Hier Margarete Stokowskis Stellungnahme im Wortlaut (zuerst veröffentlicht auf rowohlt.de):
"Die StellungnahmeMichael Lemling, Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl, hat sich dazu geäußert (auf seiner Webseite und auf Facebook), dass ich meine Lesung in seiner Buchhandlung abgesagt habe. Die Lesung sollte Ende November stattfinden. Anfang Oktober erzählte mir jemand, dass es bei Lehmkuhl auch ein Regal mit Büchern von rechten und rechtsextremen Autor*innen und aus dem Antaios-Verlag gibt. Ich las einen Kommentar von Michael Lemling im Börsenblatt vom März 2018, in dem er sich dafür aussprach, Texte von Rechten im Original zu (ver.-)kaufen und rief bei meinem Verlag, Rowohlt, an, um zu fragen, ob man dort mehr darüber wisse, und ob das noch Herrn Lemlings aktuelle Haltung sei. Daraus entstand ein Mailwechsel mit Herrn Lemling, der mir erklärte, dass es für ihn zum Engagement gegen Rechts gehört, die Texte zu kennen, die Rechte schreiben. Ich wiederum erklärte ihm, warum ich ein Problem damit habe, in einer Buchhandlung zu lesen, die Bücher von Rechten und Rechtsextremen im Regal stehen hat, also aktiv zum Verkauf anbietet. Hauptsächlich zwei Gründe: erstens die Normalisierung rechten Denkens und zweitens finanzielle Gewinne für diese Autor*innen und Verlage.
Auszug aus meiner Mail:«Ich teile Ihre Sichtweise, dass man die Positionen von Rechten kennen sollte, um gegen sie zu argumentieren. Wo wir wohl unterschiedlicher Auffassung sind, ist die Frage, ob man deren Bücher dann auch kaufen sollte bzw. zum Kauf anbietet. Für mich gehört es sehr zentral zum Engagement gegen Rechts, dass man die Positionen von Rechten und Rechtsextremen nicht normalisiert. Mit «normalisieren» meine ich, bestimmte menschenfeindliche Aussagen als etwas hinzustellen, was eben zum vielfältigen Spektrum innerhalb einer Demokratie gehört und was man «aushalten» müsse, auch wenn dabei z.B. gegen Minderheiten gehetzt wird. (…) Man muss diese Texte dann nicht unbedingt kaufen, dafür gibt es Bibliotheken, Archive usw. Ich sehe nicht, wie man sich gegen Rechts engagiert, wenn man Autoren wie Alexander Gauland oder aus dem Antaios-Verlag durch Buchkäufe Geld zukommen lässt. (…) Ich sehe nicht, wie man als Buchhändler einerseits gegen Rechts sein will und dann gleichzeitig den Erfolg der Rechten in diesem Land unterstützt, indem man ihre Schriften aktiv anbietet und durch Verkäufe fördert.»
Herr Lemling schrieb ungefähr das, was er nun auch in seiner Stellungnahme schrieb: dass er seit der Debatte um «Finis Germania» seine Haltung zum Verkauf rechter Bücher geändert habe und dass man aber keinen Rechtsruck in seiner Buchhandlung befürchten müsse.
Mir schienen unsere Haltungen zum Kaufen und Verkaufen rechter Bücher nicht vereinbar, deswegen sagte ich ab, hier meine Mail:
«Lieber Herr Lemling,
danke für Ihre Erläuterungen. Ich weiß, es ist nicht leicht und oft ganz unmöglich, Grenzen zu ziehen, wer jetzt zu ‹Rechts› gehört und wer nicht. Die Nazis mögen Carl Schmitt, sie mögen Wagner und Nietzsche und so weiter, und man muss das alles dennoch nicht gleich aussortieren, nur weil es in rechten Kreisen beliebt ist. Es gibt aber trotzdem einige aktuelle rechte Autoren und Autorinnen und Verlage, die man meines Erachtens nicht anbieten sollte, wenn man sich gegen Rechts engagieren will. Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie mit Ihrer Buchhandlung nach rechts rücken, aber ich halte es doch für sehr falsch, diese Titel im Angebot zu haben. Wenn eine Autorin dazu recherchieren will und die Bücher über Sie bestellt, das verstehe ich, aber das rechtfertigt es für mich nicht, rechte Autoren im Regal stehen zu haben. Ich tu das nicht gern, aber ich sage die Lesung ab und werde in München woanders lesen.
Viele Grüße
Margarete Stokowski»
Herr Lemling meldete sich daraufhin gar nicht mehr bei mir, sondern teilte Rowohlt mit, er würde die Lesung kurzfristig absagen, mit der Begründung, ich sei krank geworden. Das ging für mich aus verschiedenen Gründen nicht: zum einen lese ich am Tag nach dem ursprünglich geplanten Münchener Termin in Nürnberg und werde dort vermutlich nicht krank sein. Zum anderen finde ich eine solch kurzfristige Absage dem Publikum gegenüber nicht fair, wenn man eigentlich schon früher absagen könnte. Nach mehreren Telefonaten mit verschiedenen Zuständigen bei Rowohlt einigte man sich mit Herrn Lemling darauf, dass er in einigen Tagen die Lesung ohne Gründe absagen würde, was er dann am 30. Oktober tat.
