Meinung

Kinder- und Jugendbuch: "Ritsch-ratsch-raus"

28. Oktober 2010
von Börsenblatt
Über Kinder-Themen wird mit Verve gestritten. Doch Kinderliteratur bleibt außen vor. Von Monika Osberghaus.
Die Kinderseite in der Wochenzeitung "Die Zeit" hat einen perforierten Rand. "Ritsch-ratsch-raus" steht darüber – so kann man Kindern schnell "ihre" Seite rüberreichen. Ähnlich umstandslos vollzog sich im Mai auch der Umzug der "Zeit"-Kinderbuchseite mit ihrem renommierten Luchs-Preis vom Feuilleton hin zur KinderZeit im Wissensteil. Viele Autoren, Illustratoren und Verlage protestierten, die Luchs-Jury trat zurück, aber nichts half: Ritsch-ratsch – raus war die Kinderliteratur.
Seitdem sind ein paar Kinderbuchseiten am neuen Ort erschienen, denen man den Versuch, zugleich erwachsene und kindliche Leser zu erreichen, leider allzu deutlich anmerkt. Die Texte bewegen sich zwischen Inhaltsangabe und Empfehlung, in einem Ton, der Kinder kaum fesseln wird. Von der neuen Luchs-Jury war zu erfahren, mit welchen Hunden oder Kindern ihre Mitglieder zusammenleben, aber kaum etwas über die Kriterien, die sie anlegt, und gar nichts über die Umstände, unter denen sie sich neu finden musste. Bis auf einen Kommentar in der "Süddeutschen Zeitung", die ihre Kinderbuchseite häufig im Sportteil druckt, blieb der Vorgang außerhalb der Branche unbemerkt.
Nur ein Sturm im Kinderbuch-Wasserglas? Ist es denn so wichtig, wo eine Rezension erscheint und an wen sie sich wendet? Ja – denn damit tolle Kinderbücher entstehen, müssen die Erwachsenen, die sie machen, vermitteln, beurteilen und kaufen, sich kritisch mit ihrer Qualität auseinandersetzen. So, wie es auch die Akteure der Erwachsenenbelletristik tun. Und zwar im Feuilleton, wo gerade die Streitdebatten besonderen Unterhaltungswert haben.
Eine ähnliche Auseinandersetzung über Kinderliteratur findet kaum statt. Die meisten Redaktionen räumen ihr nur wenig Platz ein, den sie für nette Empfehlungen nutzen. Ausnahmen wie jüngst die kritischen Stimmen zu Cornelia Funkes neuem Bestseller bestätigen diese Regel nur. Der sachlich unmotivierte Umzug bei der "Zeit" ins Bedeutungslosere sowie die Tatsache, dass zur Buchmesse weder die "Süddeutsche Zeitung" noch die "Zeit" in ihren Literaturbeilagen Platz für Kinderbücher hatten, sind in diesem schwachen Umfeld bedrückende Signale.
Ich ärgere mich über diese Entwicklung – gerade, weil ich von der Kritik- zur Verlagsseite gewechselt bin und nun von hier aus dem Schweigen lausche, das sich über so viele interessante oder ärgerliche Bücher senkt und nur gelegentlich von wohlwollendem Gemurmel unterbrochen wird. Wir brauchen die differenzierende, erwachsene, streit­lustige Diskussion über Kinderbücher!
Über sämtliche Kinder-Themen wird neuerdings leidenschaftlich gestritten – nicht nur in Elternzeitschriften und Familienforen. Die Kinderliteratur aber bleibt außen vor oder wird wie im Fall der »Zeit« weiter auf Abstand gebracht. Angesichts der Tatsache, dass das Geschäft mit Kinder­büchern zunehmend von den Gepflogenheiten des Massenmarkts bestimmt wird, ist es jedoch umso nötiger, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Aber zu vielen Menschen, die sich professionell mit Kinderliteratur befassen, fehlt es einfach an Streitlust. Und solange dies so bleibt, wird es immer zu viele Redaktionen geben, die das Thema nicht ernst nehmen müssen. Schade.