Interview zum Regionalia-Geschäft und den Regionalbuchtagen 2016

Ein Markt mit Lücken

8. August 2016
von Börsenblatt
Buchhändlerin Helga Heinicke-Krabbe und Droste-Verleger Jürgen Kron sind Sprecher der neuen IG Regionalia im Börsenverein. Ein Interview über Umsatzchancen, Heimatgefühle und die zweiten Regionalbuchtage.

Beim Kochen, beim Einkaufen ist Regionalität ein großes Thema. Ein Zeitgeist, von dem auch die Regionalliteratur profitiert?

Kron: Zeitgeist würde ich das nicht nennen. Ich denke eher, unser Umgang mit Heimat und Regionalität hat sich entkrampft. Erst einen Reiseführer über Bali und dann ein Buch über Brauereien im Rheinland zu lesen, ist heute kein Widerspruch. Das Interesse an der Welt ist größer geworden. Global, aber eben auch regional. 

Heinicke-Krabbe: In unserer Buchhandlung Libra in Oberursel hatten wir schon immer einen regionalen Schwerpunkt. Aber inzwischen gibt es ja auch viele Krimis und Romane aus der Region. Und mit dem Angebot ist die Nachfrage gestiegen. Regionalliteratur ist bei uns ein Selbstläufer.

Im März hat sich unter dem Börsenvereinsdach die Interessengruppe Regionalia gegründet. Wie lässt sich die spartenübergreifende Zusammenarbeit an? Und warum engagieren Sie sich als Sprecher?

Kron: Ich wollte gerne meine 17-jährige Erfahrung mit Regionalliteratur auf Bundesebene einbringen. Mit diesem Thema kenne ich mich aus, das kann ich gut vertreten.

Heinicke-Krabbe: Auch für mich ist Regionalliteratur eine Herzenssache. Leider bin ich in der IG bisher die einzige Buchhändlerin. Von daher hakt es beim spartenübergreifenden Ansatz noch ein bisschen.

Woran liegt’s?

Heinicke-Krabbe: Ich denke, viele Sortimenter haben Sorge, ob sie ein solches Engagement zeitlich leisten können.

Kron: Hinzu kommt, dass das Segment für Buchhändler immer nur ein Teilaspekt ihres Sortiments ist. Wir hoffen jetzt natürlich, dass Frau Heinicke-Krabbe noch kräftig Werbung bei ihren Kollegen macht…

Heinicke-Krabbe: Unbedingt! Wenn wir Buchhändler die Zusammenarbeit mit den Verlagen verbessern, wären noch ganz andere Produkte denkbar.

Klingt da eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Angebot der Verlage durch?

Heinicke-Krabbe: Bei uns im Hochtaunuskreis gibt es nach wie vor thematische Lücken. Oberursel wird immer größer, viele Neubürger möchten sich informieren. Kochbücher, Wanderführer, Bücher zur Stadtgeschichte: Davon könnten wir viel mehr gebrauchen.

Das erste große Projekt der IG Regionalia steht vor der Tür  – die Regionalbuchtage 2016. Zieht die Branche mit?

Kron: Die Verlage sind sehr engagiert und motiviert. Ich denke, der Buchhandel ist auch interessiert – aber noch nicht ausreichend informiert. Die Aktionswochen müssen sich erst herumsprechen, auch wenn die Resonanz größer ist als bei der Premiere 2015.

Heinicke-Krabbe: Damals war die Vorbereitungszeit einfach zu knapp, auch für uns. Zumal parallel noch das Schulbuchgeschäft läuft. 2016 haben wir den Termin frühzeitig bekommen und unsere Jahresplanung darauf abstellen können.

Womit locken Sie Ihre Kunden bei den Regionalbuchtagen?

Heinicke-Krabbe: Unter anderem mit einer Apfelbuch-Lesung, die wunderbar in die Jahreszeit und zur Äppelwoi-Kultur in Hessen passt. Getränke beziehen wir von einer Kelterei am Ort. Dazu gibt es noch etwas zum Schnabulieren.

Welche Themen stehen neben den Regionalbuchtagen auf der Agenda der IG Regionalia?

Kron: Die Regionalbuchtage sind sicher unser größtes Projekt, aber es gibt noch mehr Themen, etwa aus der Marktforschung: Wir wollen ermitteln, wie viel Umsatz die Branche überhaupt mit Regionalia macht. Damit sich die Titel besser recherchieren lassen, haben wir zudem eine Arbeitsgruppe zur Thema-Klassifikation eingesetzt. Und wir denken darüber nach, auf der Frankfurter Buchmesse einen Gemeinschaftsstand anzubieten. Außerdem soll es bundesweit Schaufensterwettbewerbe zur Regionalliteratur geben, nach hessischem Vorbild.

