Gastspiel

Eine größere Aufgabe

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Vom Unterschied zwischen Erfolg und Erfüllung. 
Peter Kraus vom Cleff über ehrenamtliche Arbeit.
"Für Eile fehlt mir die Zeit", so titelte unser Erfolgsautor Horst Evers. Oft erscheint es so, als fehle es uns allen an Zeit für alles – umso verblüffter schauen wir einen Mitmenschen an, wenn dieser mit oft leuchtenden Augen von seinen ehrenamtlichen Aktivitäten erzählt.

Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen Erfolg und Erfüllung. Erfolg kann verstanden werden als messbare Größe (mit Niederschlag in Titel, Status, Gehalt, Hubraum des Dienstwagens etc.). Erfüllung hingegen ist schwerer greifbar, reflektiert – etwas überspitzt dargestellt – unseren spirituellen Hunger, unseren Wunsch, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Erfüllung erfahren wir also nicht etwa durch einen (über)vollen Terminkalender, sondern in dem Maße, in dem wir glauben, uns einer größeren Aufgabe gewidmet zu haben.

Gerade in Zeiten der Krisen, Umbrüche, Transformationen und schier unermesslicher Zerstreuungsangebote sehnen wir uns nach Sinn, leidenschaftlichem Miteinander, einem Aussteigen aus dem (oft selbst geschaffenen) Hamsterrad. Was uns vom Hamster unterscheidet, ist, dass wir uns selbst ein Bild von unserer eigenen Zukunft machen können. Mit diesem Bild im Kopf und im Herzen finden wir neben dem Streben nach Erfolg auch einen Weg zu unserer Erfüllung.

Mit anderen Worten: Wir sollten mal den Fernseher ausschalten, das mobile Kommunikationsgerät aus der Hand legen, nicht vor der Ruhe flüchten und nicht das Alleinsein scheuen. Fragen sollten wir stattdessen: Was ist für mich Erfolg? Vor allem aber: Was erfüllt mich?

Bevor Ihnen das alles zu esoterisch, zu spirituell daherkommt, mal eine rein ökonomische Frage: Wenn Zeit unser knappstes, flüchtigstes Gut ist, wie gehen wir am besten mit ihr um? Wie investieren oder verschwenden wir unsere Zeit?

Hierbei kann eine Stunde des Innehaltens, des In-uns-Lauschens, des versunkenen Lesens, des intensiven Meinungsaustauschs mit Freunden, Gleichgesinnten oder (vermeintlichen) Gegnern eine bessere, langfristigere Rendite bringen als atemloses Multitasking, als gleichzeitiges Klimpern auf allen Klaviaturen. Andersherum: Erfüllte Zeit ist wertvolle Zeit, Müdigkeit nach einer erfüllenden Tätigkeit ist eine andere, schönere, tiefere Müdigkeit als von achtlosem, sinnfremdem Tun herrührende Ermattung.

Das ehrenamtliche Engagement kann ein guter Baustein für Erfüllung sein, wenn man sich darauf einlässt. Es bietet eine Chance, unsere Begabungen, Energien, unseren inneren Reichtum in ein größeres Ganzes einzubringen.

Eine ehrenamtliche Tätigkeit schafft neben dem beruflichen, professionellen Umfeld eine weitere, zusätzliche Möglichkeit, anderen wertschätzend, aufgeschlossen, fürsorglich und liebevoll zu begegnen und somit an horizonterweiternden Erfahrungen hinzuzugewinnen.

"Der eine mag gern Senf, der andere grüne Seife", so brachte Erich Kästner zum Ausdruck, dass wir nicht immer nachvollziehen können, was einen anderen an einer bestimmten Angelegenheit begeistert. Dies gilt gewiss und nicht zuletzt fürs Ehrenamt. Niemand muss sich rechtfertigen, wenn er ehrenamtlich für den Rassegeflügelverein, die Nachbarschaftshilfe, die Lesepaten, das Hospiz, den Kundalini-Yoga-Zirkel, die St.Pauli-Fangruppe, die Kirchengemeinde oder den Börsenverein des Deutschen Buchhandels tätig ist – Hauptsache, es erfüllt ihn, hilft anderen!