Erster Kindermedienkongress: Das Buch in der "augmented reality"

Das Medium diktiert die Erwartungen

1. Dezember 2010
von Börsenblatt
Gestern fand im Münchner Literaturhaus das von der Akademie des Deutschen Buchhandels ausgerichtete branchenübergreifende Treffen zum Kinder- und Jugendmarkt statt. Die Weiterentwicklung des Namens von "Konferenz" zu "Kongress" hat nicht nur mit dem Jubiläum zu tun, sondern auch mit dem wachsenden Interesse der Fachkräfte aus der Buch-, Film & TV- und Internetbranche sowie mit der Ausdehnung auf zwei Tage und der Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj).
Das Motto des ersten Tages lautete "iPad & Co für Kids?! - Wohin entwickeln sich die Kindermedien?" Die Stimmung schwankte zwischen Skepsis und Euphorie. Für manche der Referenten und Teilnehmer bedrohlich, für andere verheißungsvoll stehen Giganten wie Amazon, Apple oder Google möglicherweise kurz davor, das bisherige Selbstverständnis von Verlegern und Sortimentern zu erschüttern und vielleicht zu vernichten. Am Rande der Analyse dieser digitalen Revolution war auf der Tagung Raum für Apercus: Etwa 50 Prozent der Besucher von Disneyworld sind Erwachsene ohne Kinder. Letztere haben es immer schwerer, sich von den Erziehern abzugrenzen. Eine der wirksamen Strategien besteht im Lancieren von Retrotrends, denn ältere Leute sehen bei Retrotrends nicht gut aus. Aber auch bei innovativen Entwicklungen halten die Älteren nicht mit. Facebook, Twitter & Co findet fast unter Ausschluss der über 60-Jährigen statt. Diese und viele weitere Überlegungen bilden die Grundlage für die einfache These Peter Wippermanns, Trendbüro-Gründer und Professor für Kommunikationsdesign an der Universität Essen: "Es gibt mehr Möglichkeiten, als die Manuskripte in die Druckerei zu bringen". Wippermann konzentriert sich auf "augmented reality", auf die Zusammenführung von realer und virtueller Welt. Google maps auf dem Handy mit Daten in Echtzeit vor Ort oder TV-Sendungen, in die je nach User individualisierte Konsumangebote eingeblendet werden, bilden den faszinierenden Rahmen für die Bücher der Zukunft.

Thomas Bleyer, Managing Director bei Ravensburger Digital zeigte anhand einer einfachen Bierdeckelrechnung, dass derzeit das Umsatzpotential für deutschsprachige E-Books in welcher Form auch immer noch sehr bescheiden ist. "Es ist immer noch eine Herausforderung, eine Kinderapplikation zu refinanzieren. International wettbewerbsfähige Programme sind sehr teuer", weiß Bleyer und kündigt trotzdem zahlreiche hochwertige Projekte für 2011 aus seinem Hause an. Eine Erkenntnis dieser Tagung lautet: Das Medium diktiert die Erwartungen. Aber weil das Medium - sprich die Hardware - sich laufend rasant ändert, fällt vielen eine vernünftige Planung schwer. Daher fand gestern im Anschluss ein Kindermedienseminar unter dem Titel "Wie digital wird das Kinderbuch?" als Vertiefung statt. Das Tagesseminar wurde von der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) in Kooperation mit der Akademie des Deutschen Buchhandels veranstaltet. Praktiker erklärten, wie man in einem herkömmlichen Verlag zu digitalen Produkten kommt und welche Rechts- sowie Vermarktungsfragen zu klären sind.


Nicola Bardola