwandfrei sei – weil die Methode lediglich Kundengruppen identifiziere und keinen Rückschluss auf einzelne Kunden zulasse.

IBM verfolgt mit seinem Supercomputer Watson einen ähnlichen Ansatz, sieht seinen Schwerpunkt aber eher in der Datenanalyse als beim Datensammeln. Der IT-Konzern füttert Watson, eine sogenannte künstliche Intelligenz, seit einiger Zeit mit Unmengen von Daten und verschaffte zum Beispiel einer ­Bäckereikette verblüffende Erkenntnisse: Watson bekam über einen längeren Zeitraum von dem Unternehmen detaillierte Abverkaufsdaten, verknüpfte sie mit ebenso detaillierten Wetterdaten – und fand so unter anderem heraus, bei welchem Klima die Tortennachfrage am höchsten ist. Laut Marcus Groß, Cognitive Solutions Advisor bei IBM, gelang es der Bäckerei dank dieses Wissens schließlich, ihr Sortiment je nach Sonnenstand, Regenwahrscheinlichkeit oder Temperatur umzubauen. Die Kunden profitierten durch mehr Abwechslung, die Bäckerei durch höhere Umsätze. 

Einen Wohlfühlladen mit Erlebnis­charakter zu schaffen, der zugleich technologisch für seine Kunden das Mögliche möglich macht: Dieses Ideal wird noch viele Händler umtreiben und hohe Inves­titionen fordern.

Fünf Trends im Ladenbau
  1. Style-Mix: Viele Händler achten derzeit auf Kontraste, sie kombinieren im Laden verschiedene Stile, Farben und Materialien. Ziel ist es, Spannung zu erzeugen und die Aufmerksamkeit der Kunden wachzuhalten. 
  2. Visual Merchandising: Läden sind vor allem Erlebnisorte. Händler interpretieren ihre Flächen neu und gestalten sie als Bühne, arrangieren theatralische Inszenierungen, mit denen sich auch innerhalb standardisierter Shop-Konzepte individuelle Akzente setzen lassen.
  3. Digitaler Point of Sale: Touch Screens sind nicht out. Im Gegenteil: Das EHI Retail Institute beobachtet, dass Händler sie im Laden einsetzen, um Kunden auf ihre Onlineshops aufmerksam zu machen – und Kunden dort auch bestellen können, falls ein Artikel nicht vorrätig sein sollte.  
  4. Curated Shopping: Auf den "betreuten Einkauf" setzt vor allem der Modehandel – Kunden erhalten konkrete Empfehlungen auf Basis ihrer Vorlieben und Wünsche.
  5. Storytelling: Geschichten befeuern den Absatz – die alte Idee wird auf unterschiedlichste Weisen neu belebt. Laut EHI Retail Institute versuchen Händler ihre Kunden emotional anzusprechen, indem sie unter anderem von der Entstehung ihres Geschäfts, von einem Produkt, der Auswahl oder der Marke erzählen.
Quelle: EHI Retail Institute
Ausgezeichnete Konzepte

Für den EuroShop Retail Award hatten sich diesmal 80 Händler aus 27 Ländern beworben, drei wählte eine Fachjury schließlich als Gewinner aus. Bewertet wurden neben der Ladengestaltung auch die Omnichannel-Qualitäten.

Die Gewinner:

  • Primark, Madrid (Spanien)
  • Rose Biketown, Bocholt (Deutschland)
  • Saks Fifth Avenue, Toronto (Kanada)

Die EuroShop gilt als internationale Leitmesse für den Einzelhandel. Sie findet alle drei Jahre in Düsseldorf statt, zuletzt vom 5. bis 9. März 2017 (2 368 Aussteller aus 61 Ländern, 113.000 Fachbesucher).