Interview mit der Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo

Eine Cinderella-Story

5. Juli 2016
von Börsenblatt
Sharon Dodua Otoo hat den Bachmann-Wettbewerb 2016 gewonnen. Ein Gespräch mit der Preisträgerin über ihren unerwarteten Erfolg in Klagenfurt, über Politik, Kunst und die Vorzüge des Lachens.  

Sie haben am Sonntag als völlig unbekannte Autorin den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten. Wie geht es Ihnen zwei Tage später, verändert sich Ihr Leben gerade?
Ja, mein Leben wurde total auf den Kopf gestellt. Ich bekomme gerade sehr viele Anfragen und muss lernen, wie ich damit umgehe. Zuvor, als Aktivistin, habe ich mich über jede Anfrage gefreut, damit verbunden waren neue Impulse für meine Arbeit. Jetzt geht es mir darum, eine Balance zwischen Familie und Arbeit zu finden. Für mich ist das ein bisschen wie eine Cinderella-Story: Meine Eltern kamen aus Ghana nach London – jetzt würde man sagen als Wirtschaftsmigranten – und ihre Tochter hat nun diesen Literaturpreis gewonnen.

Wird das Schreiben nun wichtiger, von der Nebensache zur Hauptsache?
Ich arbeite für den Verein RAA Berlin (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie). Das ist mein Brotberuf. Aber ich habe bei allem, was ich tue, immer versucht, mich mit den für mich wichtigen Themen zu beschäftigen: Anti-Diskriminierung, Empowerment. Es geht mir darum, mich für gesellschaftliche Veränderungen einzusetzen. Das tue ich auch in meiner Literatur. Ich sehe das nicht getrennt voneinander.

Sie wurden in London geboren und sind dort aufgewachsen. Was hat Sie nach Berlin verschlagen?
Ich war 1995 erstmals hier – während meines Germanistikstudiums. Es war so eine freie Stadt, alles schien möglich. 2006 kam ich wieder und bin geblieben. Man kann hier einerseits mit weniger Geld leben. Das andere ist ein bisschen schwierig zu erklären. Viele Schwarze wollen nur weg hier, nach London. Doch ich hatte immer das Gefühl in London: Etwas stimmt nicht. Es gab da unterschwellig doch immer eine Ablehnung, die wurde nur nicht so offen geäußert. Aber es existieren immer noch diese Hierarchien. In Deutschland war das deutlicher. Damit konnte ich besser umgehen.

Sie geben bei dem kleinen Verlag edition assemblage eine Buchreihe heraus mit emanzipatorischen Texten schwarzer Autoren und haben dort auch zwei Novellen veröffentlicht. Jetzt sind Sie bei der Agentur Graf & Graf unter Vertrag, die großen Verlage klopfen an. Wie gehen Sie damit um?
Für mich ist es zunächst einmal wichtig, ruhig zu bleiben und mich daran zu erinnern, wie ich zu dieser Autorin geworden bin und auch den Kontakt zu meinem Verlag edition assemblage aufrecht zu erhalten. Es wäre schön, wenn ich diesen Erfolg auch mit ihnen teilen könnte. Ohne diesen Verlag wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.

Sie haben bislang Englisch geschrieben, den Bachmann-Text „Herr Gröttrup setzt sich hin“ hingegen auf Deutsch. Geschah das schon mit Blick auf das Wettlesen?
Nein, ich habe den Text Ende 2014 geschrieben. Ich wurde gebeten, einen Text für eine Publikation zu schreiben, die nie zustande gekommen ist. Es ging mir darum, auf lustige Weise zu untersuchen, wie das ist mit den Perspektiven: Herr Gröttrup ist sehr genau, er kann alles beweisen und bemessen. Seine Frau hingegen ist sich da schon weniger sicher. Und dann gibt es die Möglichkeit, dass gar nichts gewiss ist. Ich hatte das Gefühl, diese Geschichte muss auf Deutsch erzählt werden. Es war sogar leichter für mich. Ich glaube, es gibt Textstellen, wo man bemerken kann, dass ich nicht hier aufgewachsen bin. Ich wollte die nicht tilgen, man soll das ruhig hören. Ich habe den Text dann verschiedenen Leuten gezeigt und die fanden, das ist Stoff für einen Roman.

Und an diesem Roman arbeiten Sie bereits?
Ja, es existiert schon etwas mehr als der Bachmann-Text – zwei, drei Kapitel. Ich habe viele Ideen. Jetzt, wo ich diesen Preis gewonnen habe, sind sehr viele Türen offen. Ich habe derzeit einen Fulltimejob und muss zunächst mit meinem Arbeitgeber sprechen. Denn es gibt nun die einmalige Gelegenheit, wirklich diesen Roman zu schreiben.

Ihr Text ist auch eine Satire auf deutsches Spießertum, deutsche Überkorrektheit. Sehen Sie die Deutschen so?
Ich habe das auf die Spitze getrieben. Ich wollte etwas deutlich machen, aber das wird vielleicht erst im Roman kenntlicher: Es gibt Menschen, die haben immer ein sehr geordnetes, geregeltes Leben geführt. Und dann gibt es Menschen, deren Leben ist durch Brüche bestimmt, mein Leben zum Beispiel. Das hat dazu geführt, dass ich ständig denke, alles kann sich ändern. Grundsätzlich mag ich Satire, arbeite gern mit Humor, Irritationen und Überraschungen. Wenn wir lachen, können wir vieles tiefer einwirken lassen.

Verändert sich das Deutsche durch Einwanderer, wird die deutsche Literatur vielfältiger?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich so neu sind oder nur als neu verkauft werden. Es ist eine Zeit, da wir alle ein bisschen verzweifeln – da ist der Rechtsruck in Europa, Trump in den USA, das politische Klima überhaupt hat sich verschlechtert. Man überlegt, wie man dem entgegentreten kann, dann sieht man einen Tomer Gardi (israelsicher Autor, der in Klagenfurt gelesen hat), eine Sharon Dodua Otoo – und denkt: „Ja!“ Ich freue mich sehr, dass wir da vertreten waren. Grundsätzlich denke ich, es ist immer so gewesen, dass Sprachen sich verändert haben. Es ist doch bereichernd, wenn es in einer Sprache verschiedene Nuancen gibt.

Sehen Sie in der Einladung nach Klagenfurt, im Preis auch ein politisches Statement der Jury?
Ich weiß es nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es einen Einfluss hatte, wir agieren alle nicht im luftleeren Raum. Aber letztendlich müssen die Jurorinnen und Juroren von den Texten überzeugt sein. Ich glaube, es ging in der Diskussion nicht darum, nun eine ausländische Stimme zu prämieren, sondern sie waren überzeugt von den neuen Perspektiven. Ich bin ohnehin der Meinung, dass Politik immer eine Rolle spielt. Es gibt keine apolitische Kunst.

Sie haben sich viele Lesungen angehört. Das machen nicht alle Autoren so. Waren Sie einfach neugierig?
Wir, die Autorinnen und Autoren, sind sehr freundschaftlich miteinander umgegangen. Es fühlte sich nicht so an, als seien wir Konkurrenten, sondern vielmehr als würden wir alle diese Prüfung machen und mal schauen, wer besteht. Ich wollte meine Solidarität zeigen, und ich wollte auch wissen, wie diskutiert wird, worauf ich mich gefasst machen muss.