Gastspiel

Bestsellerkandidaten backen

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Sind die Pseudonyme bei Thomas Steinfeld und Jörg Bong Anzeichen für neue Verlagsstrategien? Rainer Moritz über den "Sturm" im feuilletonistischen Wasserglas.

Dass man fiktionale Figuren nicht mit realen Menschen verwechseln darf, gehört zum literaturwissenschaftlichen Klippschulwissen. Doch in der Praxis verspüren selbst professionelle Leser das unwiderstehliche Bedürfnis, aus Romanen Schlüsselromane zu machen und nach Vorbildern zu fahnden. Davon zehrt die Literaturgeschichte seit jeher – von Thomas Manns »Buddenbrooks« bis zu Thomas Bernhards »Holzfällen«.

Auch der Schwedenkrimi »Sturm«, den der S. Fischer Verlag unter dem Pseudonym Per Johansson soeben veröffentlicht hat, fällt auf den ersten Blick in diese Rubrik. War Fischer-Verlagsleiter Jörg Bong kurz zuvor als Jean-Luc Bannalec (»Bretonische Verhältnisse«) furios ins leichte Fach gewechselt, so wollte es ihm sein Autor, »SZ«-Feuilletonchef Thomas Steinfeld, nachtun und gönnte sich mit »Sturm« eine Atempause von seinen kulturwissenschaftlichen Reflexionen. Dagegen wäre und ist nichts zu sagen, auch wenn es heutzutage ein wenig albern anmutet, wenn um ihren seriösen Ruf bangende Intellektuelle immer noch meinen, sich hinter Pseudonymen verschanzen zu müssen, wenn sie nicht über Agamben, Sloterdijk oder Blumenberg schreiben.

An diesem Sturm im feuilleto­nis­tischen Wasserglas ist dreierlei bemerkenswert. Zum einen, wie ungeschickt der S. Fischer Verlag – fast in Unkenntnis des Romaninhalts, wie man im Nachhinein mutmaßen möchte – das Marketing dieses Titels angepackt hat. Zu Pseudonymen haben Autoren immer schon, aus unterschiedlichen Gründen, gegriffen – und sei es nur wie Hans Magnus Enzensberger anmerkte, um »seine Ruhe« zu haben. Doch wenn man eine lächerliche Autorenvita zusammenschustert, so tut, als sei das Werk aus dem Schwedischen übersetzt, und den mit Steinfeld gut bekannten Nobelpreisträger Orhan Pamuk um eine Lobeshymne auf einen ihm offensichtlich nicht vertrauten Text bittet, dann darf man – freundlich gesagt – von unbedarfter Buchhändler- und Lesertäuschung sprechen. Dass die zweite Auflage das nun alles rückgängig macht, erhöht die Absurdität des Vorgangs.

Zum anderen ist es erstaunlich, dass der kluge Thomas Steinfeld weiter den einsamen Rufer in der Wüste gibt, die Lesart fast aller seiner Kollegen als »völligen Blödsinn« abtut und nicht einräumen mag, dass er natürlich an seinen Ex-Chef Frank Schirrmacher dachte, als er seinen unsympathischen Helden Christian Meier auf unschöne Weise ins Jenseits beförderte. Der sei eine »rein abstrakte Figur«, ausgedacht vom »nicht normalen Ich« des Autors Steinfeld. Dem ist wenig hinzuzufügen.

Zum Dritten – darauf wies Elmar Krekeler in der »Welt« hin – deuten die Muster Bong / Bannalec und Johansson / Steinfeld womöglich auf einen Strategiewechsel hin. Wo Verleger und Buchhändler mehr denn je über dürftige Umsätze klagen, da wächst die Sehnsucht nach nicht erklärungsbedürftigen Titeln, die sich passgenau in Marketingkampagnen einfügen lassen. Da ernst zu nehmende Schriftsteller indes zur Versponnenheit und zum Eigensinn neigen, tut Abhilfe not.

Warum sich also seine Bestsellerkandidaten nicht backen, die Bücher in verlagsinternen Workshops selber schreiben oder vermehrt Auftragsarbeiten vergeben? Das erspart Zeit und Müh und scheint ein segensreiches Mittel, der Flaute zu entkommen. Dass das mit Literatur nichts zu tun hat und – siehe Per Johanssons »Sturm« – nicht auf Anhieb klappt, sollte man nicht überbewerten …