Münchner Veranstaltungstrio: Eisbrecher-Abend, Barcamp, Startup-Tour

"Meet and Greet" mit der digitalen Szene

27. September 2015
von Andreas Trojan
48 Stunden Digitales Publizieren – in München konnten Verlage und Startups in der vergangenen Woche einen ausgiebigen Blick auf Geschäftsmodelle und digitale Schnittstellen, auf die Möglichkeiten von morgen und die Defizite von heute werfen. Gleich drei Veranstaltungen des Börsenvereins dienten als Plattform für Networking und Ideenfindung, für Gespräche und Workshops.

Eisbrecher Abend im Carl Hanser Verlag

Das Eis zwischen Tradition und Innovation, zwischen etablierten Branchenfirmen und jungen Startups zu brechen – das will der Startup-Club des Börsenvereins mit der Eisbrecher-Tour erreichen, die vor etwa einem Jahr an den Start gegangen ist. Am 23. September dockte der Eisbrecher in München an, beim Carl Hanser Verlag, der nicht nur zu den literarischen Traditionshäusern gehört, sondern in seiner "Hanser Box" auch mit jungen digitalen Formaten experimentiert.

Gleich vier Startups stellten ihre Geschäftsmodelle beim Münchner Eisbrecher-Abend an der @Theke von Hanser vor:

Lituro (www.lituro.de) Pylba (www.pylba.com) Bookelo (www.bookelo.de) Abobuch (www.abobuch.de)

Leser, Autoren und Verlage stärker vernetzen: Das ist das Ziel von Christoph Seydel. Seine Plattform "Lituro" gestaltet eine individuelle Autoren- und Verlagsseite, die Homepage, Blog, Social Media und Shop vereint. Parallel dazu wird eine Leser-Community aufgebaut.

Die Teilnehmer können sich dabei nicht nur über Buchinhalte und Schriftsteller informieren und austauschen, sondern gleichzeitig auch Bücher kaufen. Seydel will Verlagen und Autoren die Möglichkeit bieten, Leserkontakte und Umsätze zu generieren, die sie mit eigenen, einzelnen Websites nicht erreichen könnten. Ein Premium-Account kostet bei "Lituro" 12,99 Euro monatlich: "Die Verlage sollten mehr Mut zeigen, bei so einer Sache mitzumachen," warb Seydel in München für seine Startup-Idee.

Ein schönes Modell, das zwischen stationären und Online-Handel vermittelt, stellte Susanne Beck-Trenkle beim Eisbrecher-Abend vor. Ihr gehört die Kinder- und Jugendbuchhandlung Phantasia in Planegg. Außerdem betreibt sie gemeinsam mit ihrer Tochter die Plattform "abobuch". Der Online-Shop profitiert von der Sachkenntnis der Buchhändlerinnen. Man kann auf "abobuch" Vorlieben und Interessen eines Kindes oder eines Jugendlichen eingeben - und erhält dann eine Vorschlagsliste mit passenden Büchern.

Zudem gibt es eine Kinderkundenkarte: Erwachsene können sie auffüllen, damit die jungen Kunden dann vor Ort oder im Netz selbst ihre Buchauswahl treffen können. "Abobuch" bietet aber auch Unterstützung für Schulbibliotheken und stellt eine "Wartezimmer Buchbox" für Kinderärzte zusammen. "Was noch ein bisschen fehlt",  so Susanne Beck-Trenkle, "das ist Werbung und Marketing für unser Geschäftsmodell." Der Eisbrecher-Abend bereitete schon mal den Boden dafür.

Einen Newsletter-Service via WhatsApp bietet das Unternehmen Pylba mit "InstaNews" an. Der Versand der Nachrichten erfolgt über den Browser, hat hohe Kapazitäten und ist doch ein "1:1 Chat". Für Tageszeitungen, TV-Kanäle und große Marketingaktionen mag „InstaNews“ tatsächlich Wettbewerbsvorteile erbringen, für Buchverlage mit vergleichsweise geringem News-Potential birgt das Modell noch einige Fragezeichen. Es bleibt spannend, ob sie auf diesen digitalen Zug aufspringen werden.

Nachbarschaftliches Booksharing organisiert die Plattform "Bookelo". Hier kann man seine gelesenen Bücher wie in einem Regal aufstellen und zum Verleih anbieten. Man kann auch nach einem bestimmten Titel suchen und erhält dann per google-map die nächstliegende Adresse, bei der das Buch zu haben ist. Wenn man Glück hat, ist es in der Stadt auszuleihen, in der man wohnt - wenn man großes Glück hat, sogar beim Nachbarn um die Ecke.

