Leipziger Buchmesse

Rein in die Kontroverse!

18. März 2018
von Börsenblatt
In den Wochen und Monaten vor der Leipziger Buchmesse war viel über Positionen zu und Umgang mit extremen politischen Strömungen diskutiert worden, mit Spannung wurde der Praxistest in den Leipziger Messehallen erwartet. Ein Rückblick auf vier Tage Meinungsvielfalt.

„Einem Menschen begegnen heißt, von einem Rätsel wachgehalten zu werden“, so zitierte Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke zur Buchmesseröffnung den Philosophen Emmanuel Lévinas. Toller Aufschlag. Und es stimmt ja: Auf der Suche nach dem, was und wer der „Andere“ ist, versagen nicht selten die gewohnten Strukturen unseres Denkens. Als Jennicke kurz darauf die Ansicht äußerte, dass man laut widersprechen müsse, wenn die größte Opposition im Bundestag die Mehrdeutigkeit von Kultur in Zweifel ziehe, tönte ein einzelnes, lautes „Buh“ vom Rang des Gewandhaus-Saals. Wer nun fürchtete, auf der Leipziger Buchmesse werde es die nächsten vier Tage zugehen wie im hysterischen Internet, wurde auf angenehme Weise enttäuscht: Statt florierendem Etikettenhandel dominierte die Auseinandersetzung auf der inhaltlichen Ebene.

Ein vom Börsenverein organisiertes, von Torsten Casimir moderiertes Podium am Messedonnerstag, bei dem Manfred Keiper (Die andere Buchhandlung, Rostock) und Michael Lemling (Lehmkuhl, München) auf Susanne Dagen (Buchhaus Loschwitz, Dresden) trafen, zeigte exemplarisch, wie es gehen könnte: Miteinander reden, rein in den thematischen Nahkampf. Wenn Lemling im gemütlichen, linksliberalen Schwabing 500 Mal Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ verkauft, wenn die neue Rechte mit Antonio Gramsci argumentiert, dann ist das ein Schock. „Früher hätte ich gesagt ‚Herr, lass Abend werden!’, heute würde ich vielleicht eine Veranstaltung dazu machen“, sagt Lemling. Und: „Wir werden uns diesen ungemütlichen Diskussionen stellen müssen.“ 

Die Kontroverse ins eigene Haus tragen? Angesichts des Risses, der quer durch die Gesellschaft geht, sollten Buchhandlungen verstärkt zu „Orten des Dialogs und der inhaltlichen Auseinandersetzung“ werden, wurde Christoph Links, Sprecher der 2017 gegründeten IG Meinungsfreiheit im Börsenverein, nicht müde zu betonen.

Das ist selten vergnügungssteuerpflichtig, manchmal gibt es unerwartete Sternstunden, die einer gewissen Ironie nicht entbehren: Als die Autoren Andreas Speit und Liane Bednarz eben dabei sind, sich den Schwierigkeiten des Schreibens über Rechte im Allgemeinen und deren gern eingenommene Opferrolle im Besonderen zu widmen, gibt es überraschenden Besuch von Antaios-Verleger Götz Kubitschek und dessen Frau Ellen Kositza:

 „20 Podien über uns, kein einziges mit uns“, beklagten sich beide lautstark. Am späten Samstagnachmittag kommt es während einer Veranstaltung des Antaios-Verlags zu tumultartigen Szenen; Antifaschisten skandieren Sprechchöre, es wird geschubst und gedrängelt, zu Schaden kommt aber niemand. 

Haben nun auch deutsche Buchmessen ein „Hooligan-Problem“ (Die Welt)? „Auf jeden Fall haben wir deutlich mehr Aufwendungen, die Themen ‚Meinungsfreiheit’ und ‚Sicherheit der Besucher’ ins richtige Verhältnis zu bringen“, sagt Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse. „Auch friedliche Auseinandersetzungen bleiben Auseinandersetzungen. Wir verstehen uns auch hier als lernendes System – aber die verschiedenen Seiten entwickeln ihre Strategien ja auch weiter. Das wird eine Langfrist-Aufgabe – aber das war uns von vornherein klar.“

Bitte gelassen bleiben im Umgang mit Demokratie-Verächtern, so lautet eine der „10 Regeln für Demokratie-Retter“, die KiWi-Autor Jürgen Wiebicke formuliert. Angesichts von 2630 Ausstellern aus 46 Ländern, die sich friedlich und unaufgeregt in den Messehallen tummeln, muss man tatsächlich nicht über jedes Stöckchen springen.

„Ich glaube an die Kraft des besseren Arguments“, sagt Mohamed Amjahid, Kurator des Themenschwerpunkts „Europa21“. Der junge ZEIT-Journalist ist kein Kind von Traurigkeit, er lud etwa die erzkonservative polnische Politikwissenschaftlerin Aleksandra Rybinska und Adam Szymczyk, Chefkurator der Dokumenta 14, zum „Europaduell“ nach Leipzig. Das Zeitgenössische Forum platzte aus allen Nähten, die Emotionen kochten hoch. „Konstruktiv streiten, das funktioniert“, sagt Amjahid lachend: „Der Schnee war das größere Problem.“