Offener Brief von Isabel Abedi

Starbucks und der Vorlesetag

7. November 2018
von Börsenblatt
Bestsellerautorin Isabel Abedi zeigt sich in einem Offenen Brief befremdet, dass die Kaffeehauskette Starbucks den diesjährigen bundesweiten Vorlesetag am 16. November unterstützt. Er steht unter dem Motto "Natur und Umwelt", was Abedi nicht in Einklang mit dem hohen Verbrauch von Einwegbechern bringt: "Was in aller Welt sollen die Kinder daraus lernen?"

Hier der Offene Brief von Isabel Abedi im Wortlaut:

"Liebe Initiatoren und Unterstützer des Bundesweiten Vorlesetages,

ich bin Kinderbuchautorin und habe am Abend zu Halloween die Anfrage eines Kaffeehauskonzerns aus meinem Postfach gezogen:

Absender: Starbucks

Betreff: Bundesweiter Vorlesetag – Isabel Abedi und Starbucks

In der Mail präsentiert sich Starbucks als offizieller Unterstützer des Bundesweiten Vorlesetages, der am 16. November zum 15. Mal stattfindet. Und erklärt mir, warum möglichst viele Menschen die Chance erhalten sollen, in ihren Coffee Houses in fantastische Welten einzutauchen.

"Unsere Coffee Houses waren schon immer Orte, an denen man zusammenkommt, sich austauscht und vor allem auch liest. Aus diesem Grund ist es für uns selbstverständlich, dass wir als offizieller Unterstützer des Bundesweiten Vorlesetages eine Vielzahl unserer Coffee Houses als Vorleseorte zur Verfügung stellen ... An dieser Stelle brauchen wir Ihre Hilfe - wir glauben, dass Sie die perfekte Vorleserin sind, weil Sie als Kinderbuchautorin wissen, wie man Menschen in eine andere Welt entführt."

 

Diesen Auszug muss ich immer wieder lesen, und jedes Mal flüstert eine leise Stimme in meinem Kopf: Irgendetwas stimmt hier nicht.

Der Bundesweite Vorlesetag. Steckt dahinter nicht die Stiftung Lesen? Die wird in der Mail von Starbucks aber gar nicht erwähnt. Google hilft mir auf die Sprünge. Richtig: Zusammen mit DIE ZEIT und der Deutsche Bahn Stiftung ruft die Stiftung Lesen jedes Jahr im November dazu auf, ein öffentliches Zeichen für das Vorlesen zu setzen.

Ich schätze diese Aktion, die von zahlreichen Prominenten ehrenamtlich unterstützt wird.

Ich selbst war auch schon dabei. Als Vorleseorte finde ich Schulen, Kindergärten, Bibliotheken und Buchhandlungen eine super Idee. Auch die NDR Fernsehstudios in Hamburg, das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund, oder das Centrum Judicum in Berlin stellen ihre Räumlichkeiten als besondere Vorleseorte zur Verfügung. Das finde ich großartig. Und großzügig.

 

Aber von einem Kaffeehauskonzern, dessen Filialen ich aus Umweltgründen schon seit einer ganzen Weile nicht mehr betrete, bringt mich diese Geste ins Grübeln. Auf meine schriftliche Nachfrage, inwiefern Starbucks den Vorlesetag unterstützt, habe ich noch keine Antwort erhalten. Im Internet finde ich den Kurzbericht einer Aachener Grundschullehrerin: "Zum Bundesweiten Vorlesetag 2017 spazierte die 2b heute ins Starbucks Café am Markt. Dort haben wir nicht nur viele verschiedene Geschichten aus dem Buch "Als der Bär ans Meer kam" gehört, sondern wurden auch mit heißem Kakao und Donuts verwöhnt. Vielen Dank den Veranstaltern. Die Klasse 2b hatte großen Spaß."

 

Das glaube ich gern. Kostenloser Kakao zu Bären und Meeresgeschichten ist eine süße Idee. Bitter finde ich nur, dass die Kinder auf dem Foto ihren Kakao aus Plastikbechern trinken. Und genau da stoße ich auf den Punkt, der mir unheimlich ist. Der Bundesweite Vorlesetag trägt jedes Jahr ein neues Motto – das in der Mail von Starbucks ebenfalls fehlt. Auf der offiziellen Website der Initiatoren steht es: "2018 haben wir den Bundesweiten Vorlesetag unter das Jahresmotto Natur und Umwelt gestellt."

Auch die Unterstützer werden hier noch einmal aufgezählt: Aktion Mensch, Lernort Natur, Teach First, Deutsche Waldjungend, EY building a better world, Sankt Michaelisbund ...

Die passen irgendwie alle. Aber Starbucks gehört aus meiner Sicht so wenig in die Umwelt-Landschaft dieser Aktion wie ein Plastikhalm in die Weltmeere.

