In eigener Sache

Börsenblatt mit Schwerpunkt zum Umgang mit rechten Strömungen

6. Dezember 2017
von Börsenblatt
Wie soll man mit rechtsextremen, antidemokratischen Meinungen umgehen, die einem im Berufsalltag begegnen? Die Meinungen in der Buchbranche darüber gehen auseinander. Grundsatzfragen müssen diskutiert werden: Was ist erlaubt? Was nicht? Eine faktenbasierte Orientierungshilfe bei der Suche nach Antworten und ein Stimmungsbild abseits der lautstark vorgetragenen Parolen bietet das Fachmagazin Börsenblatt jetzt mit dem Schwerpunkt "Rechts" in seiner aktuellen Ausgabe, die am Donnerstag, 7. Dezember, erscheint.

Wie soll man mit rechten Meinungen in der Buchbranche umgehen? Ist Toleranz im Sinne der Meinungsfreiheit gefragt oder gilt das Prinzip „Wehret den Anfängen“? Die Meinungen in der Buchbranche darüber gehen auseinander. Klar ist, es geht um weit mehr als die korrekte Aufarbeitung und Einordnung der Vorkommnisse rund um die Präsenz rechter Verlage auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.

Aufklärung zu Index & Co.

Erlaubt ist, was nicht verboten ist, heißt es oft in der Diskussion um die Meinungsfreiheit. Doch wer kann welche Publikationen verbieten? Dafür hat das Börsenblatt mit der zuständigen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) gesprochen. Im vergangenen Jahr sind dort insgesamt 519 Anträge und 464 so genannte Anregungen für die Indexierung von Titeln von einem Jugendamt oder einer anderen Behörde eingegangen. Die BPjM-Vorsitzende Martina Hannak-Meinke erklärt dazu: „Politischer Extremismus ist keine neue Erscheinung der Gegenwart. Aktuell hat aber extremistisches Gedankengut vor allem aus dem rechten Spektrum wieder Hochkonjunktur, Linksextremismus spielt derzeit eine Nebenrolle.“ Mit 101 erfolgten Indizierungen ist Rechtsextremismus inzwischen an die zweite Stelle der Indizierungsgründe geklettert. Diese Medien sind allerdings nicht generell verboten, sie dürfen lediglich Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden. Für ein allgemeines Verbot mit der Folge der Beschlagnahmung und Einziehung der Medien sind die Staatsanwaltschaften zuständig. Wer in Publikationen Straftatbestände wie Volksverhetzung als gegeben ansieht, kann sich damit an jede Polizeidienststelle wenden.

VS und PEN für Solidarität mit Buchmessen

Sollten Autoren und Verlage den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt fernbleiben, wenn rechte oder rechtsextreme Verlage dort ausstellen dürfen? Zu dieser Frage beziehen der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller VS und das PEN-Zentrum Deutschland auf Börsenblatt-Anfrage jetzt eindeutig Stellung. Dazu VS-Bundesvorsitzende Eva Leipprand: „Für Verbote sind Gerichte zuständig. Man kann und darf der Messe nicht die Rolle des Zensors zuschieben. Deshalb scheint dem VS ein Boykott von Buchmessen nicht der richtige Weg.“ PEN-Präsidentin Regula Venske ergänzt: „Wir fühlen uns mit den Verantwortlichen [der Messeleitungen in Leipzig und Frankfurt] solidarisch im gemeinsamen Anliegen für Vielfalt und friedlichen Diskurs verbunden. Die Frage eines Boykotts seitens der Autoren oder anderer Verlage stellt sich uns daher nicht.“

Börsenverein und Frankfurter Buchmesse fordern neue Debattenkultur

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bekräftigt in seinem Beitrag zum Börsenblatt-Schwerpunkt die Haltung des Verbands: „Wir werden auch in Zukunft Verlage zulassen, die nicht gegen Gesetze verstoßen, auch wenn uns ihre Positionen widerstreben.“ Diesen müsse man widersprechen, allerdings nicht mit Geschrei, Sachbeschädigungen oder gar Gewalt, sondern in Form einer Debatte. „Wir brauchen eine neue Debattenkultur. Diese muss vom Willen gekennzeichnet sein, durch Argumente Andere von unserer Meinung zu überzeugen, sowie von der Bereitschaft, uns vom Argument des Anderen überzeugen zu lassen.“

Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, unterstreicht im Interview, dass man als größte internationale Buchmesse keine Zensur ausüben werde. Derzeit führe man zahlreiche Gespräche mit Partnern und Kritikern, um die eigene Position noch deutlicher zu kommunizieren. Dabei müsse eines klar sei: „Das Phänomen, mit dem wir es hier zu tun haben, ist keines, das die Buchmesse lösen kann! Es betrifft die ganze Gesellschaft und insbesondere unsere Branche, die von Inhalten und Meinungen lebt“, so Boos.

Abwägung von Fall zu Fall

Wie sich das rechte Maß finden lässt, erklärt Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl von der Universität Lugano in seinem Gastbeitrag. Buchhändler und Verleger sollten rechtsgerichtete Kollegen zwar nicht vollends ignorieren, aber auch nicht in deren „Aufmerksamkeitsfallen“ tappen. „Wir dürfen rechten, antidemokratischen Kräften nicht die Möglichkeit bieten, mit ihren Provokationen omnipräsent zu sein“, so der Wissenschaftler. Dabei gelte es, die ganz spezifischen Herausforderungen im persönlichen wie institutionellen Umgang zu beachten. „Persönlich, individuell, kann, darf, sollte, ja, eigentlich: muss man(n) und frau gegen rechts engagierter Auftreten, als das auf der institutionellen Ebene möglich ist.“ Ein Patentrezept gebe es dafür nicht, lediglich Abwägungen von Fall zu Fall, für die oft die Zeit fehle – es sei denn, man ist auf die aufmerksamkeitsheischenden Provokationen gut vorbereitet. „Sonst ist nämlich die Gefahr groß, dass eine Überreaktion zu genau jener öffentlichen Aufmerksamkeit führt, auf welche es die Provokateure abgesehen haben“, so Russ-Mohl.

Praxis im Buchhandel

Nicht zuletzt kommen in der aktuellen Börsenblatt-Ausgabe auch die Buchhändler zu Wort. Sie erklären, wie sie reagieren, wenn Kunden Bücher bestellen, die rechtes Gedankengut transportieren. Während die einen das nicht „einfach kommentarlos schlucken“ wollen und das Gespräch suchen, bestellen andere auf Kundenwunsch und enthalten sich ihrer Meinung. Die individuelle Haltung der Sortimenter drückt sich in erster Linie durch die Gestaltung ihres Ladenangebots aus, weniger im Ablehnen von Kundenwünschen – für einige ist allerdings die Grenze erreicht, wenn das gewünschte Buch nicht bei einem Barsortiment lieferbar ist, sondern direkt bei einem rechten Verlag bestellt werden muss.