Eine Woche später veröffentlichte Herr Lemling dann seine Stellungnahme, weil er offenbar noch nicht über die Sache hinweg ist. Ich kann zwar seinen Ärger verstehen, dass eine ausverkaufte Lesung abgesagt wird, aber nicht, warum er sich dabei so dermaßen im Ton vergreift und versucht, mich zu diskreditieren. Herr Lemling schreibt: «Wie steht es um die Debattenfähigkeit der streitbaren SPIEGEL-Kolumnistin Margarete Stokowski, die einen linksliberalen Veranstaltungsort wie Lehmkuhl zur No-go-Area erklärt, weil er nicht in ihr ‹Antifa-ist-Handarbeit›-Konzept passt?» – Nun habe ich seine Buchhandlung nicht zur No-go-Area erklärt, sondern bin ihm sogar noch darin entgegengekommen, mich darauf einzulassen, die Lesung ohne Begründung abzusagen.
Herr Lemling schreibt außerdem: «Schade, dass Margarete Stokowski es vorzieht, lieber in ihrer eigenen Echokammer zu verbleiben.» Da Herr Lemling meine Absagegründe schriftlich vorliegen hat, hätte er wissen können, dass es mir nicht darum geht, nicht mit anderen Haltungen konfrontiert zu werden – ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, mit anderen Haltungen konfrontiert zu sein –, sondern darum, nicht mit einem Veranstalter zusammenzuarbeiten, der meines Erachtens einen falschen Umgang mit rechten und rechtsextremen Werken hat. «Antifa bleibt Handarbeit» ist im Übrigen kein von mir entwickeltes Konzept, sondern eine alte Tradition.
Margarete Stokowski"
Wie so oft heutzutage, hätte man die Angelegenheit wohl klären können, wenn man mal direkt miteinander gesprochen und nicht nur über Mails kommuniziert hätte.
Ich habe vor mehr als 16 Jahren meine Ausbildung bei der Buchhandlung Lehmkuhl in München (noch unter dem damaligen Eigentümer Herrn Schumacher) absolviert und bin glücklich darüber, nicht nur eine einfache kaufmännische Ausbildung erhalten sondern eben auch wichtige Werte vermittelt bekommen zu haben. Wie oft haben wir im Kollegenkreis entsetzt über weltpolitische Dinge gesprochen oder sind auch zusammen aktiv auf Demonstrationen gegen rechts gegangen? Auch wird man bei Lehmkuhl einen Thilo Sarrazin sicherlich nicht stapelweise direkt am POS finden, wie es in vielen anderen Buchhandlungen hierzulande ist. Dass diese Buchhandlung nun öffentlich als "Nazi-Laden" beschimpft wird, lässt mich fassungslos zurück. Ich finde die Äußerungen von Frau Stokowski daher arrogant.
Auch bei einem Disput mit dem Veranstalter hätte man sich eben als gebildete Person (die ja Frau Stokowski offensichtlich sein will) mehr über diese Buchhandlung (die nicht nur in München als wichtige kulturelle Einrichtung geschätzt wird) informieren bzw. das persönliche Gespräch suchen sollen. Ich verstehe zudem dann auch nicht, warum Frau Stokowski bspw an der Buchmesse Frankfurt teilgenommen hat, wo eben auch rechte Verlage vor Ort waren und eine deutlich höhere Wahrnehmung erhalten? Dann hätte man eben auch hier eine Teilnahme absagen müssen - konsequent ist anders....
Ich, als Buchhändler, teile die Meinung der Autorin, dass rechte Literatur nicht aktiv angeboten werden muss um Diskussion und Informationsmöglichkeit zu ermöglichen um somit quasi Neutralität zu wahren. Mir genügt auch nicht ein Schild 'Neue Rechte - Altes Denken' am Regal, welches fast museal wirkt, als wäre die Sache vorbei.
Ich kenne aus vielen Streitgesprächen mit Kunden, die verärgert reagieren, dass in meinem Sortiment keine Titel vom Kopp Verlag zu finden sind oder aber der Titel 'Finis Germania' fehlte. Ihre Argumentation lautete, wie die von Herrn Lemling, 'dass man sich ein Urteil bilden müsse' - für mich fadenscheinige Begründungen.
Titel wie diese, werden von mir, weder bestellt noch im Laden verkauft, dazu stehe ich und finde die Haltung von Frau Stokowski vorbildlich.
etwas mehr sprachliche Sorgfalt ist auch hier angebracht: Frau Stokowski hat an keiner Stelle die Buchhandlung als (von Ihnen als Zitat gesetzt) "Nazi-Laden" beschimpft, sondern ist lediglich der Ansicht, dass man diese rechten Autoren nicht auch noch finanziell durch Buchverkäufe unterstützen muss. Als freier Mensch darf sie darüber entscheiden, wo sie ihre Lesungen halten möchte.
(Und mit der Sache an die Öffentlichkeit zu gehen, war Herrn Lemlings Entscheidung.)
Margarete Stokowski hat sich um einen Meinungsaustausch mit der Buchhandlung bemüht – aber Austausch bedeutet ja nicht, dass man am Ende seine eigene bisherige Meinung gegen die des anderen austauscht. So wie die Buchhandlung weiterhin rechte Bücher präsentieren darf, darf die Autorin weiterhin selbst entscheiden, ob dies das richtige Podium für sie selbst ist.
Ich persönlich finde, dass unverblümtes fremdenfeindliches Originalgedankengut in Internetzeiten auch ohne Präsentation in einer Buchhandlung nicht gerade Mangelware ist. Auf Facebook haben die ersten AfD-Seiten die Sache übrigens schon aufgegriffen und rühren bereits die Werbetrommel für die Buchhandlung. Ich gehe nicht davon aus, dass sie damit auf die im Laden ausliegenden rechtskritischen Bücher abzielen.