Messebuchhandlung

"Wir bauen ein lernendes System"

14. Juli 2015
von Börsenblatt
Ab 2016 übernimmt das in Leipzig ansässige Unternehmen LSL die Organisation der Messebuchhandlung, die Belieferung erfolgt komplett über Libri. Was sich für Verlage und Buchkäufer ändern soll, erläutern LSL-Geschäftsführer Jürgen Tschirner und Buchmesse-Direktor Oliver Zille im Interview mit boerseblatt.net.

1998 zog die Leipziger Buchmesse aufs neue Messegelände, Hugendubel eröffnete eine Filiale in der City. In dieser Situation schlug die Geburtsstunde der Messebuchhandlung, die es dem Publikum – trotz weitgehendem Verbot des Direktverkaufs am Stand – ermöglichen sollte, seine Lieblingsbücher auf der Messe zu erwerben. Die temporäre Buchhandlung, damals noch auf 350 Quadratmetern, war als Gemeinschaftsprojekt von fünf Leipziger Buchhandlungen angetreten – Kiepenheuer, Buchhandlung an der Thomaskirche, Franz Mehring, Rijap und Grümmer, Logistikpartner war die LKG. Bilanz nach vier Tagen: Eine Viertelmillion Mark Umsatz.

Das Projekt wuchs, wenn auch der Kreis der Beteiligten über die Jahre zusammenschmolz. Nach dem Tod von Ulrich Röbbelen 2007 übernahm Heike Grümmer die Stabführung. 2011 wurden erstmals mobile Kassenkräfte eingesetzt, eine neu eingeführte Servicegebühr erhitzte die Gemüter. Anfang 2015 wurde die Messebuchhandlung neu ausgeschrieben. Das Ziel: Abrechnungsverfahren, Logistik und Services sollen „weiterentwickelt und gestrafft“ werden. Mit LSL erhielt ein in Leipzig ansässiges Unternehmen den Zuschlag, das vermutlich wenige auf dem Schirm hatten: Gegründet als Literatur-Service Leipzig im November 1991 von Jürgen Tschirner, agierte LSL zunächst als Dienstleister für wissenschaftliche Bibliotheken und Behörden und entwickelte sich rasch zu einem der führenden Informationsdienstleister Deutschlands. Seit Januar 2011 ist LSL eine 100prozentige Tochter der Haufe Gruppe. LSL beschäftigt 70 Mitarbeiter und betreut an den Standorten Leipzig und Boston weltweit rund 600 Kunden.  

Eigentlich heißt es ja: Never change a running System. Herr Zille, warum haben Sie einen neuen Partner für die Messebuchhandlung gesucht?
Oliver Zille: Wir müssen unsere Buchmesse zukunftsfähig halten und dafür auch Art und Qualität der von uns angebotenen Dienstleistungen auf den Prüfstand stellen. So eben auch die Messebuchhandlung.

Wie war die Reaktion?
Zille: Das Feedback war doch verhaltener als erwartet, obwohl wir uns sehr bemüht haben, das breit in die Öffentlichkeit zu tragen. Neben LSL, den Partner, den wir nun ausgewählt haben, haben sich auch klassische Sortimentsbuchhandlungen beworben.

 

Für die wäre es eigentlich der klassische Job. Herr Tschirner, LSL ist ein Online-Dienstleister. Können Sie auch Messebuchhandlung?
Jürgen Tschirner: Klar, wir sind fachlich dazu in der Lage, nicht zuletzt, weil wir innerhalb unserer 70-köpfigen Belegschaft zu zwei Dritteln ausgebildete Buchhändler, Bibliothekare oder Verlagskaufleute haben.

