Krimi-Novitäten für den Herbst

Treffsicher

30. August 2018
von Börsenblatt
Historisch, politisch, dystopisch: Die Spannungsliteratur des Herbstes öffnet unterschiedlichste Erzählräume – mal sehr direkt, mal atmosphärisch dicht und manchmal ziemlich raffiniert.Eine aktuelle Auswahl.

Unter dem Radar
Nach seinem Politthriller "Der Block" legt der französische Autor Jérôme Leroy einen Kriminalroman vor, der sich auch als Gesellschaftsparabel lesen lässt. Es geht um ein Phänomen, das Polizei und Geheimdienste beunruhigt: Nach der Anschlagswelle in Frankreich 2015 verschwinden Menschen vom Radar. Sie verlassen ihr Umfeld, kappen alle (digitalen) Kontakte und tauchen unter. Zu den "Verdunkelten" gehört auch der 55-jährige Guillaume Trimbert, ehemaliger Lehrer, linksextremer Aktivist und Schriftsteller. Ihm ist die Polizistin Agnès Delvaux auf den Fersen – und bei ihren Ermittlungen kommt sie ihm gefährlich nah.

Jérôme Leroy: "Die Verdunkelten", Edition Nautilus, 224 S., ca. 18 €

Eine tote Professorengattin in Bologna
Die Krimis des 1960 in Parma geborenen Carlo Lucarelli sind immer auch ein literarischer Genuss. In seinem jüngsten Buch tauchen die Leser in das Bologna der Jahreswende 1953/1954 ein, es ist die Zeit des Kalten Krieges. In einer Mansardenwohnung wird die wegen ihrer Schönheit umschwärmte Professorengattin Stefania Cresca tot aufgefunden, ertränkt in der Badewanne. Commissario De Luca, dem die Mitarbeit für die faschistische Staatspolizei fünf Jahre Berufsverbot einbrachte, kehrt zurück und macht sich auf die Suche nach dem Täter. Dabei verwirft er eine Hypothese nach der anderen. Hatten russische Agenten die Hand im Spiel? War es der Apotheker Aldino? Als die Wahrheit endlich ans Licht kommt, stürzt De Luca in ein emotionales Chaos.

Carlo Lucarelli: "Italienische Intrige. Ein Commissario-De-Luca-Krimi", Folio, 224 S., 18 €

Tod einer Aussteigerin
Zwei Journalisten und ein Drehbuchautor verbergen sich hinter dem Pseudonym Lutz Wilhelm Kellerhoff. In seinem Debüt macht das Autorentrio eine Zeitreise, in diesem Fall in den Herbst 1968. Am Ufer des Wannsees wird die Leiche einer jungen Frau entdeckt – wie sich bald herausstellt, war sie eine Mitarbeiterin des APO-Anwalts Horst Mahler und wurde erstochen. Wolf Heller, Kommissar bei der Mordinspektion M I, soll den Fall geräuschlos ausermitteln. Doch was zunächst wie ein Racheakt im linken Lager aussieht, entpuppt sich als Tat eines Netzwerks, hinter dem nicht nur radikale Studenten, sondern auch Alt-Nazis und die Stasi stecken könnten.

Lutz Wilhelm Kellerhoff: "Die Tote im Wannsee", Ullstein, 384 S., 16 €

Mordserie in Schottland
Glasgow 1973: Die schottische Industriestadt, die vor dem Niedergang steht, erlebt einen "blutigen Januar". Den Auftakt macht der Mord an einer jungen Frau: Sie wird am hellichten Tag von einem Jugendlichen erschossen, der sich anschließend selbst tötet. Ein psychisch kranker Gefängnis­insasse, der den Mord angekündigt hatte, wird wenig später beseitigt. Detective Harry McCoy, ein abgebrühter Cop mit Verbindungen in alle Milieus, nimmt Ermittlungen auf. Er nutzt seine Kontakte zu den berüchtigten Gangs, sucht aber auch das Gespräch mit der mächtigen Familie Dunlop, die die Fäden in der Stadt zieht – was seinem Chef missfällt. Alan Parks gelingt mit seinem Kriminalroman zugleich ein atmosphärisch dichtes Porträt der Stadt Glasgow, mit ihren Stimmen, Geräuschen, Gerüchen.

