Französische Küche im Buchformat

Bon appétit

3. November 2017
von Börsenblatt
Von gratinierten Austern bis zu Coq au Vin, von gefüllten Crêpes bis zu kleinen, mürben Macarons: Frankreich ist das gelobte Land der Gourmets. Neue Kochbücher holen tellerweise Savoir-vivre in die heimische Küche.

Eines muss man ihnen neidlos lassen: Beim kulinarischen Klischeeverteilen sind die Franzosen mal richtig gut weggekommen. Man braucht bloß irgendwo "Frankreich" zu lesen, schon denkt man "oh, là là!" – und an Charme, Eleganz und kulinarische Leitkultur. Ein schon fast pawlowscher Reflex, der auch bei einer ganzen Reihe von Neuerscheinungen seine Wirkkraft beweist. Es geht – typisch Frankreich – um haltlose Bewunderung, denkwürdige Mahlzeiten, Legenden der Leidenschaft, göttliche Köche und innige Beziehungen zwischen Genuss und Geist.

In "Frankreich à la carte. Kulinarische Geschichten" bringt Herausgeber Rainer Moritz zusammen, was in Frankreich sowieso zusammengehört: Ästhetik und Kulinarik (Ebersbach & Simon, 144 S., 16,80 Euro). Seine köstlichen Zutaten sind einschlägige Romanauszüge, Briefe, Gedichte, in denen Colette, Gustave Flaubert und Marcel Proust von Genüssen wie Steak Frites und Austern erzählen. Eine großartige Auswahl und ein herrlicher Fanartikel nicht nur für franko­phile Gourmets.

"In der Küche sei jeder Firlefanz verdächtig", heißt es auf Seite 257 des neuen Romans der französischen Starautorin Marie NDiaye. Tatsächlich strebt "Die Chefin", so der Titel und der einzige Name der Protagonistin im Buch, nach "einer immer einfacheren Küche". Mit Erfolg. Sie kocht sich aus kleinsten Verhältnissen in den Sterne-Olymp Frankreichs, um am Ende dann aber doch ihr Lebenswerk scheitern zu sehen. Marie NDiaye lässt dies alles einen haltlosen Bewunderer und Mitarbeiter berichten, der seine Chefin wie eine Heilige verehrt. Auch deshalb ist die Sprache längst nicht so schnörkellos wie die so wunderbar beschriebenen Gerichte ("Die Chefin. Roman einer Köchin", Suhrkamp, 333 S., 22 Euro).

In "Die Welt der Crêpe" entführen Lisa Gnirss und Zéa Schaad bei Fona (144 S., 24,90 Euro) mit tollen Rezepten und diversen Falttechniken. Das ist viel, aber längst nicht alles. Man muss über dieses Buch auch wissen, dass es enorm mutig ist, wie es schon beim grellen Cover einen auf dem Buchmarkt so raren Eigensinn zeigt. Wie es sich mit seinen grafischen Neuinterpretationen zum Kunststück aufschwingt und verkündet, dass die Welt doch eine Scheibe ist. Denn die Crêpes oder Pfannkuchen oder Baghrier – die nordafrikanische Ver­sion – werden in den zauberhaften Zeichnungen Zéa Schaads durch praktisch jede Lebenslage durchdekliniert: Als Satel­litenscheibe, als Tellerrock, als Schneeschaufel, als Schallplattenteller.

Einzig Paul Bocuse gelang es, seine drei Michelin-Sterne länger zu halten als Mark Haeberlin mit seinem Res­taurant Auberge de l’Ill in Illhäusern. Dort, im Elsass, kann der Küchengott nicht nur auf legendäre Erfolge und Aus­zeichnungen, sondern auch auf eine lange Familientradition zurückblicken. Die würdigt der Sohn einer Kochlegende – sein Vater Paul gründete die Auberge – natürlich auch etwa mit dem "Froschschenkel-Mousseline nach Paul Haeberlin", für die sein Vater schon 1965 mit den Prix de la poele d'or ­ausgezeichnet wurde. Die lesenswerte Sammlung von ­Re­zepten, Interviews, kurzen Essays zu den jeweiligen ­Ge­richten und zur Philosophie der Haeberlinschen Küche ist nicht nur für Feinschmecker eine Offenbarung – und eine ­ausgezeichnete Geschenkidee (SZ Gourmet Edition: "Die Kochlegende Marc Haeberlin", Tre Torri, 240 S., 39,90 Euro)