Wenn man das weiterdenkt, kommt einem direkt noch ein weiteres Modell in den Sinn: Wer die gleichen Bücher liebt, der könnte auch der richtige Partner sein. Vielleicht wohnt er oder sie ja nur einen Häuserblock weiter. Könnte aus "Bookelo" eines Tages "bookpartnership.de" werden? Betreiber Matthias Gasser lächelt und verneint. Nichtsdestotrotz: Die Idee beschäftigte viele Teilnehmer beim abendlichen Gespräch. Da war das Eis umso schneller gebrochen.

Barcamp Digitale Schnittstellen

Die Digitalisierung verändert die Bedingungen des Schreibens und Lesens grundlegend. Trotzdem erwecken alle gängigen Textverarbeitungsprogramme beim Öffnen eines Dokuments den Eindruck, der Benutzer spanne ein Blatt Papier in eine Schreibmaschine ein. Warum ist das so? Wieso stammen die Metaphern des Schreibens fast durchgängig aus analogen Bezügen? Wie kann man mit diesen Bildern Modelle fürs digitale Publizieren entwickeln? Um diese und weitere Fragen ging es am Tag darauf beim Barcamp "Digitale Schnittstellen" – einem Gemeinschaftsprojekt von Börsenverein, Microsoft und "Süddeutscher Zeitung".

Gastgeber war das Süddeutsche Verlags- und Zeitungshaus in München. Die bunt gemischte Teilnehmerrunde bestand aus Verlagsfachleuten (Piper, Carl Hanser, dtv, Beltz und Ulmer), aus E-Publishern, Gründern und Webjournalisten. In einer Arbeitskonferenz nach dem Barcamp-Prinzip wollten die 30 Besucher zunächst "ihre eigene Ratlosigkeit vernetzen", wie es in der Einladung hieß. Aber natürlich standen am Ende der gemeinsamen Workshops auch Ergebnisse und Erkenntnisse, die sich in einem öffentlichen Protokoll von Kathrin Passig nachlesen lassen.

Den Auftakt des Barcamps machte ein offenes Gespräch über diverse Problemstellungen. Dabei wurde schnell klar, dass es Unsicherheiten auf allen drei Ebenen der digitalen Buchvermarktung gibt: Bei Verlagen, bei Lesern und bei den Autoren. Die Technologie sei zwar weit fortgeschritten, aber es sei keineswegs klar, mit welchen Inhalten sie zu füllen sei, so die Barcamp-Teilnehmer. Für Verlage stellt sich prinzipiell die Frage: Ist ein digitales Buch überhaupt ein Buch?

Aus all den Fragestellungen ergaben sich dann Workshops für den Nachmittag:

  • Was braucht ein Autor an Rüstzeug, um digital publizieren zu können?
  • Wie kann / wird man in fünf Jahren lesen?
  • Welche digitalen Standards benötigen Verlage in der nahen Zukunft?
  • "Wikimeta": Wie können Verlage Metadaten besser nutzen?

Der dritte Workshop dreht sich vor allem um die "Rolle des Verlags im neuen Ökosystem". Dabei wurden sehr konkrete "Do‘s and Dont’s für Verlage" herausgearbeitet, die hier als kleiner Denkanstoß wiedergegeben werden sollen:

Do

  • Kenne die Nutzungsumgebungen deiner Zielgruppe. Wo werden Inhalte genutzt? Daraus kann man Rückschlüsse ziehen auf das Format oder darauf, wie Inhalte geschrieben werden müssen.
  • Sorge für Feedbackmöglichkeiten.
  • Kenne das Nutzungsverhalten.
  • Beziehe den Autor von Anfang an in die Konzeption der gesamten Produktpalette ein.
  • Schaffe dem Autor eine klare Infrastruktur und Anleitung. An den Schnittstellen zum Autor passieren so viele Fehler, Versäumnisse, Ungenauigkeiten, auch weil man nicht genug kommuniziert hat. Möglicherweise auch Editorenoberfläche, in die der Autor direkt reinarbeitet.
  • Schaffe eine transparente Rechte- und Honorarverwaltung

Don’t

  • Medienneutralität ist keine Strategie, "XML first" auch nicht.

  • Denk nicht nur in Büchern und Buchkalkulationen

  • Vergiss nicht die Metadatenstrategie

  • Don’t prototype without a process.

