Lieblingsbuchhandlung: Michael Stavarič über die Buchhandlung Slawski in Buchholz

Nur den Kopf ein wenig neigen ...

24. Mai 2017
von Börsenblatt
Michael Stavarič besucht gern die Buchhandlung Slawski in Buchholz in der Nordheide.

Bücher ermuntern einen, sich selbst zu betrachten, sich stetig zu hinterfragen – ja, zu wandeln: Lektüren und Selbstreflexionen sind seit jeher miteinander verknüpft. Ich habe ein Leben lang Bücher gelesen, um Teil ihrer Gedankenwelten zu werden; ich benötig­te als Kind keinen Fernseher, jedwede Ablenkung war unerwünscht, wenn ich in literarische Tiefen abtauchte. Ob es sich um Karl May, Alice im Wunderland, Moby Dick oder später um Autoren wie Bachmann, Byron, Bulgakov, Apollinaire etc. handelte, immer betrat ich das Reich der Fantasie, welche Realitätsebenen verschob und die Zeit außer Kraft zu setzen schien.

Es war Hrabals "Allzulaute Einsamkeit" die mich darüber sinnieren ließ, was für eine Rolle Bücher in der Gesellschaft spielen, wie wichtig ihre Existenz doch für die Welt ist. Während ich Abitur machte, dachte ich ernsthaft daran, eine eigene Buchhandlung zu eröffnen, die bis unter die Decke mit Lieblingsbüchern bestückt sein müsste. Ich wäre dort hinter meinem Verkaufspult gesessen, neben ­einer alten Registrierkassa, gewiss den ganzen Tag über lesend und mit Kunden die Vorzüge dieses oder jenes Titels er­örternd. Natürlich hätte ich dort Erkenntnisse aus Lieblingsbüchern zitiert: "Ich beschmutze mich mit Lettern und bin fast schon wie die Enzyklopädien, es genügt, dass ich mich nur ein wenig ­neige, und schon fließen lauter schöne Gedanken aus mir." Oder auch: "Ich bin gebildet gegen meinen Willen, und so weiß ich nicht einmal, welche Gedanken von mir sind und welche ich nur herausgelesen habe, denn wenn ich lese, so lese ich ja eigentlich gar nicht, ich picke mir nur eine schöne Sentenz heraus und lutsche daran wie an einem Bonbon." Ich hätte vor meinen Kunden betont, dass alles, was ich zu wissen glaube, aus Büchern stamme, denn nur in diesen sind schließlich alle Gedanken enthalten. Ich hätte dort mit meiner Stammkundschaft den Kopf geneigt und lauter schöne Gedanken wären aus uns geflossen, herrlich aberwitzige, abgründige und spannende, der Laden wäre ein Ort des ewigen Diskurses. Es hätte täglich ein intensiver Austausch stattgefunden, Lesungen mit lieb gewonnenen Schriftstellern stünden auf der Tagesordnung und natürlich gäbe es ein Haustier mit irgendeinem literarischen Namen, einen Hund gewiss, vielleicht sogar einen Papagei.

Wer jetzt meine, ein derart beschaffener Ort sei ganz und gar utopisch, den muss ich eines Besseren belehren: Denn so ähnlich geht es in meiner Lieblingsbuchhandlung Slawski in Buchholz bei Hamburg zu. Wenn ich dort über die Türschwelle trete, befinde ich mich in einem eigenen Universum, wo sich verdammt viele Lieblingsbücher (die anderswo als vergriffen gelten!) einfach aus den Regalen pflücken lassen. Die Buchhändlerinnen plaudern mit ihrer Stammkundschaft, sie diskutieren über dieses und jenes Werk, es gibt sogar einen Hund namens Wanja, der regelmäßig zu lesen scheint; denn wenn man kurz aus dem Augenwinkel hinspäht, dann geht er tatsächlich auf zwei Beinen, ich schwör's. Die Buchhandlung, die ich stets haben wollte, existiert also tatsächlich, glück­licherweise hat es nur ein halbes Leben gedauert, sie zu finden.

Michael Stavarič wurde 1972 im tschechoslowakischen Brno (Brünn) geboren und kam als Siebenjähriger nach Österreich. Er lebt heute als freier Schriftsteller, Übersetzer und Dozent in Wien. Im März ist sein neuer Roman "Gotland" (Luchterhand) erschienen, den er in der Buchhandlung Slawski bei Inhaberin Monika Külper vorstellte.