Alan Parks: "Blutiger Januar", Heyne Hardcore, 400 S., 16 €

Blutiges Grubengold
Frank Swann ist ein Mann zwischen den Fronten. Als ehemaliger Privatdetektiv im Perth des Jahres 1979 operiert er zwischen profitgierigen Bergbau-­Companys, der Mafia und Biker-Gangs auf der einen und einem korrupten Polizeiapparat auf der anderen Seite. Alle tanzen um ein Edelmetall: Gold. Das Geld, das aus den Minen fließt, speist einen kriminellen Kreislauf von Heroinschmuggel bis Prostitution. In dieser Gemengelage geschieht ein Selbstmord: Max Henderson, erfahrener Geologe bei Rosa Gold, erschießt sich. Hatte er Probleme in seiner Firma? Wurde er unter Druck gesetzt? David Whish-Wilson, der heute im westaustralischen Fremantle Creative Writing lehrt und eine abenteuerliche Arbeitsbiografie (etwa als Kammerjäger und Testpatient) hinter sich hat, schildert die Figuren mit ihren Milieus in einer eindringlichen, unmittelbaren Sprache, von der eine große erzählerische Sogwirkung ausgeht.

David Whish-Wilson: "Die Gruben von Perth", Suhrkamp, 320 S., 9,95 €

Weiße Erbsünde
Der Rassismus ist in den USA bis heute virulent. Weiße Suprematisten beherrschen nach wie vor das Feld, und immer wieder flackern Unruhen auf – etwa nach den tödlichen Schüssen auf einen Schwarzen in Charlotte 2016. Das ist der Stoff, aus dem "Grant Park" gewebt ist. Malcolm Toussaint, Kolumnist der "Chicago Post", wird am Tage von Obamas Amtseinführung im Januar 2008 von der White Resistance Army entführt – kurz nachdem er einen Wutkommentar auf den "Bullshit der Weißen" losgelassen hatte. Die Rassisten planen, die Amtseinführung zu bombardieren. Die Bilder der Gegenwart überblenden sich mit Malcolms Erinnerungen an Martin Luther King, der 1968 in Memphis vor einer geplanten Großdemonstra­tion ermordet wurde.

Leonard Pitts Jr.: "Grant Park", Polar Verlag, 550 S., 22 €

Edle Ganoven
Ryan Gattis, Jahrgang 1987, legt mit »Safe« einen rasanten Thriller vor, 20th Century Fox hat sich bereits eine Option auf die Filmrechte gesichert. Der Crime-Movie in Printform, dem der Autor schon eine Songliste als möglichen Soundtrack voranstellt, erzählt ein Märchen vom edlen Verbrecher. Die Hauptrollen spielen Ricky Mendoza alias "Ghost", ein begnadeter Tresorknacker, und Rudi Reyes alias "Glasses", die rechte Hand des Drogenbosses – in wechselnder Erzählperspektive. Ricky, der inzwischen für das Drogendezernat arbeitet, bekommt eine Liste mit Safes in die Hände, die Reyes, der auch ein neues Leben beginnen möchte, der Polizei zugespielt hat. Rickys Idee: so viel Geld abzweigen, wie es geht, um Arme damit zu unterstützen. Seine feste Absicht: "Ich ziehe es verdammt noch mal durch."

Ryan Gattis: "Safe", Rowohlt Hundert Augen, 416 S., 20 €

Die Rache der Verfolgten – zum Finale
Niels Oxen und Margrethe Franck sind Ausgestoßene. Er, ein ehemaliger Elitesoldat, und sie, eine ehemalige Geheimdienstmitarbeiterin, wurden vom Machtzentrum Danehof kaltgestellt und werden von Killern verfolgt. An ihrem Rückzugsort auf den schwedischen Schären schmieden sie Rache­pläne. Der Abschluss der Verschwörungstrilogie von Jens Henrik Jensen – großes Actionkino.

Jens Henrik Jensen: "Oxen. Gefrorene Flammen", dtv, 592 S., 16,90 €

Verdrängte Wut
Wie das Böse in die Welt kommt, fragt sich vermutlich jeder Thriller-Autor, wenn er seine mordenden Geschöpfe betrachtet. Bernhard Aichner zeigt es in seiner unverwechselbaren Kurztaktprosa am Beispiel von Ben, der mit 13 ein Mädchen grausam erschlägt, Therapien durchmacht und 30 Jahre nach der Tat das Böse wieder aufsteigen spürt. Grandios erzählt!

Bernhard Aichner: "Bösland", btb, Oktober, 448 S., ca. 20 €

Böse Mächte
Als die Kölner Zentralmoschee noch vor ihrer offiziellen Einweihung in die Luft gesprengt wird, ist das Rätselraten groß. War der Rechtsterrorist und Reichsbürger, dessen Leiche man in den Trümmern fand, der Täter? Wieso bringen die Ermittler einen jüdischen Rabbiner mit der Tat in Zusammenhang? Als weitere Anschlagspläne bekannt werden, geraten weitere Mächte ins Visier der Ermittler, und das Verschwörungs­karussell nimmt Fahrt auf.