Lassen sie uns darüber sprechen, was sich für die Verlage ändern wird. Die Buchhandlung soll nicht mehr nach dem Verlags-Alphabet bestückt werden, sondern nach dem Sortimenterprinzip. Was heißt das?
Tschirner: Zunächst ändert sich die Anzahl der Flächen. Bislang gab es vier Buchhandlungen, ab 2016 werden wir nur noch zwei Flächen bespielen − die Messebuchhandlung in Halle 4 und die Kinderbuchhandlung in Halle 2. Hier möchten wir gern die Flächen vergrößern, das Thema ist aber momentan noch in der Diskussion. Wir wollen die Anzahl der Titel wesentlich reduzieren; angedacht ist eine Größenordnung von 3.000 bis 5.000 und eine Warengruppensystematik. Durch verbesserte Möglichkeiten der Präsentation soll das aber nicht zu Lasten des Umsatzes gehen. Jeder an der Buchmesse teilnehmende Verlag wird pro Quadratmeter Ausstellungsfläche ein Vorschlagsrecht für zwei Titel haben.

Das bildet eine Entwicklung ab, wie sie im Handel schon seit Jahren zu beobachten ist: Der Umsatz wird mit immer weniger Titeln gemacht. Eine Konzentration auf Bestseller zu Lasten kleine Independent-Verlage, nun auch in der Messebuchhandlung?
Tschirner: Klares nein. Jeder Verlag kann dabei sein, wir behalten uns jedoch die finale Entscheidung über die Breite und Tiefe unserer Auswahl vor. Die Leipziger Buchmesse ist eine Novitätenmesse. Deshalb ist es konsequent, dass wir vor allem Titel aufnehmen, die 2015/16 erschienen sind.

Wer baut die Messebuchhandlung, wie wird sie aussehen?
Zille: Wir würden uns natürlich freuen, wenn unser Messebauer seine bisherigen Erfahrungen einbringen könnte. Am Ende belassen wir die Entscheidung darüber aber ganz bewusst bei LSL. 

Tschirner: Die Buchhandlung wird sich verändern, schon, weil wir das Hörbuchangebot dort integrieren und alle Möglichkeiten einer modernen Warenpräsentation ausprobieren. Darüber hinaus wird es auch zwei Tolino-Stationen für e-Books geben.

Die Logistik der stationären Buchhandlungen soll komplett über Libri abgewickelt werden. Wird es für Verlage teurer?
Tschirner: Sie müssen die Gesamtkosten betrachten. Welchen Personalaufwand habe ich, um Bücher zu verpacken, zu versenden, zu verbuchen et cetera? Dieser Aufwand trägt nicht zur Wertschöpfung bei und wird an beiden Enden abgeschnitten. Die Logistik über Libri soll nicht teurer werden – für alle Seiten aber einfacher. Wir haben uns aus drei Gründen für diesen Partner entschieden: Erstens wollen wir bei der Logistik die bislang übliche Zwischenlagerung vermeiden. Libri wird die Buchhandlung gemäß unserer Titelauswahl regalfertig bestücken. Zweitens werden über unser Waren-Wirtschaftssystem alle Bücher und Medien, die wir im Lauf eines Messetags verkaufen, über Nacht nachgeordert, sodass an allen vier Messetagen mit Öffnung der Messetore das komplette Sortiment so dasteht wie am ersten Tag. Der dritte Punkt hat Verlage bislang am meisten gedrückt - das Thema Remissionen: Die wird es nicht mehr geben! Die nicht abverkauften Bestände gehen nach Messeschluss wieder an Libri zurück.

Was passiert, wenn man noch keinen Vertrag mit Libri hat?
Tschirner: Von den Verlagen, die in den letzten beiden Jahren dabei waren, sind deutlich über 95 Prozent bei Libri gelistet. Das Management dort hat uns aber zugesichert, dass man bis 14 Tage vor Messebeginn sehr pragmatisch und unkompliziert zusätzliche Bestände aufnehmen kann.