Alain Ducasse ist der einzige Koch, der gleichzeitig für je drei seiner Restaurants mit je drei Sternen die Höchstwertung vom Guide Michelin erhielt. Weltweit führt er gleich mehrere Res­taurants, Hotels und Bistros und schreibt nebenbei immer auch Kochbücher, die alle zu Klassikern und Bestsellern wurden. Auch sein neues Werk wird sicher mit dem Hoch­geschwindigkeitsaufzug an die Spitze der Publikumsgunst ­rauschen ("­Ducasse Nature II", Hädecke, 378 S., 34 Euro). ­Gemeinsam mit seinem Chefkoch Christophe Saintagne und der Ernährungswissenschaftlerin Paule Neyrat plädiert Alain Ducasse nämlich hier für eine Küche, die "gesund, achtsam, authentisch, den Jahreszeiten angepasst, ehrlich" ist, und liefert mit anregenden, köstlichen und raffiniert-einfachen Rezepten gleich die überzeugende Praxis zur Theorie. Gekocht wird entlang der Jahreszeiten mit den dafür typischen Produkten, denen jeweils auch ein "Genussportrait" gewidmet wird. Präsentiert wird das alles fast spielerisch und sehr entspannt mit kleinen Illustrationen und tollen Fotos zu jedem Gericht. Aber auch so, dass man den enormen Aufwand spürt, mit dem hier gearbeitet wurde, und sich über ein wirklich gutes Preis-Leistungs-Verhältnis freuen kann.

"Patisserie vom Feinsten" heißt ein neues Buch bei Gers­tenberg (292 S., 28 Euro) – und das ist es wirklich: vom Feinsten. Knuspriger Blätterteig, traumhafter Hefeteig und göttliche Biskuitmasse – hier kann man zwei Meistern der Patisserie über die Schulter blicken: Damien Duquesne und Regis Garnaud. In perfekt choreografierten Schritt-für-Schritt-Fotos präsentieren sie entlang der verschiedenen Grundteige 85 Ikonen französischer Backkunst, darunter Macarons und Süßspeisen wie das legendäre Paris-Brest, das von dem Radrennen Paris-Brest inspiriert wurde und an einen Fahrradreifen erinnern soll. Wer deshalb geschmackliche Bedenken hat: Alan Richman von der Zeitung "Gentlemen's Quarterly" wählte das Cremegebäck zum besten Dessert 2010.

Ebenfalls 2010 nahm die Unesco das mehrgängige Mahl in Frankreich einschließlich seiner Riten in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes auf. Begründung? Findet sich im Buch "Die geheimen Schätze der französischen Küche" von Murielle Rousseau (BusseSeewald, 176 S., 24,95 Euro). Rousseau zeigt, was Essen im besten Fall auch ist: eine Familienangelegenheit, ein emotionales Epizentrum, ein Glück, von dem man nicht genug bekommen kann, weshalb man stundenlang zu Tische sitzt. Hier mit Gerichten etwa aus dem "Manuel de cuisine" der Großmutter der Autorin. Die ­Rezepte sind einfach und doch raffiniert, so wie das Blauschimmelkäse-Gratin mit Feigen.

Ausgerechnet in Frankreich auf Fleisch, Käse, Milch und Ei verzichten? Kein Wunder, wenn der Veganismus in Frankreich nicht gerade Erfolgsgeschichte schreibt. Auch Vegetarier haben es schwer, obwohl die Küche mehr als ausreichende Möglichkeiten hergibt, auch ohne Fleisch ziemlich glücklich zu werden, wie Heike Kügler-Anger in ihrem Buch "Französisch vegetarisch. Veggie cuisine à la française" überzeugend nachweist (pala, 192 S., 19,90 Euro). Liebevoll und kenntnisreich beschreibt sie einzelne Regionen und ihre Spezialitäten und liefert dazu die leckersten Rezepte wie "Zuckerschotentarte  mit Camembertkruste" oder "Lauch-Kartoffelsuppe mit Apfel-Confit".

"Bon appétit!" – damit pflegte Amerikas legendäre Fernsehköchin Julia Child ihre Sendung zu beenden. Die Frau eines US-Diplomaten im Paris der ausgehenden 40er Jahre hatte sich mit dem Besuch der Kochschule "Le Cordon Bleu" einen Traum erfüllt und als leidenschaftliche Verehrerin der "Kunst des französischen Kochens" den missionarischen Auftrag verspürt, ihre Landsleute an ihren Kenntnissen, aber auch an ihrer Koch-Philosophie teilhaben zu lassen. Dabei hielt sie die Zugangsvoraussetzungen immer erfreulich niedrig. "Wenn Sie lesen können, können Sie auch kochen!", so ihr charmantes Credo. Julia Child unterrichtete aber nicht nur Kochen, sondern auch Entspanntheit und Menschlichkeit. Typisch für sie war der Satz: "Es gibt immer einen Weg, eine Mahlzeit zu retten – solange Sie alleine in der Küche sind", vor laufender Kamera ausgesprochen, nachdem sie einen beim Wenden auf den Boden gelandeten Teig wieder zurück in die Pfanne geschoben hatte. Dass ihr Standardwerk "Mastering the Art of French Cooking" nun erstmals auf Deutsch erscheint, ist deshalb nicht nur wegen der Rezepte ein großes Glück ("Französisch kochen", Echtzeit Verlag, 700 S., 54 Euro).