Osiander feiert 420-jähriges Jubiläum

"Sich verändern und neue Wege gehen"

4. Juni 2016
von Börsenblatt
Kurzweilig beging die Buchhandlung Osiander am Freitagabend in Tübingen ihr 420-jähriges Bestehen. Bei der Jubiläumsveranstaltung des Familienunternehmens hatten ein Kinderchor, die Osiander-Geschäftsführer, die Erste Bürgermeisterin von Tübingen ebenso wie der Philosoph Richard David Precht ihren Auftritt.

"Die Gedanken werden frei, Bücher sind zum Lesen und zum Träumen da“: Mit großer Freude schmetterte der Kinderchor einer Tübinger Grundschule ein hohes Lied auf die Bücher und das Lesen - und sorgte gleich zu Beginn für die richtige Stimmung im Sparkassen-Carré in Tübingen. Rund 400 Gäste waren geladen und wurden von den drei Geschäftsführern Hermann-Arndt, Heinrich und Christian Riethmüller unterhaltsam durch den Abend geführt.

420 Jahre Osiander: Da gibt es die eine oder andere Anekdote zu erzählen. So erinnert sich beispielsweise Heinrich Riethmüller an das Jahr 1977, in dem er gemeinsam mit seinem Bruder Michael auf Tour ging und eine fahrende Buchhandlung gründete. Die beiden waren einige Zeit mit dem Bus unterwegs und brachten Bücher bis auf die schwäbische Alb.

Christian Riethmüller hat noch das Jahr 1994 im Kopf, als er nach dem Abitur eine Afrikareise machte. Nach seiner Rückkehr eröffnete Osiander eine Buchhandlung in Schwenningen – die musste er mühsam mit Büchern bestücken. Heute, mit der eigenen Logistik, längst ein Leichtes. „Die Osianderwelt hat sich in den letzten 20 Jahren total verändert“, so Riethmüller. Das ist zugleich Maxime des Geschäftsführers: „Osiander hat immer den Mut, sich zu verändern und neue Wege zu gehen.“ So beispielsweise auch im vergangenen Jahr, als man sich nach „harten Verhandlungen“ der Tolino-Allianz anschloss.

Große Freude haben die Geschäftsführer auch an der Literatur und den vielen Autoren, die dem Unternehmen eng verbunden sind. Dazu zählt Rafik Schami, zu dessen erster Lesung bei Osiander im Jahr 1986 gerade mal 30 Zuhörer kamen. Heute zieht der Autor beim Tübinger Bücherfest locker 1.000 Fans an. Weil er in München weilte, konnte er beim Jubiläumsabend nicht dabei sein, sandte den Gästen aber die Videobotschaft Nummer 1 an diesem Abend. 15.000 Euro hatte Osiander bei seiner Jubiläumstombola in den Buchhandlungen eingenommen – und diese für Rafik Schamis Verein Schams gespendet, der sich für syrische Kinder und Jugendliche einsetzt.

Die zweite Videobotschaft kam vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Dieser wiederum weilte auf einer Klimakonferenz in Chicago, hatte aber seine Erste Bürgermeisterin Christine Arbogast entsandt. Sie lobte Osiander als „einen Protagonisten der Buchstadt Tübingen“. Familie Riethmüller verstehe es, „ein Traditionsunternehmen in die buchhändlerische Moderne zu führen und an den sich verändernden Markt anzupassen“. „Osiander ist ein Vorzeigeunternehmen, ein Wirtschaftsfaktor und ein wichtiger Steuerzahler für Tübingen“, betonte die Erste Bürgermeisterin.

Nach so viel Lob war es an der Zeit auch für einige nachdenkliche Anmerkungen. Die kamen vom Autor und Philosophen Richard David Precht, der die Gäste des Abends mit seinem Vortrag über Moral zum Nachdenken anregte, zum Lachen brachte und prächtig unterhielt.

Für Raunen im Publikum sorgte Prechts These, dass in Deutschland das Bedingungslose Grundeinkommen schon in einigen Jahren kommen werde, andernfalls würde der Binnenmarkt zusammenbrechen, da die Digitalisierung so große Verwerfungen mit sich bringe. „Es kommen extrem turbulente Zeiten auf uns zu, in denen es wichtig ist, mittelständische soziale Niveaus zu stabilisieren“, sagte Precht.

Im Übrigen engagiert sich der Philosoph, wie Rafik Schami, ebenfalls für Kinder. Ihm liegt „Mentor – Die Leselernhelfer“ am Herzen. Dabei nimmt jeweils ein ehrenamtlicher Mentor ein Kind unter seine Fittiche und begeistert es für das Lesen. Mehr als 10.000 Mentoren gibt es schon, bei weitem noch nicht genug, wie Precht findet. „Lesen und Sprache sind eine Schlüsselqualifikation.“ Diese Fähigkeiten müssten allen Kindern vermittelt werden, warb er für die Gründung eines Mentoren-Vereins auch in Tübingen.

Die letzten Worte der Jubiläumsfeier kamen von Hermann-Arndt Riethmüller, der noch einmal das Thema Steuern aufgriff. „Osiander hat eine Steuerlastqoute von 44 Prozent“, rechnete er vor. Würden große Unternehmen ebenso ehrlich ihre Steuern zahlen, „dann hätten wir beispielsweise keine maroden Straßen oder genug Geld für die Integration der Flüchtlinge.“ Dass Osiander auch weiterhin den Fiskus beglücken wird, davon ist Riethmüller überzeugt. „Wir können optimistisch in die Zukunft blicken.“ Schöne Aussichten zum Abschluss eines gelungenen Abends.