Interview mit Till Weitendorf zu Oetinger34

"Wir verändern die Welt"

12. März 2014
von Börsenblatt
"Oetinger34 ist Revolution und erster Verlag seiner Art. Ob das so ist? Diskutieren sollten das andere. Ich denke: Wir verändern die Welt." Oetinger-Verleger Till Weitendorf erklärt im Exklusiv-Interview mit boersenblatt.net das Konzept hinter der neuen Plattform − und wieso er glaubt, dass in Hamburg-Altona gerade die Geschichte des Verlegens um ein neues Kapitel erweitert wird.

Bei Oetinger34 soll ein Pool Kreativer in Teamarbeit Kinder- und Jugendbuchprojekte erarbeiten. Nach Voting-Prozessen winkt die Veröffentlichung der besten Projekte im neugegründeten Imprint Oetinger34. Ist das Projekt von der Angst vor dem Trend Selfpublishing getrieben? Überhaupt nicht. Wir machen etwas völlig Neuartiges. Selfpublishing zeichnet sich doch dadurch aus, dass fertige Manuskripte veröffentlicht werden. Der Manuskripteingang wird hier nur digitalisiert. Es gibt keine Qualitätskontrolle und der Dienstleister bietet dir nichts weiter, als den Titel als E-Book oder Printbuch über PoD verfügbar zu halten. Dieses Versprechen ist in meinen Augen wertlos und schürt Hoffnungen auf Erfolge, die sich dann gar nicht einstellen.

Sie halten nicht viel vom Selfpublishing, stimmt's? Diese technischen Möglichkeiten wurden in der Vergangenheit in der Buchbranche leider viel zu sehr gefeiert. Bei der Vermarktung steht der Autor letztlich vollkommen alleine da – ohne die Vertriebs- und Marketingpower eines Verlags. Auch im Vorfeld gib es niemanden, der dabei hilft, die Qualität des Produkts zu verbessern. Bei Oetinger34 wollen wir viel mehr: das Beste aus dem klasschen Verlagswesen mit den Möglichkeiten des digitalen Publizierens zusammenführen.

Sie sprechen von einer Innovation. Was ist neu? Wir setzen beim ersten Wort und Bild an. Auf Oetinger34 können erstmals Autoren und Illustratoren gemeinsam online an einem Projekt arbeiten. Dafür haben wir einen geschützten Raum geschaffen: den Weißraum. Hier können sie ihre Buchprojekte zusammen entwickeln. Durch von uns geschulte Junior-Lektoren und unser Oetinger34-Lektoratsteam bieten wir professionelle Unterstützung – und das gleich von Anfang an. Wenn die Kreativen dann soweit sind, können sie Leser in ihr Projektteam einladen. Hierbei war es uns besonders wichtig, dass die Autoren und Illustratoren selbst entscheiden können, wann und wie viel sie von ihrem Projekt preisgeben möchten. Freies und kollaboratives Arbeiten sorgt für den nötigen kreativen Freiraum; die individuelle Förderung und Unterstützung sichern Qualität. Denn eins ist klar: Wir wollen keine User-Massen auf unsere Plattform lotsen. Unser Fokus liegt auf den talentiertesten Köpfen, um die bestmögliche Literatur zu schaffen!

Wen Sie ablehnen, wird sicher enttäuscht sein. Machen Sie sich durch dieses Aussieben nicht angreifbar? Ich denke nicht, denn wir bleiben ehrlich und fair. Auswählen gehört zum Verlegen nun einmal dazu, das eine unserer wichtigsten Kompetenzen. Wir wollen keine falschen Hoffnungen bei den Bewerbern wecken, bei denen wir kein Potenzial sehen. Wie gesagt, es geht uns darum, Talente zu entdecken, Können weiterzuentwickeln und zusammen hochwertige Inhalte zu schaffen.

Ihre Hauptzielgruppe sind vor allem junge Kreative mit wenig Erfahrung. Wie wollen Sie diesen jungen Amateurkader so veredeln, dass er in der Championsleague mitspielen kann?
Wer weiß, ob Bastian Schweinsteiger der Beste unserer Zunft wäre, wenn wir nicht noch bessere Förderungssysteme im Fußball hätten. Das bedeutet auf uns bezogen: da draußen ist noch viel mehr kreatives Potenzial, das sich einfach von den Massenportalen nicht angesprochen fühlt. Wenn wir diese Talente gefunden haben, ist bereits viel gewonnen. Im nächsten Schritt wollen wir ihnen dann natürlich auch etwas bieten und sie fördern. Über den eigens hierfür geschaffen Oetinger-Campus wollen wir ihnen die Möglichkeit geben, von den Profis zu lernen. Zudem schulen wir ganz gezielt die Junior-Lektoren, die uns dabei helfen, Qualität zu halten.

