Leipziger Buchmesse

Spiel ohne Grenzen

21. März 2010
von Börsenblatt
Von Text 2.0 bis Alternate Reality Games: Die mediale Klaviatur, auf der man Buchstoffe heute spielt, wird breiter. Ein Börsenblatt-Podium im Fachforum brachte Experten zusammen, die an den Schnittstellen zwischen klassischer Print-Welt und digitalen Medien arbeiten.

Roland Schmidt hat als Regieassistent für Detlev Buck gearbeitet und Musik-Videos für die 'Ärzte' gedreht – heute kümmert er sich mit der Lizenzagentur diadic für Autoren, Verlage oder Literaturagenturen um die Verwertung von Film- und TV-Rechten – von der ersten Einschätzung eines Stoffes bis zur Abrechnung der eingehenden Zahlungen. Wenn es um die Bewertung der Marktchancen von Büchern als Film geht, gibt es keinen Königsweg: "Das Gesamtpaket muss stimmen." Produzent und Regisseur müssen zum Stoff passen. Und was geht? Bestseller natürlich, die haben, so Schmidt, "ihre Verfilmungsrechte eigentlich immer schon weg". Daneben historische Stoffe – wobei "historisch" in diesem Metier schon den Zeitraum der letzten 10 Jahre abdecken kann – und Krimis.

Füße in beiden Welten 

Wie aber findet ein Verlag den passenden Produzenten? Cannes, Berlin, kleinere Filmfestivals oder – zunehmend – die Buchmessen sind das Terrain, wo sich Schmidt und eine überschaubare Anzahl seiner Kollegen tummeln. Ein Job, für den es enormes Wissen braucht – die Filmbranche habe letztlich eine "ganz andere Geschäftskultur" als die eher konservativ tickende Buchwelt. "Sie müssen Ihre Füße in beiden Welten haben." Seine Dienste lässt sich Schmidt mit 15 Prozent vergüten – die hole "ein halbwegs ordentlicher Agent" jedoch "gleich bei der Preisverhandlung rein". An Millionen-Deals sollten Autoren oder Verlage trotz tendenziell gestiegener Rechte-Preise jedoch nicht glauben – der Markt ist limitiert. Üblich seien Abschlüsse im "unter-sechstelligen Bereich". Letztlich, so Schmidt, "geht es auch in meinem Job ums profane Klinkenputzen. Das aber dann wenigstens", Schmidt grinst, "am Strand von Cannes".  

Mit zwei 'Brigitte'-Anzeigen dabei

Thomas Zorbach ist Experte für "virales Marketing". Als Geschäftsführer der Berliner Marketingagentur vm people arbeitet er an Kampagnen, die die Leser schon vorm Erscheinungstermin in die Welt der Bücher hineinzieht. Mit fesselnden, interaktiven Geschichten, so genannten "Alternate Reality Games", wird der Versuch unternommen, eine Art "zweite Realität" zu entfalten. Auf diese Weise arbeitete Zorbach unter anderem für den Thriller-Autor Sebastian Fitzek oder für den Launch von Chicken House Deutschland. Zorbachs Faustregel: "Je enger man mit Autor oder Verlag verzahnt ist, desto besser. Schließlich soll das, was wir inszenieren, die gleiche Stimmung atmen wie das Buch." Ganz billig ist der Spass nicht, ganze Teams – vom Location-Scout bis zu Regisseur und Kameraleuten – wollen bezahlt sein. Rund 80.000 Euro sollte man schon einpreisen, damit die Sache gut wird. Oder, wer lieber so rechnet: "Zwei ganzseitige 'Brigitte'-Anzeigen". Tendenziell, so Zorbach, müssten Verlage neue Kompetenzen aufbauen, wenn sie Bücher als "Einstiegs-Tore in multimediale Erlebnis-Welten" begreifen wollten.   

Wer mit dem Text heult

Die Kunden der e-Publishing-Expertin Ursula Welsch denken beim Schlagwort "medienneutrale Datenhaltung" nicht mehr an Legehennenbatterien – dennoch sind Lektorate und Herstellungsabteilungen auch zehn Jahre nach dem längst vergessenen Hype um die Multimedia-CD-Rom noch längst nicht komplett auf die neuen Anforderungen multimedialer Projekte eingestellt. Fachverlage hätten die Nase vorn, bei den Belletristen seien die Arbeitsabläufe oftmals noch sehr konventionell ausgerichtet – hier müssten sich Unternehmensstrukturen ändern, um für die Anforderungen, die e-Books, iPads und Videos stellten, gewappnet zu sein. "Die klassische Trennung in Herstellung/Technik und Lektorat/Inhalte ist längst obsolet", sagt Welsch, "die Aufgaben wachsen zusammen. Heute muss ein Lektor auch IT-Profi sein." Neben den in Mode gekommenen Buch-Trailern und multimedialen Zusatz-Inhalten sieht die Workflow-Optimiererin erste, spannende Ansätze, den Texten selbst multimedial Beine zu machen: So werde am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) längst am Text 2.0 gearbeitet – eine Augenkamera und die passende Software macht's möglich: "Wenn Sie dann 'Der Wolf heult' lesen, heult der wirklich."

Bye, bye, Filzlatschenkino

Und wo geht die Reise zwischen Gutenberg-Galaxis und neuen Verwertungsformen hin? Mit kühnen Visionen geizten die Podiums-Teilnehmer: Multimedia bleibt, vor allem im Marketing, auf dem Vormarsch, so Welsch, und, so ergänzte Zorbach, die Experimente mit neuen Erzählformen werden zunehmen. Kino/TV wird in wachsendem Maß Games-Elemente aufnehmen, das Filzlatschenkino sich ins Web verabschieden. "Das" so Film-Agent Schmidt, "dauert aber noch eine Weile. In der Zwischenzeit wird es erst mal weiter darauf ankommen, gute Geschichten zu erzählen". Das gilt fürs klassische Buch eben so wie für seine hibbeligen Mediengeschwister Film, Internet und Spiele.