Die Ergebnisse des Münchner Barcamps werden auch auf der Frankfurter Buchmesse diskutiert – und zwar am Messe-Donnerstag, 15. Oktober, im Orbanism Space, Halle 4.1, B73, 10 bis 11 Uhr und 17 bis 17.30 Uhr.

Außerdem ist im September 2016 ein zweites Barcamp zum selben Thema geplant, dann bei Microsoft. Ähnliche Fragen werden bei weiteren Konferenzen diskutiert:

Startup-Tour durch München

Noch während im Barcamp debattiert wurde, fiel am Donnerstagnachmittag der Startschuss zu einer Startup-Tour durch München, organisiert vom bayerischen Landesverband des Börsenvereins und vom Arbeitskreis Elektronisches Publizieren. Dabei ging es weniger um die kleinen, innovativen Firmen, sondern eher um die ganz großen Mitspieler.

Ausgangspunkt war die "Süddeutsche Zeitung". Stefan Plöchinger, Mitglied der Geschäftsführung, erklärte den Teilnehmern, wie die Online-Redaktion der "SZ" aufgestellt ist. Und rauf ging es per Großraumlift in den 22. Stock. Das Hauptproblem, das es zu lösen gilt, beschrieb Plöchinger so: "Es gibt rund 400 Mitarbeiter bei der Print-Redaktion und 100 bei der Online-Redaktion. Wie können beide Gruppen optimal zusammenarbeiten, Inhalte auf beiden Seiten für sich nutzen?"

Auf das bisher Erreichte ist Plöchinger stolz: 40 000 Abonnenten hat die "SZ" in den vergangenen sechs Monaten für ihr junges, kostenpflichtiges Digital-Abo "SZ Plus" gewonnen. Für 29,99 Euro können Nutzer auf alle Angebote der Website zugreifen – seit März sind nur noch ausgewählte Nachrichten kostenfrei zu lesen.

Ganz anders sieht das Online-Geschäftsmodell beim nächsten Printriesen der Start-up-Tour aus: "Focus Online". Die Unterschiede sind augenfällig: Kein Pay-Modell wie bei der "SZ", Print- und Online-Redaktion arbeiten völlig unabhängig voneinander. Mit 19 Millionen Nutzern sei Focus Online "durchaus profitabel", so Kolja Kleist, zuständig für Channelmanagement.

Interessant: Die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Online-Zeitung "The Huffington Post". Die deutsche Redaktion arbeitet in den Räumen von Focus Online, hat Zugriff auf Focus-Artikel, und umgekehrt. Diese Vernetzung kann sich durchaus auszahlen, etwa bei internationalen Themen wie der derzeitigen Flüchtlingsproblematik.

Von den großen Zeitungsverlagen führte die Tour schließlich zu ganz frischen journalistisch geprägten Startup-Unternehmungen. Sie werden in München von der Media Lab Bayern gefördert. Das Modell stellte Media Lab-Leiterin Lina Timm den Gästen vor: Startups bekommen Räumlichkeiten und Equipment zur Verfügung gestellt, für gelungene Geschäftsmodelle gibt es darüber hinaus auch finanzielle Unterstützung und Fachberatung.

"Soundticker" ist so ein Modell, das für Kunden, die im Auto sitzen, auf individuelle Weise Musik und Weltnachrichten verbinden möchte – und auch das Startup "Camper Style", das speziell junge Leute ansprechen will. "Digitale Nomaden", also Vielreiser mit Zelt im Gepäck, sollen über Orte, Gegebenheiten und über Sportmöglichkeiten informiert werden und können auch selbst ihre Eindrücke online stellen.

Das offensichtlich interessanteste Geschäftsmodell war "derkontext.com" – das zeigten die vielen Nachfragen der Tour-Teilnehmer. Kontext versucht auf seiner Website komplexe Themen wie Griechenlands Schuldenkrise anschaulich darzustellen und vielschichtig zu beleuchten.

Auf dem Schirm können verschiedene Themen wie "Klientelpolitik" oder "Öffentlicher Haushalt" angeklickt werden. Der Nutzer erhält dann Fakten und Zahlen, Reportagen, Video-Interviews und kann, wenn er möchte, mit der Redaktion oder anderen Nutzern seine Meinung austauschen. "Der Kontext" soll sich via Abo finanzieren. Nicht nur diese Beispiele zeigen: Auf dem Feld der Startups ist in nächster Zeit noch viel Spannendes zu erwarten – ob im Großen oder im Kleinen.