Onleihe

"Der Formatkrieg wird auf dem Rücken der Nutzer ausgetragen"

29. März 2012
von Börsenblatt
Wie gut kennen sich Bibliothekare mit E-Readern aus? Wer sind die Nutzer der Onleihe der öffentlichen Bibliotheken? Eckhard Kummrow, Koordinator des Onleiheverbunds Hessen und selbst ausgebildeter Bibliothekar und Buchhändler, im Interview über das Thema.

Welche Hürden haben die Bibliotheken als Serviceleistender bei Einführung der Onleihe zu meistern?
Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare nutzen persönlich in seiner Arbeit  keinen E-Reader, weil sie sozusagen an der Buchquelle sitzen. Sie lesen von Berufswegen die Bücher, verschlagworten und annotieren sie und hatten sie schon mehrfach in der Hand, bevor sie  in den Ausleihbetrieb gehen. Die E-Books werden konsortial über einen Medienshop online erworben. Bei technischen Problemen auf verschiedenen Geräten kommen die Onleihenutzer aber natürlich in die Bibliothek. Darum sind Fortbildungen wie z.B. durch die Hessische Fachstelle in  Wiesbaden, sehr wichtig. Einige Bibliotheken, wie etwa die Stadtbibliothek Wiesbaden,  kaufen heute E-Reader, um ihr Personal mit der neuen Technik vertraut zu machen. Anschließend werden die Geräte dann an Nutzerinnen und Nutzer ausgeliehen. Das Ziel ist: Die BibliotheksmitarbeiterInnen  müssen vom Service der Onleihe wissen und diesem positiv gegenüberstehen. Dies ist besonders für kleine Bibliotheken, für ehrenamtliche und wenig technikaffine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Herausforderung. Ein gemischtes Team aus jungen und älteren Mitarbeitern hilft hier oft. In der Praxis bewähren sich auch E-Book-Sprechstunden: Kleinere Bibliotheken sollten sich Volkshochschulen oder Buchhändler als Ansprechpartner suchen.

Welche Kritik gibt es aus Sicht der Bibliotheken am System der Onleihe?
Das E-Book ist dem physischen Buch nicht gleichgestellt: Die Bibliotheken können am Marktangebot keine freie Auswahl treffen. Obwohl es die E-Books gibt, erteilen viele Verlage nur sehr zögerlich Nutzungslizenzen an Aggregatoren wie die DiViBib oder Ciando. Der Verlag hat hier also eine weitreichende Entscheidungsmacht, die viel größer ist als beim physischen Buch. Das E-Book braucht natürlich einen anderen Schutz als sein physisches Pendant, dafür haben die Bibliotheken Verständnis. Kein Verständnis haben sie hingegen dafür, dass sie von Inhalten ausgegrenzt werden, denn die Bibliothek ist ja bereit, für die Inhalte zu zahlen. Als Argument bringen die Verlage vor, dass ein E-Book nicht verschleißt. Daran stören sich auch bekannte Publikumsverlage, machen aber keine anderen Angebote, obwohl die Bibliotheken durchaus zu Kompromissen bereit sind: Etwa mit einer begrenzten Anzahl von Ausleihen, mit denen eine Lizenz erlischt, bevor der Titel von der Bibliothek nochmal gekauft werden muss.

Hauptärgernis ist aber der Formatkrieg, der auf dem Rücken der User ausgetragen wird, Stichworte währen hier die Inkompabilität von Linux und Adobe oder der Ausschluss der Nutzer von Amazongeräten, da Amazon seine Geräte nicht für die Onleihe öffnet.

Bei E-Paperbereich ist die Nutzerzufriedenheit am geringsten. Warum?
Ärger haben wir mit dem "FAZ"-Modell: Theoretisch sind 24 Leihen am Tag möglich. Das ist aber reine Theorie, weil nur eine Leihe pro Stunde möglich ist. Aber wer liest schon nachts die "FAZ"? Zeitungen werden am Frühstückstisch gelesen. Wir wünschen uns ein Modell, bei dem 24-Ausleihvorgänge täglich möglich sind, unabhängig von der Uhrzeit. Andere Beispiel: Aus vertraglichen Gründen ist die "FAS" erst um 13 Uhr abrufbar. Das "Manager Magazin" ist auf Grund der Vertragsbedingungen des Verlags in der Onleihe erst generell zwei Wochen nach der Druckausgabe ausleihbar und für die allermeisten Magazine oder Zeitungen gibt es erst gar keine Lizenzen. Noch sind in der Onleihe keine Zeitschriften verfügbar, die auf einem Reader oder Tablet gelesen werden können. Obwohl es am Markt mitunter Epub-Ausgaben gibt, ist für die Bibliotheken nur die PDF-Version erhältlich. Alle Kundenschelte dafür landet stets in den Bibliotheken, die dafür überhaupt nichts können.

Wie gut kennen Sie das Nutzungsverhalten der Kunden?
Die DiViBib und die Onleihe kennen keine Kunden – der Datenschutz ist viel strenger, als viele das glauben. Auch die Bibliothek vor Ort weiß bloß, welches Medium ausgeliehen wird, aber nicht von wem! Es gibt darum keine verlässlichen Zahlen, sondern nur ein Bauchgefühl. Das macht es den Bibliotheken natürlich schwer, etwas über das Nutzerverhalten auszusagen. Aus einer Umfrage in Rheinland-Pfalz wissen wir, dass über 50 Prozent der Onleihenutzer zwischen 30 und 50 Jahren alt sind. Die absolute Mehrheit davon ist weiblich. Wer die Bücher letztlich aber liest, das steht noch einmal auf einem anderen Blatt geschrieben, denn in vielen Bibliotheken gibt es Familienausweise. Wir wissen auch, dass Kinder und Senioren E-Books lesen, auch wenn sie diese nicht selbst downloaden. Da helfen dann wohl Familienangehörige oder Freunde.

 
Wie wichtig sind digitale Angebote für die Bibliotheken?
Die Zeiten, in denen um die Existenz der gedruckten Bücher mit ihren haptischen Eigenschaften gefürchtet wurde, sind glücklicherweise vorbei. Ich sehe für die Bibliotheken die viel wichtigere Aufgabe in der Bereitstellung und Erschließung von Inhalten. Sie sind gut beraten, Ihren NutzerInnen die Entscheidung zu überlassen, in welcher Form diese den Inhalt nutzen und genießen wollen: als ledergebundene Ausgabe mit Goldschnitt, als Taschenbuch, als Hörbuch, als DVD oder eben auch als E-Book. Gerade kleinere Bibliotheken mit geringem Etat und kurzen Öffnungszeiten eröffnen sich über Onleiheverbünde ungeahnte Möglichkeiten: Die NutzerInnen können unabhängig und Ort und Öffnungszeit Medien ausleihen - sogar solche, die die Bibliothek gar nicht besitzt. Bislang hätten sie dafür eine Fernleihe durchführen müssen.


Bibliotheken würden in größerer Zahl digitale Werke anbieten, wenn sie eine entsprechende finanzielle und personelle Ausstattung hätten. Oft reichen die Ressourcen schon nicht für den traditionellen Ausleihbetrieb. Aber Zugang zu Informationen und Medienkompetenz sind selbstverständliche Aufgaben der Bibliotheken. Diese Aufgaben sind ohne digitale Werke nicht zu erfüllen. Somit gehören für mich moderne Bibliotheken und digitale Werke untrennbar zusammen.