Novitäten zur Wirtschaftspsychologie

Arbeit essen Seele auf

1. Dezember 2016
von Sabine Schmidt
Nicht allein Zahlen und die eigene Karriere sollten für Führungskräfte eine Rolle spielen – sondern auch die Psyche ihrer Mitarbeiter, empfehlen Experten. Nur eine neue Haltung und der Abschied von starren Hierarchien können der komplexen Arbeitswelt von heute und morgen Rechnung tragen.

Natürlich war früher nicht alles besser, manches schien aber einfacher. Wenn die Bilanzen nicht so ausfielen, wie die Chefs sich das vorgestellt hatten, musste das Personal mehr arbeiten und weniger kosten, der Einzelne spielte eher keine Rolle. Heute ist die Rechnung komplizierter – oder sollte es zumindest sein, wenn es nach Experten geht: Die Seelen sollten hinzuaddiert werden – diese nicht nur für Controller so schwer zu fassenden Gebilde, die aber Spuren in Kosten- und Ertragsrechnungen hinterlassen, je nachdem ob die Mitarbeiter motiviert sind oder innerlich längst gekündigt haben.

Führungskräfte sollten die Psyche schon im Alltag im Blick haben, insbesondere aber in Krisenzeiten, bei Fusionen und (feindlichen) Übernahmen. Der Psychologieprofessor Rolf van Dick will hier weiterhelfen, mit einem Buch, dessen Titel schon die Richtung zeigt: "Identifikation und Commitment fördern" (Hogrefe, 132 S., 24,95 Euro). In wissenschaftlichen Abschnitten zeigt er, welche Studien es über die Haltung der Mitarbeiter gegenüber ihrem Unternehmen gibt. In einem alltagsnahen Teil nennt er Fallbeispiele aus der Firmenpraxis.

Van Dick erklärt, wie Fusionen glücken können, welche Rolle die Corporate Identity eines Unternehmens bei der Mitarbeiterbindung spielen kann, wie verheerend sich eine Misstrauenskultur auswirkt und welche positiven Effekte sich selbst mit kleinen Maßnahmen erzielen lassen. Zum Beispiel verteilt ein internationaler Pharma- und Kosmetikhersteller Visitenkarten an das  gesamte Personal, auch an die Reinigungskräfte. Sie empfinden die Visitenkarten als Zeichen der Zugehörigkeit. Das verändert nicht gleich die Bilanzen, ist aber Signal für ein Firmengefüge, das als Ganzes funktioniert und erfolgreich ist.

Oft gerät Sand ins Getriebe, der zwar gesehen und gespürt wird, aber doch schwer zu fassen ist. Für solche Situationen hat Gunthard Weber Organisationsaufstellungen in Anlehnung an die Familienaufstellungen des Psychoanalytikers Bert Hellinger entwickelt. Hier geht es darum, herauszufinden, wie Prozesse in Betrieben freier und kreativer gestaltet werden können – und ob es für den Einzelnen besser ist zu kündigen oder zu bleiben. Vor 20 Jahren hat Weber diese Arbeit erstmals dokumentiert. Jetzt bringt er mit "Organisationsaufstellungen" ein Buch mit aktuellen Beiträgen von Beratern heraus, die zu den Pionieren der Aufstellungsarbeit gehören (Carl-Auer, 352 S., 44 Euro).

In einigen Fällen ist nicht allein der Sand im Getriebe das Problem, sondern derjenige, der ihn streut: vorsätzlich, kühl kalkulierend und clever. "Toxiker" nennen Heidrun Schüler-Lubienetzki und Ulf Lubienetzki Kollegen und Vorgesetzte, die Gift verspritzen, intrigieren und demütigen. Dabei sind sie so geschickt, dass sie oft nicht einmal als diejenigen gesehen werden, die andere nachhaltig demotivieren oder sogar dazu beitragen, dass sie krank werden. Der Titel des Buchs klingt bei dieser Diagnose harmlos: "Schwierige Menschen am Arbeitsplatz". Es setzt sich aber eingehend mit "Toxikern" auseinander (Springer, 176 S., 24,99 Euro).