Als Kinderbuchautorin, schreibt mir Starbucks, wisse ich, wie man Menschen in eine andere Welt entführt. Eine geistert mir sofort durch den Kopf: die weite Welt des Plastikmülls. Eine echte Horrorgeschichte. Das Schrecklichste daran: Sie ist real. Und die Bilder aus der Presse bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf. Ein zehn Meter langer toter Pottwal an der spanischen Südküste – überfressen an Plastikmüll. Ein verwester Albatros am steinigen Meeresufer – ausgestopft mit all den bunten Plastikstücken, die ihm den Tod gebracht haben. Das sind nur zwei von unzähligen Beispielen.

Wie Starbucks mit dem Thema "Natur und Umwelt" umgeht, zeigen mir Beispiele der jüngst auf Arte ausgestrahlten Doku "Starbucks ungefiltert". Müllsäcke, bis zum Rand gefüllt: mit Einwegbechern, Plastikstrohhalmen, Plastiktüten, Servietten und Kartons. Alles wandert in dieselbe Tonne. Jedes Kind weiß heutzutage, dass Papier und Plastik getrennt entsorgt einem Recyclingprozess zugeführt werden sollten. Das ist das Mindeste, was man tun kann. Aber bei Starbucks ganz offensichtlich: unmöglich.

Stattdessen erfahre ich in der Doku von 4 Milliarden Bechern, die Jahr für Jahr in Umlauf sind. Diese Einwegbecher haben innen eine dünne Kunststoffbeschichtung, die sich anscheinend nicht von der äußeren Form trennen lässt. Eine Umweltschutzorganisation aus den USA verrät: "Jedes Jahr werden über eine Million Bäume für diese Becher gefällt, die dann auf der Mülldeponie landen."

 

Hörst du, wie die Bäume sprechen? So heißt eine Buchempfehlung für den diesjährigen Vorlesetag. Erlebe den Regenwald ist eine weitere. Als der Bär ans Meer kam steht auch wieder auf der Liste. Und das Ebook Green Fiction will Jugendliche mit vier Kurzgeschichten zum Nachdenken und Weltverbessern anregen. Weil die Geschichten zeigen "dass die Erde alles andere als selbstverständlich ist und alles dafür getan werden sollte, um sie zu erhalten."

 

Viele Menschen tun zum Glück auch wirklich etwas. Im letzten Jahr hat sich Greenpeace mit Protesten vor einer Berliner Starbucks Filiale "für eine Becherwende" stark gemacht. Nach den Angaben Deutscher Umwelthilfe werden allein in unserem Land jährlich 2,8 Milliarden Becher weggeworfen. Mit 40.000 Tonnen Müll pro Jahr entspricht das einer Strecke, die aneinander gereiht siebenmal um unsere Erde reicht.

Vor diesem Hintergrund versuche ich noch einmal herauszufinden, wie sich Starbucks zum Thema Müllvermeidung weiterentwickelt hat: "Wir sind entschlossen, das Abfallaufkommen in unseren Coffee Houses in beträchtlichem Umfang zu reduzieren", verspricht die Kaffeekette auf ihrer Website. Was konkret unternommen wird, liest sich so: "In vielen unserer Coffee Houses recyceln wir mindestens eine Art von Abfall, wenn dafür Recyclingverfahren für Gewerbe verfügbar sind.

 

Diese Maßnahme finde ich ebenso fragwürdig, wie die Nachrichten zum Verzicht auf Plastikstrohhalme, den Starbucks ab 2020 angekündigt hat. Als Alternative wird geboten: eine spezielle Trinköffnung im Deckel – aus Plastik. Oder umweltfreundliche Strohhalme, einzeln eingewickelt – in Plastik. So stand es in der Presse. Und dort lese ich jetzt noch die Meldung, dass Nestlé jüngst einen milliardenschweren Starbucks-Deal abgeschlossen hat. Ja, richtig: Nestlé. Das Unternehmen, das laut Medienberichten den Ländern, die am wenigstens davon haben, Wasser abgräbt und daraus seinen eigenen Profit schlägt.

All das stellt mich vor die Frage, was ich auf die Mail von Starbucks antworten soll.

Vielleicht, dass ich ihre Einladung annehme, und den Zuhörern im Coffee House diesen Brief vorlese? Ob die Kinder das hören wollen? Mit den Konsequenzen müssen sie zukünftig auf jeden Fall leben.

Und deshalb habe ich beschlossen, diesen offenen Brief zu schreiben. Ich wünsche mir sehr, dass er die Widersprüche aufzeigt und veröffentlicht wird. Damit möglichst viele Menschen sich dieselbe Frage stellen können, wie ich: Wie kommt ein Unternehmen wie Starbucks auf die Liste der Unterstützer für einen Bundesweiten Vorlesetag mit dem Motto Natur und Umwelt?  So sehr ich diese Initiative von ganzem Herzen unterstütze, was in aller Welt sollen die Kinder daraus lernen?

Mit freundlichen Grüßen,

Isabel Abedi"