Konferenz Publishers‘ Forum

Smartphone-Nutzung: 100mal am Tag

29. April 2016
von Börsenblatt
Wandel war das große Thema beim Publishers’ Forum in Berlin. Die zweitägige internationale Konferenz sondierte unter dem Titel „All that publishing! How the business of books expands, converges and gets fragmented.”, wie sich der Markt für Publikationen immer schneller verändert – und weiterhin verändern wird.

Der Brite Douglas McCabe von Enders Analysis, einer der Eröffnungsredner, sprach von unterschiedlichen, sich überlappenden, disruptiven Prozessen. Zudem versicherte er dem Publikum in Berlin: „Wir sind nicht mittendrin oder gar am Ende, sondern stehen erst ganz am Anfang dieser Veränderungen.“ Das Smartphone, so McCabe, habe Tablets und E-Readern längst den Rang abgelaufen. „Für viele ist es Zentrum des Lebens.“ Während die Zeitspanne, die Menschen mit Tablets oder E-Readern verbringen, sich kaum geändert habe, werden Smartphones und vor allem die auf den Geräten installierten Apps immer intensiver genutzt – mehr als 100 mal pro Tag, so hat McCabe errechnet. Das Verhalten von Konsumenten sei mithin ein völlig anderes geworden – von einer zeitlich begrenzten Mediennutzung hin zu einer konstanten, fließenden Daueraktivität.

Die Lektüre von Büchern bleibe davon nicht unberührt. Trotzdem hat McCabe das Buch als widerständiges Medium ausgemacht. Nicht zuletzt sei die Gestaltung, die Haptik für Konsumenten ein entscheidender Faktor. Dazu passend erklärte er, der Online-Handel könne den stationären Handel nicht ersetzen. Zu bedeutsam sei es für viele Käufer, ein Buch in die Handel zu nehmen, zwischen Bücherregalen zu stöbern. Nach McCabes Berechnungen werden in einer Buchhandlung 41 Prozent der Bücher spontan gekauft, 58 Prozent der Kunden kommen mit einem fertigen Wunschzettel. Im Internet ist dieses Verhältnis ein anderes: 33 Prozent kaufen spontan, 65 Prozent hingegen geplant. McCabes Aufforderung daher zuletzt an die Verleger: „Sie können gar nicht genug tun, um den lokalen Buchhandel zu unterstürzten.

Als eine Art Fallstudie für den Wandel stellte Michael E. Hansen, der zweite Keynote-Speaker, den von ihm geführten US-amerikanische Bildungsanbieter Cengage Learning vor. Verlage im Bildungssektor hätten sich zu lange mit dem Status quo zufrieden gegeben und deshalb Innovationen verpasst, so seine Botschaft. Den Erfolg der Lernplattform erklärte Hansen unter anderem damit, dass Cengage sich bei seinen Angeboten von den Bedürfnissen der Studenten leiten lasse. Hansen erläutert das ausführlich im Interview mit boersenblatt.net.

Hierzulande gilt Lübbe als einer der innovativsten Verlage auf dem Feld der Digitalisierung. Eigentlich sei man bekanntlich nur ein „Heftchenverlag“, „aber wir haben früh darüber nachgedacht, wer unsere Leser sind“, sagte Geschäftsführer Klaus Kluge in Anspielung an die Ursprünge des Familienunternehmens. Unlängst hat der „Heftchenverlag“ aus Köln sogar eine Londoner Agentur beauftragt, um mehr über heutige und potenzielle Leser zu erfahren. Auch bei Lübbe hat man das Smartphone als entscheidendes Lesegerät ausgemacht, zwei Stunden wird es nach Londoner Berechnungen täglich in Deutschland genutzt, in den USA und China gar zweieinhalb Stunden. Entscheidend für Kluge ist es, für Smartphone-Nutzer die Inhalte anders aufzubereiten: kurz, interaktiv, visuell ansprechend. Kluge schweben Häppchentexte vor, für die fünf Minuten zwischen zwei U-Bahn-Stationen, den Momenten also, wo es heute kaum noch vorkommen soll, dass einer mal gar nichts tut.

