Geschwister-Scholl-Preis an Achille Mbembe

Ein Preis als "echte Quelle der Hoffnung"

1. Dezember 2015
von Börsenblatt
Gegen Rassismus und ökonomische Versklavung: Für sein Buch "Kritik der schwarzen Vernunft" ist Achille Mbembe gestern in München mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet worden. Ein starker Preisträger - und Worte der Zuversicht in eher trostlosen Zeiten.

Nein, man kann nicht behaupten, dass die Jury für den Geschwister-Scholl-Preis dem Zeitgeist hinterherhechelt. Sie hat in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, dass sie Ernst macht mit dem Ziel, ein Buch auszuzeichnen, das Werte wie bürgerliche Freiheit hochhält, moralischen, intellektuellen wie ästhetischen Mut beweist und dabei auch Gegenwartsprobleme anpackt. Man denke an Liao Yiwu, den unerschrockenen chinesischen Dissidenten, an Jürgen Dehmers, der den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule schonungslos dokumentierte oder an Glenn Greenwald, der ohne Wenn und Aber dem Whistleblower Edward Snowden mit journalistischer Tatkraft zur Seite stand.

Dieses Jahr hat die Jury den Sprung auf den sogenannten dritten Kontinent gewagt und Achille Mbembe für sein Buch "Kritik der schwarzen Vernunft" ausgezeichnet. In diesem Fall hat man den Suhrkamp Verlag zu recht mit aufs Podest gehoben. Denn der Titel wurde aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt, bevor es überhaupt eine englische Fassung gab.

Von Sklaven und Arbeitsnomaden

Der in Kamerun geborene Historiker und Polit-Philosoph Achille Mbembe geht in seinem Buch dem Begriff "Neger" und seiner Bedeutung nach - und zeigt den wirtschaftlichen Nutzen auf, den Europa und die USA durch die Versklavung gehabt haben. Doch auch unsere Zeit rückt in den Fokus seiner Analysen: Die globalisierte Ökonomie mache aus allen werktätigen Menschen – egal ob weiß oder schwarz – moderne Sklaven. Mbembe nennt sie Arbeitsnomaden.

Beim Festakt, der am Montagabend in der großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität stattfand, stand diesmal allein das gesprochene Wort im Vordergrund – auf musikalische Zwischenspiele wurde verzichtet.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter ging gleich auf die Verbindung zwischen Mbembes Buch und einer höchst aktuellen Entwicklung ein: die Fluchtbewegung aus afrikanischen Ländern. Das Mittelmeer sei für Tausende von Flüchtlingen zum Massengrab geworden, so Reiter. Wer hat das Recht, diese Menschen zurückzuweisen? Wer nimmt die Verantwortung auf sich für den Tod so vieler Verzweifelter?

Die Folgen des europäischen Kolonialismus

Dieter Reiter gab zweifach Antwort: Zuerst verwies er auf den doch "übersichtlichen Entwicklungshilfebeitrag", den Industrienationen wie Deutschland leisten würden. Und dann merkte er an, dass das Problem der Massenflucht aus afrikanischen Ländern geschichtliche Wurzeln habe: "Mit dem kamerunischen Historiker und politischen Philosophen Achille Mbembe und seinem Buch "Kritik der schwarzen Vernunft" rücken heuer erstmals der afrikanische Kontinent und die Folgen des europäischen Kolonialismus in den Fokus des Preises."

Michael Then, als Vorsitzender des Landesverbands Bayern im Börsenverein Gastgeber der Veranstaltung, verwies ebenfalls auf die Aktualität von Achille Mbembes Buch. In dem Werk gehe es um die Begriffe "Rasse" und "Rassismus", aber auch um die prinzipielle Ausbeutung und Ausbeutbarkeit der Menschen. "Denn die Schere zwischen Arm und Reich wird mit jedem Tag größer. Den damit verbundenen Rassismus zu benennen, erfordert Mut, angesichts der Macht des Kapitals und der sogenannten Bedrohung Europas."

"Ihr großer Essay ist ein Weckruf"

Michael Thens Fazit war dann direkt an den Autor gerichtet: "Ihr großer Essay ist ein Weckruf - für eine bessere Welt, die den afrikanischen Völkern endlich Gerechtigkeit und Zukunft bringen soll. Die Wirklichkeit auf Lampedusa, auf dem Mittelmeer, in Nigeria, in Burindi, Mali, Somalia und bei uns zeigt: Ihr Buch ist nötiger denn je."

Laudator an diesem Abend war Paul Gilroy, Professor am King’s College London. Seine Forschungsschwerpunkte sind Cultural Studies und die Kultur der afrikanischen Diaspora. Gilroy griff einen Gedanken des deutschen Philosophen Hans-Georg Gadamer auf: Intellektuelle sollten "Dolmetscher" sein, indem sie sich in mehreren, oft durch Gegensätze geprägten Welten bewegen könnten.

Achille Mbembe sei ein solcher intellektueller Dolmetscher, der zwischen Europa und Afrika zu vermitteln suche und dabei neue Wege aufzeichne. Diese neuen Wege müssten vor allem aus der jetzigen prekären Lage herausführen. Paul Gilroy nennt dieses Phänomen "ultra-nationalen und fremdenfeindlichen Rassismus" und "Neo-Faschismus". Achille Mbemebes "Kritik der schwarzen Vernunft" sucht aus diesem Dilemma, aus dieser Bedrohung einen Ausweg im Miteinander.

"Das große Weltlaboratorium unserer Zeit"

Der Preisträger selbst hielt sich kurz, war sichtlich bewegt, dass er und sein Buch mit dem diesjährigen Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet wurden. Afrika ist für Mbembe das "große Weltlaboratorium unserer Zeit" – und die Preisverleihung in München eine "echte Quelle der Hoffnung". Denn der Kampf gegen einen globalisierten Rassismus, gegen den Versuch der Ökonomie, Menschen als "Arbeitsnomaden" zu begreifen, müsse von Europa, Afrika und der ganzen Welt getragen werden.