Dieser Campus-Bereich ist zumindest teilweise kostenpflichtig und Teil des Geschäftsmodells. Glauben Sie nicht, dass die User es ganz schön eigennützig finden, dort zur Kasse gebeten zu werden? Das glaube ich nicht. Der Campus ist auch gar nicht das große Standbein. Betriebswirtschaftlich gesehen soll er neutral laufen, d.h. wir wollen die Ausgaben wieder einspielen. Wir hoffen viel mehr darauf, dass sich unsere Investitionen in die Community langfristig lohnen, indem wir kreativere und bessere Inhalte erzeugen. Letztlich geht es um nichts weniger, als den Verlag der Zukunft zu schaffen – denn wir "dynamisieren" nicht nur die Inhalte, sondern den gesamten Schaffensprozess!

Was zeichnet den Verlag der Zukunft in Ihren Augen aus? Wo liegt die Dynamik, von der Sie sprechen?
Wir demokratisieren, beschleunigen und revolutionieren alle Prozesse innerhalb des Verlags. Die Arbeitsweise im Weißraum könnte darum für die Buch- und Kreativbranche richtungweisend sein. Nur ein Beispiel: Wenn ich als Autor an der Bushaltestelle live sehen kann, welche neuen Kommentare mein Lektor oder Illustrator gerade gemacht haben, ist das ziemlich cool und spart viel Zeit. Durch die Möglichkeiten des Digitalen ist alles auf den Prüfstand gekommen. Auch der Sourcing-Bereich: Statt einfach ein fertiges Manuskript abzugeben, mit dem man sich lange alleine beschäftigt hatte, können sich die Kreativen nun bei dem Entstehungsprozess gegenseitig unterstützen und austauschen. Das setzt Energien frei und beschleunigt den Schaffens- und Abstimmungsprozess bis hin zur passenden Vermarktungsstrategie enorm. Wir müssen uns einfach trauen, bewährte Prozesse in Frage zu stellen und völlig neu zu denken.

Welche Rolle werden Buchhändler auf Ihrer Plattform spielen? In der closed Betaphase, die im August endet, sind Buchhändler zunächst als Leser willkommen. Danach haben wir Einiges in Planung, das Buchhändlern noch mehr Gewicht verschafft. Mit ihrer Marktkenntnis und ihrem Know-how sind Buchhändler für uns extrem wertvoll, nicht nur wir können von ihnen lernen, auch die Autoren und Illustratoren können von ihrem Feedback profitieren.

In den letzten Jahren haben Sie nicht nur eine Menge IT-ler eingestellt, sondern mit den Joint Ventures TigerBooks und TigerCreate digitale Erlösquellen auf den Weg gebracht. Wollen Sie die nun vernetzen?
Es gibt Möglichkeiten der Vernetzung, natürlich gibt es auch für TigerCreate Potenzial. Aber diese Bereiche agieren in unserem Haus wie Startups. Vernetzungen sind immer möglich und erwünscht, dennoch arbeiten alle Projektgruppen autonom.

TigerCreate ist eine Whitelabel-Lösung, mit der andere Verlage E-Books anreichern können. Diese Möglichkeit gäbe es doch sicher auch für Oetinger34?
Das ist natürlich vorstellbar. Vor allem für Verlage mit hohem illustrativem Anteil haben wir mit dem Weißraum eine attraktive Branchenlösung geschaffen und sind offen für Gespräche mit potenziellen Interessenten.

Damit werden Sie zum Dienstleister für andere Verlage. Ist diese Entwicklung weg von Kerngeschäft für Sie eine Notwendigkeit?
Ich sehe das gar nicht als Schritt weg von unserem Kerngeschäft, sondern als einzige Möglichkeit, unser Kerngeschäft in Zukunft weiter auszuführen. Beispiel TigerCreate: Am Anfang standen wir vor der Frage, wie wir endlichen die digitalen Produkte machen können, welche auf die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kunden angepasst sind. Wir wollten nicht einfach nur davon reden, dass wir sie machen wollen! Wie langweilig bitte ist das Digitalgeschäft bislang mit seinen Fixed-Layouts und PDFs gewesen? Gerade im Kinderbuchbereich kann man doch damit niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Jedem Verlag geht es doch um tolle Produkte, um hochwertige Inhalte und die wollen alle inhouse produzieren und dies nicht nur aus Kostengründen, sondern weil jeder frei nach seinen Wünschen entwickeln möchte.

Wie weit sind Sie mit ihrem Ziel, dass jeder Kinderbuchverlag 2014 ein enhanced E-Book mit TigerCreate erzeugt haben soll?
Das entsprechende Tool ist für die Verlage ja erst ab April zu haben. Rollout war ja auch erst zur Frankfurter Buchmesse 2013, insofern kann ich Ihnen jetzt nichts präsentieren. Aber das Feedback aus den Verlagen ist sehr groß und positiv, viele wollen endlich loslegen. Wir erhalten täglich Anrufe und haben bereits von vielen Verlagen gehört, dass sie bereits mehrere Projekte in der Schublade liegen haben. Das stimmt uns euphorisch und ich glaube, dass wir unser Ziel bis Jahresende erreichen.

Mehr zu Oetinger34 im Exklusiv-Interview mit Till Weitendorf.