In der Londoner U-Bahn hat Klaus Kluge jedenfalls erst kürzlich (zur Zeit der London Book Fair) beobachtet, dass jeder ein Smartphone in den Händen hält, keiner eine Zeitung – geschweige denn ein Buch. Was Kluge nicht gesehen hat: wofür das Smartphone genutzt wurde. Der Verlagsmann wüscht sich Inhalte aus dem Hause Lübbe aufs Display – und nicht nur er. Vom Kampf um den Kunden war mithin in Berlin häufiger die Rede. Birgit Hagmann, Geschäftsführerin von Tolino, formulierte es so: „Wenn der Kunde verschwindet, weil er sich nur noch mit Videospielen beschäftigt, haben wir ein Problem.

Er soll also lesen, der U-Bahn-Fahrgast. Im August will Lübbe ein Streaming-Angebot über die Plattform Oolipo in Deutschland, in Großbritannien und in den USA starten, später – man denkt groß in Köln – auch in Spanien, Lateinamerika und China. Vorerst werde das neue Projekt vor allem viel Geld kosten – vier Millionen hat Lübbe bislang investiert. Aber nach der Anlaufphase prophezeit Klaus Kluge ein üppiges Geschäft: „Es wird mindestens zwei Jahre dauern, bis wir Geld verdienen, dann aber ohne Ende.“ Die Lübbe-Aktionäre werden es gern hören.

An dieser schönen neuen Lesewelt hatte Rowohlt-Geschäftsführer Peter Kraus vom Cleff allerdings einige Zweifel. Es gebe zwei Arten von Lesen: Browser-Reading und Deep-Reading. Kraus vom Cleff schätzt – ganz altmodisch – offenbar noch immer letzteres: „Ich glaube an die Hermetik des Buchs, daran, dass Lesen Einsichten schenken kann.“ Diese Chance sollten Verlage nutzen. Widersprechen mochte da zwar keiner, aber Applaus gab es auch nicht. Und Karla Pauls (Edel) Beobachtung konnte man durchaus als Gegenrede verstehen: „Die Buchbranche wollte die Leser lange erziehen, mittlerweile erziehen die Leser uns.

Im Gespräch zwischen den beiden E-Book-Verlegerinnen Beate Kuckertz (dotbooks) und Nikola Richter (mikrotext) sollte später geklärt werden, inwieweit sich das Verhältnis von Autoren und Verlagen geändert hat. Doch in dieser Hinsicht gibt es offenbar wenig umstürzende Erkenntnisse. Dotbooks – „ein sehr konservativer Verlag“, so Kuckertz – erhält die meisten Manuskripte von Agenturen und nicht via Einladung über die eigene Website. Nikola Richter wird für ihren Verlag Mikrotext zwar eher in Blogs oder andernorts im Netz fündig. Aber der Kern der Verlegertätigkeit bleibe unverändert: eine gute Betreuung der Autoren.

Womöglich war es als Kontrastpunkt zum Programm des ersten Veranstaltungstages gedacht, jedenfalls weitete sich das Gespräch am Ende hin zum Verlagsgeschäft in der arabischen Welt, die wir in Europa seit geraumer Zeit vor allem als Krisengebiet wahrnehmen. Die Verlegerin Bodour al Qasimi (Kalimat Group) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten warb im sogenannten „Fireplace Talk“ mit Rüdiger Wischenbart für einen differenzierten Blick auf die Region, diese sei ebenso wenig wie Europa ein monolithischer Block. Dass Araber wenig lesen – wie immer wieder kolportiert –, sei überdies ein Irrtum. „Die Buchmessen“, so die Verlegerin, „erzählen eine andere Geschichte. Man kann dort immer wieder zahlreiche Menschen sehen, die große Einkaufswagen mit Bücher beladen.“ Ein Grund dafür: Außerhalb der Messen ist es schwer, Bücher zu bekommen, die Distribution ist unzureichend. Digitale Angebote könnten Abhilfe schaffen. Doch obwohl vor allem die Jüngeren mit Lust in die digitale Welt eintauchen, wächst der E-Book-Markt langsamer als gedacht, so die Verlegerin. Die Menschen zwischen Kairo und Dubai lesen vorerst einfach lieber auf Papier. Weitere Informationen zum Buchmarkt in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat die Frankfurter Buchmesse in einem Marktporträt aufbereitet.