Eröffnung der Frankfurter Buchmesse

Literatur schlägt Brücken

10. Oktober 2018
von Börsenblatt
Wenn alte Gewissheiten der Buchwelt und die Demokratie gefährdet sind, kann eine Buchmesseeröffnung schon mal aus den gewohnten Routinen ausbrechen. Und es ist eingetreten, was die Vorbereitungen schon vermuten ließen: Die Georgier sind wunderbare Ehrengäste.

Peter Feldmann dankte jenen „in der zweiten und dritten Reihe, die dafür sorgen, dass die Buchmesse funktioniert“ – und erhielt ziemlich donnernden Applaus. Der Frankfurter Oberbürgermeister könnte gut und gerne auch die freundlichen Securityleute am Eingang der Kongresshalle gemeint haben, die ganz augenscheinlich für das Bild der Mainmetropole stehen. Wir reden hier nicht von Ebbelwoi und Handkäs’ mit Musik, sondern davon, dass in Frankfurt 177 Nationen und 200 Sprachen zusammenleben; mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung hat einen so genannten Migrationshintergrund. „In Frankfurt ist jeder ein bisschen fremd, und jeder hat Sehnsucht nach Gemeinschaft“, sagte Feldmann. Und: „Frankfurt hat immer davon profitiert, die Tore aufzumachen.“ Dass man hier friedlich zusammenleben will, ist „Grundkonsens der Stadtgesellschaft“. So deutlich geht’s also auch, denkt man als in diesen Tagen geplagter Sachse.

Dass die oft beschworene Krise der Buch- und Medien-Branche (von der, Teilentwarnung, an diesem Abend einmal kaum die Rede war) derzeit partiell mit einer Krise der Demokratie zusammenfällt, verlieh der Eröffnung der weltgrößten Bücherschau heuer einen konzentrierteren, bisweilen kämpferischeren Touch als sonst. Business as usual, einfach nur weiterwurschteln? Ist nicht. Die 70jährigen Jubiläen der Frankfurter Buchmesse und der Erklärung der Menschenrechte in einem zu feiern, unter dem Hashtag-Slogan #onthesamepage, ist, so gesehen, eine gute Idee gewesen. Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller schlug angesichts der fürs laufende Jahr von Reporter ohne Grenzen dokumentierten Verstöße gegen die Meinungsfreiheit harsche Töne an und wandte sich explizit an Präsident Erdogan: „Wenn Sie auf der Seite der Menschenrechte stehen, lassen Sie alle inhaftierten Autoren und Journalisten, Verleger und Kulturschaffende und andere politisch Gefangene frei. Beenden Sie die Verfolgung von kritischen Stimmen und Andersdenkenden!“ Ein Appell, der auch anderen Despoten galt, gleich ob in Saudi-Arabien, China, Russland, Nicaragua oder, interessante Reihung, „den USA“.

Die Buchmesse, so hatte ihr Direktor Juergen Boos kurz zuvor betont, ist ein „Ort gegenseitigen Respekts“, an dem aber, Freiheit hin oder her, Grundsätze gelten: „Wer unsere Bühnen missbraucht, dem widersprechen wir - sofort und vehement.“ Wobei Boos die Betonung auf „Sprechen“ legte.

Federica Mogherini, Hohe Vertreterin der Europäischen Union  für die Außen- und Sicherheitspolitik, sprach sehr erhellend über die Rolle der europäischen Kultur, die mehr sein sollte als Politik mit anderen, soften Mitteln, „cultural super power“. Immerhin: Während Terroristen in Palmyra Tempel zerstören oder Landminen in der Universität von Mossul deponieren, werden derzeit weltweit „Häuser der europäischen Kultur“ errichtet. „Europa ist, was wir daraus machen“, betonte Mogherini. „Lasst uns dieses Potenzial nicht verschenken.“ 

Aber wer, bitte, sind wir, die Europäer? Die Autorin Nino Haratischwili, die die Festrede für das diesjährige Buchmessengastland Georgien hielt, steht für die komplexen, fluiden Identitäten des alten Kontinents, war aber an diesem Eröffnungsabend endlich einmal fein raus: „In den 15 Jahren, in denen ich in Deutschland lebe, muss ich mich heute erstmals nicht zwischen zwei Polen bewegen.“ Anfangs galt Haratischwili noch als georgische Autorin. In dem sie später, in ihren gefeierten Romanen, die scheinbar fremden Geschichten erzählte, wurde sie zugehörig. „So wie die Literatur zu meiner Brücke wurde, kann sie auch ganze Länder verbinden“, hofft Haratischwili. Auch das werden die nächsten fünf Tage zeigen: „Georgien hat viele Gesichter.“ Folgt man dem Aka Morchiladse, kommt einiges auf uns zu, wie der georgische Autor listig konstatierte: „Der georgische Schriftsteller ist gewöhnlich dort, wo niemand ist. Und wo sich alle versammeln.“