Für den Fall, dass das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, für den Fall also, dass Mitarbeiter von Mobbing oder auch von Stress zu Boden gedrückt werden, liefern Ellen Braun und Steffen Hillebrecht Informa­tionen im "Arbeitsbuch Burnout für Unternehmensberater, Führungskräfte und Betriebsräte" (Hampp, 112 S., 19,80 Euro). Damit wollen sie ins­besondere kleinen und mittleren Betrieben helfen, Strategien zur "gesunden Unter­nehmensführung" zu entwickeln. Das sei wichtig, betonen die Autoren, denn durch Burn-out und weitere seelische Erkrankungen fallen enorm viele Arbeitsstunden aus: Sie sind nicht nur ein Problem für die Betroffenen, sondern verursachen wirtschaftliche Schäden.

Burn-out spielt auch in Sonja Höhns Buch "Führung und Psyche" eine große Rolle: Sie will Führungskräfte fit machen, richtig damit umzugehen (Managerseminare, 128 S., 24,90 Euro). Wie erkennt man Burn-out und andere psychische Gefährdungen? Wie geht man als Führungskraft mit den Betroffenen um? Wie kann man einen Mit­arbeiter noch erreichen, der sich ausgebrannt und leer fühlt? Das sind Fragen, mit denen sie sich auseinandersetzt.

Nicht nur mit Problemen, sondern insgesamt mit der Seele befassen sich Mona Spisak und Moreno Della Picca in "Führungsfaktor Psychologie" (Springer, 280 S., 39,99 Euro). Ausgehend von Fragen aus der Praxis wollen sie Vorgesetzte dabei unterstützen, die beiden Seiten der Bilanzen, Geld und Seele, miteinander zu verbinden – indem sie wissenschaftlich fundierte Antworten aus der Psychologie geben. Mitarbeiter­motivation und der Umgang mit Aggressionen sind Themen. Ebenso fragen die Autoren, ob ein Chef empathisch sein muss und worin die Kunst besteht, ein Team aufzubauen.

Mitarbeiter nicht einfach nur als Rädchen im Getriebe zu sehen – diese Botschaft ist, zumindest theoretisch, in den Chefetagen angekommen: 78 Prozent der Vorgesetzten seien überzeugt, dass sich der Führungsprozess in Zukunft grundsätzlich wandeln müsse, sagen Falko von Ameln und Peter Heintel. Sie beziehen sich auf eine Studie, die das Bundesarbeitsministerium 2014 in Auftrag gegeben hat. Immer mehr Unternehmen expe­rimentieren dementsprechend mit neuen, hierarchieärmeren Organisationskonzepten. Die Autoren kreisen um die Frage, was das für das Thema Macht und Durchsetzungskraft bedeutet, denn beides bleibt, allen Veränderungen zum Trotz, zentral gebündelt. Einfache Antworten und Werkzeuge will das Duo in seinem Buch "Macht in Organisationen" nicht bieten, vielmehr geht es um "Denkwerkzeuge" für Führungskräfte und Berater (Schäffer-Poeschel, 312 S., 49,95 Euro)

Für Unternehmen ist auch die Frage überlebenswichtig, wie sie lernen und aus Erfahrungen klug werden können. Das mag einfach klingen, aber oft hat das, was sich gestern bewährt hat, heute schon an Bedeutung verloren – und plötzlich rutscht ein gerade noch erfolgreiches Unternehmen in die Insolvenz. An diesem Punkt setzt der renommierte Organisa­tionstheoretiker James March auch in seinem neuen Band "Zwei Seiten der Erfahrung" an (Carl-Auer, 125 S., 24,95 Eu­ro). Arbeit braucht irrationalen Spielraum, lautet eine seiner Thesen. Zudem gibt er Führungskräften, die geradlinig nach Erfolg streben, zu bedenken, dass selbst gute Berater keine ­Patentrezepte liefern können. Im besten Fall bringen sie Manager dazu, noch einmal neu nachzudenken.
Führung, Unternehmensentwicklung, Effi­zienzsteigerung: Das alles sind hochkomplexe Aufgabenstellungen; einfache, dauerhaft gültige Lösungen gibt es nicht. Führungskräfte müssen immer wieder neu ansetzen, infrage stellen, ­Gespräche suchen. Lesen hilft dabei, und anregender Stoff ist in den Herbstprogrammen ausreichend vorhanden.