Beim mobilen Verkauf gab es bislang die nicht ganz unumstrittene "Servicegebühr" − damit soll Schluss sein. Dafür ist ein einheitlicher Rabatt von 38% auf jeden verkauften Titel fällig − bislang waren's für die Verlage mit geringerem Umsatz 35 % für die großen Verlage hingegen 40 Prozent ... Wie geht sich das aus?
Tschirner: Wir wollen wir die Anzahl der Mitarbeiter für die mobilen Kassen aufstocken − und wir werden deutlich in unser Equipment, etwa moderne Kassensysteme, investieren. Damit sind wir in der Lage, die Verlage tagesaktuell über die Abverkäufe zu informieren und nach der Messe ein detailliertes Reporting zu bieten. Zudem haben wir einige neue Services für die Messe-Besucher.

Der Einkauf soll vor allem einfacher und komfortabler werden?
Tschirner: Wir werden die Schwelle zwischen Kaufimpuls und Kauf so niedrig wie möglich halten. Gerade an den Ständen der großen Verlage gab es da in der Vergangenheit Engpässe. Und: Wer möchte, kann sich seinen Einkauf per DHL an die Heimatadresse oder über Kurier ins Hotel liefern lassen − kostenfrei!

Ein Gruß in Richtung Amazon?
Zille: Für uns ist es wichtig, mit der stationären Messebuchhandlung und dem gesamten Verkaufssystem ein Statement zu geben: Bücher sollen beim Buchhandel gekauft werden. Angesichts unserer rund 186.000 Besucher auf dem Messegelände ist das ein starkes Signal: Eine funktionierende Messebuchhandlung mit sehr gutem Service setzt ein Zeichen für den gesamten Buchhandel.

Erstmals wird die Messebuchhandlung, als dritte Säule des Verkaufs, auch mit einem eigenen Webshop antreten...
Tschirner: Alle Bücher und Medien aus den beiden Messebuchhandlungen werden wir in einen eigenen Online-Shop stellen. Auch dort wird versandkostenfrei geliefert. Der Shop wird bis zirka zwei Wochen nach Messeschluss aufgeschaltet bleiben.

Sie nehmen Geld in die Hand und schnüren ein ehrgeiziges Paket − was erhoffen Sie sich? Die Messebuchhandlung als Goldgrube ist doch eher eine Fama...
Tschirner: Wir sehen das pragmatisch. Natürlich wollen wir Geld verdienen. Die Leipziger Buchmesse ist für uns ein Kunde wie Siemens, SAP oder Bayer. Und: Es ist ein sehr anspruchsvolles Projekt. LSL liebt anspruchsvolle Projekte, wir machen das sehr gern. Unsere Mannschaft ist hoch motiviert und freut sich, neben Fach- und wissenschaftlichen Titeln hier ganz andere Bücher und Medien zu verkaufen. Es ist durchaus möglich, dass wir uns hier und da blaue Flecke holen. Aber die Erfahrung, die wir gewinnen, werden wir im Sommer 2016 mit unseren Stakeholdern – den Verlagen und dem Management der  Messe – sorgfältig auswerten und unsere Schlüsse daraus ziehen.

Zille: Die ersten Gespräche deuten auf eine positive Grundstimmung. Natürlich steckt der Teufel immer im Detail. Wenn Jürgen Tschirner von "blauen Flecken" spricht − ja, die werden wir uns vielleicht holen. Aber ich habe keine Angst davor. Wir haben das gut durchdacht. Und wir haben das Konstrukt der neuen Messebuchhandlung als lernendes System angelegt − damit werden wir künftig auch auf neue Herausforderungen von Verlagen und Besuchern flexibler reagieren können. Ich bin mir sicher, dass wir mit einer guten Dienstleistungsqualität auf der Messe auch den Buchhandel insgesamt stärken.

Über welchen Zeitraum läuft der Vertrag?
Zille: Wir haben uns zunächst über einen Mittelfrist-Zeitraum von vier Jahren geeinigt.

Interview: Nils Kahlefendt