Kommentar zu Verlagspraktika

Eierlegende Wollmilchsau zum Nulltarif?

1. November 2012
von Börsenblatt
Ein Praktikum ist oftmals der berufliche Einstieg in die Buchbranche. Viele schwarze Schafe erwarten von ihren Praktikanten viel, bieten aber nur ein Zeugnis als Lohn. Doch es geht auch anders: "viele Verlage behandeln ihren Nachwuchs voller Respekt und fördern ihn gezielt", meint Börsenblatt-Volontär Kai Mühleck.
Wann haben Sie zum letzten Mal einen Blick auf die Stellenausschreibungen größerer und mittelgroßer Verlagshäuser geworfen? Hier kann man lernen, dass die Buchbranche von der Gauß’schen Normalverteilung der Talente scheinbar gar nicht betroffen ist: Hoch engagiert, teamfähig, selbstständig und textsicher sollen die angehenden Praktikanten sein, die als (mitunter) unbezahlte Arbeitskräfte im Verlag anheuern. Social Media beherrscht der Branchennachwuchs quasi ganz natürlich: Er ist ja mit dem iPhone in der Hand auf die Welt gekommen, spricht als Muttersprache HTML und verfügt über ultraflexible Daumengelenke.

Diese Diskrepanz von Erwartung und Gegenleistung wird von einer Umfrage des jungen Branchennetzwerks BuchKarriere bestätigt, das zur Frankfurter Buchmesse mit einem Preis für faire Arbeitgeber gestartet ist und bereits für rege Diskussionen auf boersenblatt.net sorgte. Die beiden Studentinnen Rebekka Kirsch und Norsin Tancik haben mit ihrer Umfrage aber auch gezeigt, dass unter den Arbeitgebern zahlreiche rühmliche Beispiele zu finden sind.

Tatsächlich behandeln viele Verlage ihren Nachwuchs respektvoll und fördern ihn gezielt: In Stuttgart sieht Thienemann seine Praktikanten aufgrund der guten Arbeitsatmosphäre oft als Volontäre wieder. Gräfe und Unzer setzt auf ein enges Mentorenverhältnis und macht mit dem Experiment "Ein Tag im Leben eines Volontärs" den eigenen Umgang mit dem Nachwuchs für die älteren Mitarbeiter erfahrbar. Kleine Verlage wie Tulipan in Berlin, die auch über entsprechend kleinere Geldbörsen verfügen, punkten mit eigener Beweglichkeit und lassen Volontäre ihre Ausbildungsschwerpunkte selbst bestimmen. Das Engagement dieser Betriebe in der Ausbildung ist nicht etwa selbstlos, sondern eine Investition in die eigene Zukunft – die ohne qualifizierten Nachwuchs nicht gelingen kann.