Hamburger Erklärung fordert Bildungsoffensive

"Jedes Kind muss lesen lernen!"

14. August 2018
von Börsenblatt
In einer "Hamburger Erklärung" fordern Hamburger Persönlichkeiten aus Bildung, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft die Politik auf, mehr in die Bildung zu investieren, damit alle Kinder das Lesen lernen. Unterstützt wird die Initiative etwa vom PEN-Zentrum Deutschland − auf change.org kann die Petition unterzeichnet werden.

In ihrer "Hamburger Erklärung" , die sie heute veröffentlicht haben, beziehen sie sich die Unterzeichner auf die Internationale IGLU-Studie 2016, derzufolge knapp ein Fünftel der Zehnjährigen in Deutschland (18,9 Prozent) nicht so lesen kann, dass der Text dabei auch verstanden wird (siehe Archiv). Im internationalen Vergleich sei Deutschland damit seit 2001 von Platz 5 auf Platz 21 aller beteiligten Länder abgerutscht und liege unter dem EU- wie dem OECD-Durchschnitt. Initiiert wurde die "Hamburger Erklärung" von der Kinderbuchautorin Kirsten Boie.

Das Ziel ist es, zunächst ausgehend von Hamburg eine bundesweite Diskussion zum Thema Lesen anzuregen und über die Petitionsplattform change.org viele weitere Unterzeichner zu finden. Am 20. September, dem Welttag des Kindes, soll die Erklärung mit den Unterschriften an die Bildungsministerien der Länder, die Bundesbildungsministerin und die Kultusministerkonferenz übergeben werden, so die Initiatorin.

"Lesen ist noch immer DIE Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an der Gesellschaft", so die "Hamburger Erklärung" weiter. "Die betroffenen 18,9 % der Kinder werden einmal unsere Erwachsenen sein. Neben den Folgen, die eine fehlende Lesefähigkeit für jeden einzelnen von ihnen haben wird, sind auch die Folgen für die Gesellschaft insgesamt erschreckend. Ohne die Möglichkeit, einen qualifizierten Beruf zu erlernen, werden die meisten dieser Menschen vermutlich jahrzehntelang auf staatliche Unterstützung angewiesen sein."

Die Erklärung fährt fort: "Umso wichtiger, dass JETZT in die Bildungspolitik investiert wird. Die 16 Länder, die Deutschland im Ranking seit 2001 überholt haben, beweisen, dass und wie es möglich ist, die Lesefähigkeit aller Kinder signifikant zu steigern. Ein Land wie Deutschland, dessen wichtigste wirtschaftliche Ressource ein hoher Bildungsstand seiner Bevölkerung ist, kann das Thema nicht länger marginalisieren. Der Verweis auf gewachsene Probleme in der Schülerschaft reicht nicht aus. Auf die Analyse muss die Lösung folgen, und diese Lösung darf nicht länger an Elternhäuser und Ehrenamtliche delegiert werden. Nur die Schule erreicht wirklich alle Kinder. Die Unterzeichner fordern die Politik in allen Bundesländern, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, die Kultusministerkonferenz und die Bildungsminister aller Bundesländer daher dazu auf, für folgende Punkte Sorge zu tragen:

  • Das Lesenlernen und Lesen muss sehr viel stärker in den Focus der Bildungspolitik rücken.
  • An den Grundschulen müssen frühzeitig Fördermaßnahmen in Kleingruppen eingeführt werden, die sich auf die reichlich vorliegenden Erkenntnisse der Leseforschung und die Erfahrungen der Lehrer stützen.
  • Diese Förderstunden dürfen nicht für Vertretungsunterricht zweckentfremdet werden.
  • Es müssen ausreichend Grundschullehrer eingestellt werden, um dieses Ziel umzusetzen. Das heißt: An den Hochschulen müssen deutlich mehr Studienplätze für die Lehrerausbildung geschaffen werden.
  • Es muss Schulbibliotheken, Lesungen und Lektüreprogramme gerade auch an solchen Schulen geben, deren Schülerschaft eher bildungsfern ist. Die Lektüre altersgerechter Bücher vermittelt die Fähigkeit, komplexere Zusammenhänge aus längeren Texten zu entnehmen. So kann man später zum Beispiel Zeitungsartikel lesen und verstehen.
  • Für all diese Zwecke müssen jetzt genügend Mittel in den Haushalten ausgewiesen werden. Das Lesen darf nicht den derzeitigen (kosten)intensiven Bemühungen um die Digitalisierung der Schulen zum Opfer fallen.

Unverbindliche Absichtserklärungen reichen nicht mehr aus. Deutsche Grundschulen müssen es schaffen, alle Kinder das Lesen zu lehren!"

Als Erstunterzeichner stehen unter der "Hamburger Erklärung":

Christian Berg, Kindermusicalproduzent und Autor

Dr. Kirsten Boie, Kinderbuchautorin

Prof. Birgit Dankert, Bibliotheks- und Informationswissenschaftlerin

Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg

Dr. Dagmar Gausmann-Läpple, Gründerin und Geschäftsführerin Kinderbuchhaus im Altonaer Museum

Prof. Dr. Michael Göring, Vorstandsvorsitzender ZEIT-Stiftung und Autor

Dr. Ulla Hahn, Autorin

Nikolaus Hansen, Harbourfront Literaturfestival Hamburg, Festivalleitung

Thomas Helfer, Vorsitzender Mentor. Die Leselernhelfer, Hamburg

Prof. Dr. Petra Hüttis-Graff, Universität Hamburg, Didaktik der deutschen Sprache und Literatur

Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert, Professorin für Bibliotheks- und Informationsmanagement an der HAW Hamburg

Nina Kuhn-Moritz, Vorsitzende Seiteneinsteiger e.V. Hamburg

Dr. Stephan Loos, Direktor Katholische Akademie Hamburg

Prof. Dr. Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg, Autor

Prof. Dr. Astrid Müller, Universität Hamburg, Didaktik der deutschen Sprache und Literatur

Alexander Röder, Hauptpastor St. Michaelis

Sybil Gräfin Schönfeldt, Autorin und Journalistin

Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort, Ärztlicher Leiter Zentrum für Psychosoziale Medizin im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf; Ärztlicher Direktor Klinik Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und –psychosomatik

Hella Schwemer-Martienßen, Bibliotheksdirektorin

Saša Stanišić, Autor

Bettina Tietjen, Moderatorin

Dr. Regula Venske, Schriftstellerin, Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland

Ulrich Wickert, Journalist und Autor

Prof. Dr. Thomas Zabka, Universität Hamburg, Didaktik der deutschen Sprache und Literatur