Mit Gelassenheit Mitarbeiter führen

Wutausbrüche gut dosieren

10. November 2016
von Börsenblatt
Früher war Fußball ein Spiel und der Trainer ein besserer Sportlehrer. Heute ist die Expertise von der Seitenlinie auch in der Wirtschaft gefragt und jeder zweite Coach schreibt ein Buch über seinen Führungsstil. So wie Carlo Ancelotti.

Die erste Visitenkarte hat Carlo Ancelotti wohlterminiert noch vor seinem Amtsantritt in Deutschland abgegeben. Sein Buch "Quiet Leadership. Wie man Menschen und Spiele gewinnt" (Knaus, 320 S., 19,99 Euro) schaffte es schon kurz nach Veröffentlichung im Mai in die Bestseller­listen und hielt sich dort bis vor wenigen Wochen. "Quiet Leadership" ist keine Autobiografie, wie Ancelottis Co-Autoren Chris Brady und Mike Forde betonen: "Es ist kein praxisfremdes Businessbuch und ganz sicher kein Enthüllungsbuch mit Klatsch und Tratsch. Es sind die Überlegungen eines Praktikers, der Erfahrung damit hat, Teams in einem der dynamischsten und umkämpftesten Märkte, die es gibt, zum Erfolg zu führen."

Trotzdem ist es auch kein Fußballbuch, müsste man ergänzen. Über diesen Anspruch gehen die meisten Bücher von Trainern heute hinaus. Ihre Aussagen werden in einen größeren Zusammenhang gesetzt, ihre Arbeit auf dem Platz und in der Kabine wird auf andere Lebens­bereiche bezogen, etwa die Wirtschaft, zu der das Milliardengeschäft Profifußball ja längst selbst gehört.
Trainer wie Carlo Ancelotti, Pep Guardiola oder Alex Ferguson sind als Berater und Inspiratoren gefragter als so mancher klassische CEO – weil ihre "Erfahrungen zur Lösung aktueller und zeitloser unternehmerischer und geschäftlicher Herausforderungen beitragen können", wie es im Buch heißt.
Wie bei Ferguson, der im vergangenen März das Buch "Leading" vorgelegt hat, geht es auch bei Ancelotti vor allem um Führung. Sein Ansatz ist der Gegenentwurf zu den Vorgängern beim FC Bayern, etwa dem polternden "General" Louis van Gaal oder der Diva Guardiola. Der Bauernsohn aus Nord­italien hat in seiner Familie früh gelernt, was Respekt, Loya­lität und harte Arbeit bedeuten. Als Chef setzt er auf Ruhe und Gelassenheit. Angst unter seinen Spielern und Mitarbeitern zu verbreiten – das ist nicht sein Stil, Wutanfälle hat er eher selten (aber wenn, dann eindrucksvoll, schreibt Brady).
"Quiet Leadership" – Ancelottis Maxime ist für ihn kein Zeichen für Nachgiebigkeit oder Schwäche. Das bestätigen auch die illustren Gastautoren, die zwischen den Kapiteln für die Außensicht auf den Trainer und Exkollegen sorgen: Cristiano Ronaldo, Zlatan Ibrahimović oder David Beckham (was dem Buch eine intelligente Struktur verschafft, aber auch für einige Dopp­lungen sorgt, wenn zum Beispiel mehrfach betont wird, wie bescheiden und respektvoll Ancelotti ist).
"Kein Spieler, der für Carlo spielt, sollte seinen entspannten Stil missbrauchen und seine Pflichten vernachlässigen", schreibt der deutsche Weltmeister Toni Kroos, der in Madrid ein Jahr unter Ancelotti gespielt hat. "Er akzeptiert kein Verhalten, das nicht 'professionell' ist – sein Lieblingsausdruck." Dafür setzt er auf langfristige Bindungen und treue Kollegen als Erfolgsfaktoren.
Was bleibt von diesem Buch, im Vergleich zu anderen Trainer-Weisheiten? Erstaunlich viel, denn Ancelottis Erkenntnisse über Führungsstile, Mitarbeitermotivation und kulturelle Unter­schiede sind zeitlos. Und ein paar nette Anekdoten gibt es obendrein, obwohl die Autoren dies explizit nicht überstrapazieren wollten – zum Beispiel über Ancelottis ehemalige Chefs Roman Abramowitsch und Silvio Berlusconi. Letzteren rief der Trainer in seiner Zeit beim AC Mailand an, um ihm einen teuren Spieler aus den Rippen zu leiern. Dann werde er die Champions League gewinnen, versprach er Berlusconi damals. Und was passierte? Er gewann sie.