Literatur im Comicformat

Einer, der auf Konventionen pfeift
Für die Comic-Adaption von Erich Mühsams Tage­büchern hat sich Jan Bachmann Textpassagen herausgesucht, die zwischen August und Oktober 1910 entstanden sind. Als Dichter suchte Mühsam den Beifall bürgerlicher Kreise, gleichzeitig wollte er anarchistisch aktiv sein. Anhand geistreicher Zitate zeichnet Bachmann diesen Spagat nach – ebenso wie Mühsams chronische Geldsorgen, sein Werben um Frauen, die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt.
 
Jan Bachmann: "Mühsam. Anarchist in Anführungs­strichen", Edition Moderne, 96 S., 19 €

Das Trauma der Oktoberrevolution
Mehr als ein halbes Jahrhundert lang beschäftigten sich die Medien mit einer Frau, die vorgab, die Zarentochter Anastasia zu sein und die Morde an der Herrscherfamilie überlebt zu haben. Schwartz spürt ihrer Geschichte und der von Gleb Botkin nach, einem Mitschüler der Zarentochter: Er versucht, in der falschen Anastasia die echte zu erkennen und unterstützt sie. In Zeitsprüngen lässt der Zeichner drei Handlungsstränge auf einen Punkt zulaufen. Damit macht er die Geschichte und das Trauma der Oktoberrevolution greifbar.
 
Simon Schwartz: "Ikon", Avant Verlag, 216 S., 25 €

Ermittlungen der anderen Art
Dirk Gently ist ein ganz besonderer Privatdetektiv:
Als holistischer Ermittler erkennt er Muster und Verbindungen, die sonst niemand sieht. Dementsprechend skurril sind seine Fälle, in denen es um wiedergeborene ägyptische Götter oder das Innenleben eines Nashorns geht. Der unvergessene Douglas Adams schuf mit seinem gleichnamigen Roman die Idee für die Serie auf Netflix – und damit auch für diese schön schräge Comicserie.
 
Arvind Ethan David, Ilias Kyriazis, Tony Atkins: "Dirk Gentlys holistische Detektei. Ein zu kurzer Löffel", Band 2, Panini, 128 S., 17 €

Raue Schale, weicher Kern
Erst als der Vater im Sterben liegt, teilt er seinem Sohn mit, dass es da noch eine Halbschwester gibt. Der junge Mann, der den väterlichen Friseursalon weiterführt, trägt noch schwer an der Verletzung, dass der Vater die Familie einst verlassen hat. Und seine neu entdeckte Halbschwester ist verwundert darüber, dass es da bereits ein Familienleben vor dem ihren gab. Ruan zeichnet den Friseurladen als Mikrokosmos – mit skurrilen, liebenswerten Charakteren, die letztlich doch eine Gemeinschaft bilden. Und er erzählt in Rückblenden die Geschichten hinter den Narben.
 
Guangmin Ruan: "Donghuachun Friseursalon", Chinabooks, 430 S., 23 €

Der Wahrheit eine Gasse
Markus Köninger setzt Rafik Schamis Erzählung vom dichtenden Bäckerjungen aus Damaskus behutsam in Szene, kontrastiert das Erwachsenwerden und das Leben in der Stadt mit Putsch und politischer Verfolgung. Gegen die Repressionen wehren sich
der Held und seine Freunde mit illegalen Zeitungen.
 
Rafik Schami, Markus Köninger: "Eine Hand voller Sterne", Beltz & Gelberg, 144 S., 16,95 €

Finsteres aus der Berliner Szene
Früher war das Leben exklusiver und exzessiver, meint die Berliner Schickeria von heute – und sucht ethisch fragwürdige Kicks. Durch eine Geheimtinktur, entwendet bei einer Voodoo-Ausstellung, wird ein toter Partylöwe der 80er Jahre wieder lebendig. Isabel Kreitz zeigt selbstverliebte Akteure, die noch einige Rechnungen offen haben. Die Gruselstory ist der Auftakt zu einer Reihe kurzer Graphic Novels deutschsprachiger Autoren, die Kreitz kuratiert.
 
Sarah Khan, Isabel Kreitz: "Den Nachfolgern im Nachtleben", Carlsen, 64 S., 12 €

Ein göttlicher Roadtrip
Der schicksalsgebeutelte Shadow bekommt ein Jobangebot als Leibwächter und gerät so nichtsahnend in einen Konflikt uralter Götter. Gaimans Fantasybestseller erfährt hier eine werkgetreue und packende Comicumsetzung. Band 2 von sechs ist gerade erschienen, passend zum Start der zweiten Staffel der Amazon-Prime-Serie.
 
Neil Gaiman, P. Craig Russell, Scott Hampton: "American Gods. Schatten Buch 2/2", Band 2, Splitter, 144 S., 19,80 €

Biografie eines Ausnahmebergsteigers
Das außergewöhnliche Leben Reinhold Messners in Comicform zu erzählen, ist ein ehrgeiziges Projekt. Dennoch hat Michele Petrucci es geschafft, ausgewählte Stationen und Gedanken zu einem gelungenen Gesamtbild zusammenzufügen – mit feinen Aquarellzeichnungen, die die Welt des Bergsteigens und das Verhältnis des Sportlers zur Natur eindrucksvoll illustrieren.
 
Michele Petrucci: "Reinhold Messner. Das Leben eines Extrembergsteigers. Die Comic-Biografie", Knesebeck, 88 S., 22 €