Interview mit Bernhard Kempen

"Aus Recht wird Zwang"

3. Juni 2011
von Börsenblatt
Die Forderungen nach einem Zweitverwertungsrecht sind populär, missachten aber die Persönlichkeitsrechte der Autoren und bringen Verlage langfristig in Schieflage. Kritisiert Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands.

Ein Zweitverwertungsrecht für Wissenschaftler – das klingt doch im ersten Moment verlockend: Ein Autor kann, auch wenn er die Rechte für eine Publikation an einen Verlag überträgt, selbst darüber bestimmen, ob er ein Werk nach spätestens sechs Monaten an anderer Stelle nicht-kommerziell veröffentlicht. Würde eine solche Gesetzesvorschrift den Autor nicht unabhängiger vom Verlag machen?
Kempen: Die Frage ist, wie dieses Recht ausgestaltet sein soll und wie es in der Praxis gehandhabt wird. Verstehen die Hochschulleitungen es nämlich als Einladung, ihre Wissenschaftler zur Zweitverwertung zu drängen, verkehrt es sich womöglich in sein Gegenteil: Es könnte sich als Eingriff in die privatautonome Gestaltungsfreiheit von Wissenschaftlern entpuppen. Aus dem Recht würde dann ein Zwang. Und das geltende Urheberrecht schützt auch die negative Publikationsfreiheit – das Recht, ein Werk nicht zu veröffentlichen.


Können Hochschulen denn ihre Professoren zwingen, das Zweitverwertungsrecht auszuüben? Immerhin handelt es sich doch um ein Recht …
Kempen: So argumentiert ja auch die Forschungsallianz. In Wahrheit wird es aber anders laufen. Die Hochschulleitungen werden darauf achten, dass Wissenschaftler von ihrem »Recht« auch Gebrauch machen, beispielsweise durch Zielvereinbarungen bei Neuberufungen oder Wiederverhandlungen.

Die Initiatoren eines Gesetzes zur Zweitverwertung argumentieren damit, dass auf diese Weise die Verbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse gefördert würde. Sie sprechen von einer »faktischen Monopolstellung« einzelner Zeitschriften und Verlage – auch durch exorbitant hohe Bezugspreise. Ist ein »barrierefreier Zugriff« auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit nicht ein nachvollziehbares Motiv?
Kempen: Es ist ein Gerücht, dass wir ein Problem mit der Verbreitung hätten. Alles, was durch Verlage publiziert wird, ist auch öffentlich zugänglich. Hier wird mit Scheinargumenten gearbeitet, um das eigentliche Motiv zu verdecken: Kosten zu sparen. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen sagen sich: »Wenn das unsere Leute veröffentlichen, dann müssen wir das nicht mehr bezahlen.« Dabei werden aber zwei wichtige Dinge übersehen:
1. Verlage spielen eine wichtige Mittlerrolle in der Wissenschaft. Viele wissenschaftliche Projekte gäbe es nicht, wenn nicht Verlage die Initiatoren wären. Und ob Server von Universitäten dasselbe zu leisten imstande wären – dahinter würde ich ein dickes Fragezeichen setzen.
2. Wissenschaftler müssen über ihr eigenes geistiges Eigentum verfügen können. Sie tragen auch die individuelle Verantwortung dafür, sie müssen für die Richtigkeit einstehen und setzen unter Umständen ihre Reputation aufs Spiel.

Rechnen Sie damit, dass die Initiativen Gesetz werden?
Kempen: Das lässt sich derzeit nur schwer einschätzen, zumal die Anhörungen dazu noch nicht stattgefunden haben. Ich bin gespannt, wie die Bundestagsabgeordneten diese Vorstöße bewerten. Die Lage in den Fraktionen ist sehr uneinheitlich – und erweckt manchmal den Eindruck, dass das notwendige Wissen um den Zweck des Urheberrechts fehlt. Denn wer den möglichst kostenfreien, globalen Zugang zu Inhalten fordert, bringt die Verlage in Schieflage und trägt dazu bei, dass sie nicht mehr in Projekte investieren. Die Wissenschaft würde langfristig ausbluten.

Interview: Michael Roesler-Graichen

 

Zweitverwertungsrecht
Im Interesse einer ungehinderten Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse fordert die Forschungsallianz – der unter anderen die DFG und die Max-Planck-Gesellschaft angehören – ein sogenanntes Zweitverwertungsrecht für wissenschaftliche Autoren: Es soll ihnen das Recht einräumen, Werke nach Ablauf einer Frist (sechs Monate) nicht-kommerziell auf dem Server einer Universität oder einer Forschungseinrichtung zu publizieren. Entsprechende Anträge zum Dritten Korb des Urheberrechtsgesetzes haben die Bundestagsfraktionen der SPD und der Linken eingebracht.