Kolumne von Martina Bergmann

Schlussstrich unter einige Üblichkeiten

23. Oktober 2018
von Börsenblatt
Martina Bergmann weiss, dass über Leuchtturmlesezeichendrehständer zu lästern, nicht konstruktiv ist. In ihrer Welt, also in Ostwestfalen, gehörte er früher zwingend in die Buchhandlung. Und heute? Hat sich nicht so wahnsinnig viel geändert. "Anders ist nur, dass man heute so einen Aufwand treiben muss, um gesehen zu werden", meint die Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen.

Ein Kollege sagt, ich soll nicht immer nur beschreiben, was vorüber ist. Über Leuchtturmlesezeichendrehständer zu lästern, sei nicht konstruktiv. Ist es auch nicht, es ist nur einfach lustig. Und um mit einem konkreten Punkt zu starten - Buchhandel von früher ist eine ernste Angelegenheit. Gravitätisch, in diesen kleinen Städten, deren Buchhandel von früher ich am besten übersehe. Ich kann weder über literarische Buchhandlungen noch über Campus-Buchhandlungen oder die ersten Buchkaufhäuser etwas sagen. Denn ich war nicht da, wo die waren. Ich war damals, wo ich heute wieder bin - in Ostwestfalen.

"Es gab keine Notwendigkeit, originell zu sein"

Der Leuchtturmlesezeichendrehständer ist von Ars Edition, und den gab es damals geschenkt, wenn man viele "Magische Augen" verkaufte. Außerdem im Angebot: Anleitungen für originelle Ansagen auf Anrufbeantwortern, hässliche Bildbände mit Hirschen (tot und lebendig), Alfred Biolek zum Kochen und wahnsinnig lustig Romane von Hera Lind und Gaby Hauptmann. Es gab keine Notwendigkeit, besonders originell oder überhaupt nur besonders zu sein. Man verkaufte seine Bücher, zweimal im Jahr bestellte einer "Meyers Taschenlexikon" und wenn jemand zum Studieren ging, freute man sich über den Auftrag für die Erstausstattung des angehenden Mediziners. Der Filius aus der Kanzlei, ach was, bei den Doktoren? Da fällt aber einer aus der Ordnung, Donnerschlag.

So war Buchhandel in Ostwestfalen auf dem Land, und ich fand ihn öde. Deswegen bin ich vor 20 Jahren weggegangen und habe, als ich wiederkam, gut überlegt, was ich wohl anders machen sollte. Das meiste hat nicht funktioniert; zu kompliziert oder zu sehr von meinen eigenen Interessen aus gedacht. Was bei uns zu Hause in den Regalen steht, hat mit dem Kundengeschmack meistens nicht viel zu tun. Ich verkaufe nämlich genau dieselben Brotartikel wie vor 20 Jahren: Lustige Romane, Kochbücher, Fotobildbände. Die Gesichter sind verschieden, die Geschichten sind dieselben - in den Büchern, von den Kunden.


"Ich bin die Marke"

Anders ist nur, dass man heute so einen Aufwand treiben muss, um gesehen zu werden. Ich habe meine Außendarstellung immer allein betrieben. Meistens nicht, weil ich grundsätzlich anderer Auffassung als die Kollegen bin, sondern aus persönlicher Einzelgängerei. Das sagt nichts für oder wider die Gemeinschaftsinitiativen von Genossenschaften und gegen das Verbands-Marketing. Verblüffend ist allein das Resultat. Ich bin nämlich, anders als viele Kollegen, selber bekannt geworden. Ich bin die Marke. Dass ich mitten auf dem Land eine gut gefüllte, bunte Buchhandlung anbieten kann, liegt auch daran, dass ich viele Gäste habe. Die von weit kommen, weil sie mal schauen wollen, wie es hier so ist. Und die wiederkommen, weil sie bei mir Bücher finden, die es anderswo nicht gibt.

"Ganz viel in den Kopf tun, denselben in die Welt tragen"

Der zweite Grund: Ich habe einen Schlussstrich unter einige Üblichkeiten gezogen. Ich mag alle Kunden, ich mag erst mal jeden, der zur Tür hereinkommt. Es ist mir völlig egal, ob die Familie seit sieben Generationen größter Bauer oder vor vier Wochen mit fünf Kindern und einem Ungeborenen hierher geflüchtet ist. Ich unterscheide auch nicht zwischen Sprösslingen der selbsternannten Oberschicht und dem ersten Abiturienten in einer Ahnengalerie von Fleischarbeitern. Ich finde immer gut, wenn jemand gern zur Schule geht und glaube auch, anders kommt man hier nicht raus. Ganz viel in den Kopf tun, denselben in die Welt tragen, dann wiederkommen. Bildung macht den Menschen, nicht Bier mit Papas Mandanten aus der Steuerberatung oder Zahnarztpraxis, die man später übernehmen soll.

Ein weiteres Argument für den Buchhandel: Lesen! "Spiegel Bestseller" ist keine Lektüreempfehlung, sondern ein Aufkleber. Menschen, die Buchhandlungen regelmäßig aufsuchen, wollen sich dort entweder unterhalten oder sie wollen etwas wissen. Man sollte die Bücher selbst einkaufen, lesen und auch nicht ständig sagen: Super, Wahnsinn, hat mein Leben verändert. Denn so ein Buchhändler in Ostwestfalen ist normalerweise keine Marke wie Heidenreich und Westermann. Der muss einfach gut beraten: "Also, hm. Buchpreis schön und gut, aber das werden Sie nicht zu Ende lesen. Greifen Sie besser zu diesem oder jenem, das passt zu Ihnen. Woher ich das weiß? Wir kennen uns schon ein paar Jahre, Sie und ich."


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