Lieblingsbuchhandlung: Laurynas Katkus über Eureka! in Vilnius

Mit Bukowski auf dem Sofa

23. März 2017
von Börsenblatt
Der litauische Autor Laurynas Katkus erklärt, warum die Buchhandlung Eureka! in Vilnius etwas Besonderes ist.

Für mich ist Lesen eher ein Trieb als eine rationale Tätigkeit. Seit eh und je übt eine Seite voller Schriftzeichen eine unwiderstehliche Anziehung auf mich aus und weckt den Drang, sie mir einzuverleiben. Als Kind kam ich aus der Buchhandlung in unserem Plattenbauviertel immer erst nach ein paar Stunden nach Hause – mit schmerzenden Beinmuskeln (ich stöberte immer stehend) und mit voller Blase. Zu Beginn der Stu­dienjahre war der Hauptschauplatz meines Verlangens die mit Wandmalerei und Regalen aus dunklem Holz ausgestattete Universitätsbuchhandlung. Links vom Eingang: Philosophie und Kunsttheorie (auf dem Tisch die Zeitschriften); geradeaus: Geschichte und Sprachwissenschaft; rechts an der Kasse vorbei: ­litauische Lyrik, Prosa und Weltliteratur.

Dann kam die neue Ära. Die alten Buchläden sind erst zu austauschbaren Geschäften geworden und dann nach und nach verschwunden. Private Buchhandlungen tauchten auf, dann die Buchketten. Eine Zeit lang waren sie obercool, denn sie boten breite Auswahl in der Kombina­tion mit bequemen Ledersesseln. Doch als 2008 die Finanzblase platzte, vermehrten sich schlagartig die unerklärlichen Fälle des Verschwindens von Nicht-Bestsellern aus den Regalen. Später hielten die Hipster-Cafés Einzug in den Geschäften.

Die Frage "kaufen oder nicht kaufen" ist bei mir schon früh aktuell geworden, denn mein Einkommen hielt mit den Preisen nicht Schritt. Ich probierte verschiedene Wege: Ich lieh mir Bücher von Freunden, tauschte mit anderen Autoren (ganz praktisch hinsichtlich der neuen ­litauischen Literatur, weniger in Bezug auf antike Literatur). Ich kopierte oder scannte. Dann machte das Internet immer mehr interessante Texte zugänglich. Seitdem tobt meine Lesesucht zunehmend im Netz, sodass ich periodisch digitale Fastenzeit einlegen muss.

Die Buchhandlungen im heutigen ­Vilnius, die einen Besuch wert sind, sind entweder kleine Buchläden oder die modernen Antiquariate. Die Letzteren erleben eine wahre Blütezeit. Wegen der seinerzeit riesigen Auflagen sind die Veröffentlichungen der Sowjetzeit preiswert zu haben, und die teuersten und rarsten Bücher sind paradoxerweise die, die nach 2000 erschienen sind.

Die beste Buchhandlung der Stadt ist für mich zweifellos ­Eureka!. Der Name hat nicht nur mit Archimedes zu tun, sondern ebenso mit dem Vornamen der Inhaberin, die Eurika heißt. Noch vor einem Jahrzehnt hätte ich nicht gedacht, dass ich in der Anonymität von Vilnius einmal den Namen einer Buchladenbetreiberin und den Namen des Barmanns meiner Kneipe kennen würde. Wie dem auch sei, ich komme regelmäßig vorbei, setze mich auf das legendäre Sofa und bleibe eine Weile – und dann noch eine. Denn wo gibt es einen weiteren Ort, wo sich bei Reggaemusik mit den Verkäufern und anderen Kunden so angeregt über Neu­erscheinungen oder über polnische Lieblingslyriker plaudern lässt? Oder auch darüber, warum Bukowski bei uns ein Longseller ist.

Man lernt hier auch, wie es heute um den Buchhandel steht. Seitdem ich mit Eurika & Co. bekannt bin, verstehe ich viel besser, wie schwierig es ist, einen solchen unabhängigen Buchladen über Wasser zu halten. Und ich kaufe wieder öfter Bücher. Wenn man vergleicht, kostet ein Buch nur ungefähr so viel wie drei Bier in der schickimicki gewordenen Altstadt. Also, im Stil der Zwanziger-Jahre-Werbung: Ganz Vilnius ist eine große Buchhandlung, doch Bücher kauft man am bes­ten bei Eureka!.

Laurynas Katkus, Jahrgang 1972, studierte Philologie in Vilnius, Leipzig und Berlin. Seine Lyrik und seine Prosawerke wurden bislang in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Auf Deutsch ist vor Kurzem der Essayband "Moskauer Pelmeni" (Leipziger Literaturverlag) erschienen