Heinicke-Krabbe: Das würde ich mir wirklich sehr wünschen. Denn ich habe mit meiner Buchhandlung nur positive Erfahrungen beim Schaufensterwettbewerb in Hessen gesammelt, der vom Landesverband ausgerichtet wird. Wir haben unsere Kunden um Ausstellungsstücke gebeten. Viele brachten altes Geld, Fotos und sogar ein Ölbild vorbei. Das Fenster, das auch von anderen Einzelhändlern und von örtlichen Organisationen unterstützt wurde, war eine echte Attraktion - Kundenbindung erster Klasse. 

Sehen Sie in der IG Regionalia auch Konfliktfelder zwischen Verlegern und Buchhändlern?

Kron: Unsere Interessen sind doch ganz ähnlich: Wir alle wollen möglichst viel verdienen. Wie Verlage den Buchhandel beim Verkauf unterstützen können, ist für mich eine Kernfrage der IG Regionalia.

Heinicke-Krabbe: Von Konflikten würde ich auch nicht sprechen wollen, eher von Interessenkollisionen. Welche Titel wollen die Verlage produzieren – und was braucht der Buchhandel? Da kann man durchaus verschiedener Meinung sein. Bei der Programmplanung nicht aneinander vorbeizureden: Auch dabei kann die IG Regionalia helfen.

Haben Unternehmen, die sich für Regionalia engagieren, nicht per se ganz unterschiedliche Probleme und Interessen, eben regionale?

Heinicke-Krabbe: Ach, wissen Sie: Ich bin befreundet mit einer Buchhändlerin in Ostfriesland. Wir verkaufen mehr Ostfriesenkrimis als sie. Die Leute, die in Oberursel leben, kommen aus ganz Deutschland und freuen sich, wenn sie Bücher und Kalender über ihre Heimat bei uns finden. Da lassen sich kaum Grenzen ziehen…

Kron: … zumal letztlich auch die "Buddenbrooks" von Thomas Mann Regionalliteratur sind. Und natürlich gibt es übergreifende Fragestellungen. Wie gestaltet man ein Schaufenster mit Regionalliteratur? Das ist für alle Buchhändler von Bremen bis Bayern interessant. Viele Verlage bringen als regionale Dienstleister Bücher für Banken oder Firmen heraus. Auch hier hilft ein Erfahrungsaustausch weiter.

Wie wichtig ist Ihnen selber die Region, in der Sie leben?

Heinicke-Krabbe: Ich komme aus dem Emsland und habe lange gebraucht, um mich im Taunus heimisch zu fühlen. Damals habe ich angefangen, mich der Region über ihre Geschichte zu nähern. Mittlerweile habe ich hier Wurzeln geschlagen, mir aber auch eine gewisse Neugier bewahrt. Wer hier aufgewachsen ist, denkt schnell: Das kenn ich eh schon alles…

Kron: Vor einem Jahr bin ich als Pfälzer aus dem Rhein-Main-Gebiet zum Droste Verlag nach Düsseldorf gekommen. Es ist unglaublich, wie schnell man eine Gegend kennenlernt, wenn man in einem Regionalverlag arbeitet. Dass ich mit der Region nicht so verwachsen bin, ist auch für mich eher von Vorteil. Es sorgt für einen klaren Blick aufs Programm. Man macht Bücher nicht nur deshalb, weil einem das Thema am Herzen liegt – sondern auch, weil es Käufer dafür gibt.

Der kurze Draht zur neuen IG Regionalia

Die neue Interessengruppe im Börsenverein gibt es seit der Leipziger Buchmesse im März. Sie holt Verleger und Buchhändler, die sich mit Regionalliteratur beschäftigen, an einen Tisch. Wer mitmachen will: Ansprechpartnerinnen im Börsenverein sind Anke Simon (E-Mail: simon@boev.de, Telefon: 069 / 1306-599) und Birgit Koch (E-Mail: koch@boev.de, Telefon: 069 / 13 06 511)

Alles über die Regionalbuchtage 2016

Zentrales Projekt der IG sind die Regionalbuchtage 2016, die vom 15. bis zum 30. September stattfinden. Unter dem Motto "Heimat erlesen" und unter dem Dach von "Vorsicht Buch!" bieten Verlage und Buchhandlungen gemeinsame Aktionen an. Details und weitere Plakatmotive gibt es hier.

Interview: Sabine Cronau