Leon Sachs: "Mein ist die Macht", Emons, Oktober, ca. 320 S., 14,95 €

Im Zeichen der Sonnenfinsternis
Erin Kellys Buch gehört zu den Spannungsromanen, in denen Identitäten und biografische Gewissheiten ins Wanken geraten. Menschen sind nicht die, für die sie sich halten. Auch Kit und Laura nicht, die während der Sonnenfinsternis 1999 womöglich Zeugen einer Vergewaltigung wurden. Das Opfer von damals, Beth Taylor, sucht sie seither heim.

Erin Kelly: "Vier. Zwei. Eins. 4 Menschen, 2 Wahrheiten, 1 Lüge", Fischer Scherz, 480 S., 14,99 €

Ungeahnte Kraft
Ein Spannungsroman mit viel Mystery-Anteil ist die Trilogie "Das Lied der Wächter", die im Oktober mit dem Band "Das Erwachen" startet. Das Ausgangsszenario: Der Schwarzwald ist seit einem Atomunfall vor 16 Jahren eine Sperr­zone. Der 16-jährige Felix erfährt von seiner Pflegemutter, dass damals seine Eltern in dem Gebiet verschwanden. Felix macht sich auf den Weg in das verstrahlte Gebiet und stößt auf eine Gefahr, die sämtliches Leben auslöschen könnte.

Thomas Erle: "Das Lied der Wächter. Das Erwachen", Gmeiner, Oktober, 380 S., 15 €

Riskante Recherche
Thorsten Büthe, Leiter der Operativen Fallanalyse (OFA) in Hannover, hat es mit einem unberechenbaren Mörder zu tun. Er wählt seine Opfer zufällig aus und bringt sie mit dem ersten Stich – in den Kehlkopf – bereits zum Schweigen. Büthe kreist den Täter ein, bringt damit aber auch sich und seine eigene Familie in Gefahr. Autor Carsten Schütte ist seit 2016 – wie sein Protagonist – Leiter der OFA Niedersachsen und hat bereits seit den 90er Jahren Erfahrungen in der Fallanalyse gesammelt. Sein autobiografisch angereicherter Roman vermittelt zugleich eine spannende Innenansicht der Polizeiarbeit.

Carsten Schütte: "Im Fokus", CW Niemeyer, 384 S., 13 €

Schlaflos
Der Anwalt David Berger kann seit Nächten nicht schlafen. Als seine Freundin und sein bester Freund ermordet werden, wird er verdächtigt – denn Schlaflose werden, wie man weiß, wahnsinnig. Die Archäologin Nina gewährt ihm Fluchthilfe, entpuppt sich aber als Teil einer Verschwörung, die sich gegen David selbst richtet. Abgedrehte Story!

Tibor Rode: "Das Morpheus-Gen", Lübbe, 432 S., 15 €

Totgesagt
Emma Sköld wurde von Kollegen, denen sie auf der Spur war, getötet. Das glaubt die Öffentlichkeit. Tatsächlich hat sie überlebt und ermittelt jetzt gegen den Polizeichef Stockholms, der das Land von Bettlern und Migranten "säubern" will und nicht vor Morden zurückschreckt.

Sofie Sarenbrant: "Die Tote und der Polizist", Rütten & Loening, 352 S., 16,99 €

Angstzustand
Eine Mordserie an Deutschen und einem Mitarbeiter der griechischen Botschaft ruft den Privatermittler Farang – Sohn einer Thai und eines Deutschen – auf den Plan. Seine Recherchen führen ihn nach Griechenland, an einen Ort, an dem Wehrmachtkommandos im 2. Weltkrieg wüteten.

D. B. Blettenberg: "Falken jagen", Pendragon, 380 S., 18 €

Tödlich
Paul Reeves, Anwalt für Einwanderungsrecht, wird von seiner Nachbarin Jennifer um Hilfe gebeten. Die mit einem schwerreichen Exil-Iraker verheiratete Frau hat ein Verhältnis. Als ihr Mann davon erfährt, kommt es zu einer "klärenden" Aussprache zwischen ihm und Paul, die eskaliert. Spannender New-York-Thriller!

Colin Harrison: "Die Zügellosen", Droemer, September, 416 S., 14,99 €