Gastspiel

Hamlet oder Happel

29. März 2012
von Börsenblatt
Nicht alle Kopfbälle landen im Tor. Rainer Moritz fürchtet sich vor Sportbüchern.

Der Sport ist selbstverständlicher Bestandteil der kulturellen und literarischen Debatten. Jenseits der – wie sagt man so schön – "Ergebnisberichterstattung" ist es gang und gäbe, dem Sport ein intellektuelles Unterfutter zu geben, mit dem man sich auch als Akademiker mühelos in der Öffentlichkeit zeigen kann. Galt es früher als Manko, wenn man als Borussia-Dortmund- oder Sebastian-Vettel-Anhänger eine Anstellung in kulturellen Institutionen oder Literaturmagazinen finden wollte, so scheint es heute ohne vitales Interesse für Sport nahezu undenkbar, im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen" oder "Süddeutschen Zeitung" unterzukommen.

Das war nicht immer so. Zwar gab es stets Künstler und Geisteswissenschaftler, die sich offen zu ihrem Sportfaible bekannten. Bertolt Brechts Betrachtungen übers Boxen werden gern zitiert; Friedrich Torberg war ein passabler Wasserballer; Siegfried Lenz übte sich im Speerwerfen, Per Olov Enquist gar im Stabhochsprung, Jean Giraudoux lief respektable Zeiten über 400 Meter, und nicht wenige Autoren waren aktive Fußballer, häufig auf der Torhüterposition wie Albert Camus, Vladimir Nabokov oder Henri de Montherlant, wo man – wie uns Peter Handke einzureden versuchte – beim Elfmeter von starken Angstgefühlen heimgesucht wird.

Wer auf intellektuellem Terrain freilich Boden gutmachen wollte, scheute lange Zeit die Stadien und Arenen. Gewiss, es gab Ausnahmen: 1974 etwa brachten Ludwig Harig und Dieter Kühn den berühmt gewordenen Sammelband "Netzer kam aus der Tiefe des Raumes" heraus, dessen magischer Titel auf einen Aufsatz des Literaturwissenschaftlers Karl Heinz Bohrer zurückgeht.

Die Dämme brachen jedoch erst Anfang der 1990er Jahre, als Ballexegeten wie Günter-Netzer-Biograf Helmut Böttiger ("Diese langen Haare wollten mehr") oder Dirk Schümer die Feuilletonisierung des Sports einleiteten. Wer einmal in der Jugend einen Ball in die Hand genommen hatte, begann plötzlich seine Reflexionen darüber aufzuschreiben – ganz abgesehen vom endlosen, von Gerd Müller bis Philipp Lahm reichenden Strom der beklagenswerten Sportlerautobiografien.

Keiner wollte sich mehr an Hans Ulrich Gumbrechts Diktum "Niemand auf Schalke liest Suhrkamp-Bücher" halten, und so walzt zu Olympischen Spielen und großen Fußballturnieren eine Armada von sportiven Werken durch die Buchhandlungen. Manches davon ist rühmenswert, Christoph Biermanns Fußballanalysen etwa oder Thomas Pletzingers "Gentlemen, wir stehen am Abgrund", das sogar Basketballbanausen die Faszination des Körbewerfens vermittelt. Und nicht zuletzt die Fußballessays des Wiener Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler, die in diesen Tagen unter dem glasklaren Titel "Hamlet oder Happel" postum erscheinen und etwa solche Sätze enthalten: "Wie Shakespeares 'Hamlet' oder Lessings 'Minna von Barnhelm' ausgehen, weiß ich, wie aber das nächste Derby zwischen Rapid und Austria ausgeht, weiß ich nicht. Der ästhetische wie dramaturgische Vorsprung des Hanappi-Stadions vor dem Burgtheater ist kategorial."
Dem ist wenig hinzuzufügen, außer einer unüberbietbaren Sentenz Jean-Paul Sartres: "Beim Fußball verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft." Wohl wahr!

Lesen Sie mehr zum Thema in unserem "Extra Sport" im aktuellen Börsenblatt, Heft 13.