Preis der unabhängigen Buchhandlungen

"Buchhändler bekommen zu wenig Anerkennung"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Im Berliner Admiralspalast ist gestern Abend der "Indie", der Preis unabhängiger Buchhandlungen, an den Germanisten Roland Reuß verliehen worden. Vor der Laudatio von Thomas Böhm hielt Roger Willemsen ein hinreißendes Plädoyer auf die Kraft der Bücher und das Engagement der kleinen Buchhandlungen. Reuß durfte eine Kiste mit Gutscheinen entgegennehmen - wenn er ab jetzt durch Deutschland reist, freuen sich viele Buchhandlungen auf seinen Besuch.

"In Zeiten der Pleite bevorzugt die Seele das Jenseits", zitierte Roger Willemsen Robert Musil und verglich die Zahl der Bücherfreunde, die zur Preisverleihung ins Studio des Admiralspalasts gekommen waren, mit der schlagkräftigen Truppe der Urchristen. Aus ganzem Herzen stimmte er Buchhändler David Mesche von der Berliner Buchbox zu, der zuvor seine Idee der Woche unabhängiger Buchhandlungen skizziert hatte ("Es passiert jede Woche soviel Positives in deutschen Buchhandlungen, dass es als Gegenstück zu Negativmeldungen auch einmal gebündelt sichtbar gemacht werden muss!"), und konstatierte: "Es macht die Kultur nicht besser, wenn sie aus der Defensive heraus agieren soll." Willemsen hob hervor, dass die Gesellschaft wieder die Relevanz erkennen müsse, dass möglichst viele Menschen an immateriellen Dingen teilhaben können, an Büchern, die Welten eröffnen. Willemsen rühmte das Immaterielle des Büchermachens: "Es kann gar nicht oft genug gesagt werden, mit wie viel Liebe bei der Produktion von Büchern gearbeitet wird, von denen sich vielleicht am Ende nur 800 Exemplare verkaufen, es ist das Prinzip der Großherzigkeit, des Überschusses..."

Für Willemsen unabdingbar ist der stationäre Handel: "Es braucht die kleinen Buchhandlungen, die einem Buch Nachdruck verleihen, die Orientierung bieten, während große Buchläden oft mehr Desorientierung bieten und das Buch hinter Atlanten und Entkleidungsmagazinen im Eingangsbereich verstecken." Bücher seien aber so kostbar, dass sie in ihrer Kostbarkeit auch erkannt und gewürdigt werden müssten – "und genau das leisten die Buchhandlungen". Der Markt sei dabei, sich zurückzuverwandeln, Sortimente wie RavensBuch trügen zum Erhalt einer vielfältigen Buchhandelslandschaft bei. "Man wird auf diesem Feld immer nur Enthusiasten treffen, wir werden Urchristengemeinde bleiben – aber mit großer Wirkung". Preise wie den Indie sah er als Schrittmacher und wünschte sich "bewusstseinsbildende Prozesse, die von Veranstaltungen wie dieser ausgehen mögen."

Thomas Böhm als Jurymitglied lobte Roland Reuß als großen Vordenker: "Reuß denkt weiter, als wir es in unserer Bequemlichkeit tun, weist auf die Zerstreutheit beim Umgang mit Computern ebenso hin wie auf die Bedrohung von Urheberrecht und Publikationsfreiheit, weist uns darauf hin, dass das Gedruckte anders als Digitales vor späterem Umschreiben schützt." Böhm lobte die Werke von Reuß, die auch immer Hinweise auf andere kluge Bücher lieferten und schlug vor, sich einmal vorzustellen, was passieren würde, wenn alle Buchhandlungen in Deutschland die Werke von Reuß gleichzeitig im Schaufenster und neben der Kasse präsentierten. Böhm überreichte Reuß eine Kiste mit Gutscheinen: "Wenn Sie ab jetzt durch Deutschland reisen, freuen sich viele Buchhandlungen auf Ihren Besuch – und Sie dürfen sich immer ein Buch aussuchen."

Hatte Böhm schon die Preispolitik des Onlinehandels angesprochen ("Wenn bei Amazon Bücher nur einen Cent kosten, steckt eine Strategie dahinter – das bedeutet: Bücher sind nicht viel wert"), führte Reuß weiter aus: "Die Gehirnwäsche geht schon los mit dem Schildchen 'Amazon Preis': Es suggeriert, dass Amazon diesen Preis festsetzt – aber in Wirklichkeit ist es der überall geltende gebundene Ladenpreis. Das sind Mittel, um die Buchpreisbindung erodieren zu lassen." Der Preisträger wandte sich entschieden gegen "Propaganda mit Sätzen wie 'Das Buch ist tot'" und dass, wenn jemand wie Steve Jobs so etwas sage, er dann auch noch in den Medien  breiten Raum dafür eingeräumt bekomme. "Dass das möglich ist, gibt zu denken – und solche Slogans wirken sich extrem negativ aus." Ebenso ging er mit Slogans wie denen um die "Digital Natives" ins Gericht: "Was soll der Begriff bedeuten, in welche Richtung führt er? Die Hauptidioten in diesem ganzen Zirkus waren zwischen 30 und 40 Jahren  und haben geglaubt, sie würden etwas verpassen und müssten überall dabeisein." Die mediale Situation, wie sie heute vorzufinden sei, hätten sie nicht richtig eingeschätzt – "das ist ein Versagen der heute 30- bis 50-Jährigen". Die Jüngeren dagegen könnten weitaus besser differenzieren, wo sie dabeisein wollten.

Reuß zog den Bogen vom Online-Handel zu buy local: "Man muss es dem Bürgermeister auch mal klarmachen, dass die online gekaufte Klobürste sehr wohl etwas damit zu tun hat, dass das Schwimmbad verkürzte Öffnungszeiten hat – weil eben keine Steuern vor Ort gezahlt werden, die die Infrastruktur aufrecht erhalten." Bei den Anstrengungen um buy local müsse aber auch die sortimenterische Reputation einbezogen werden: "Der Buchhändler, der sich nach wie vor als Kultur-Scout versteht, bekommt heute oft nicht mehr die dafür nötige gesellschaftliche Anerkennung – das muss sich wieder ändern. Dazu muss man in die Köpfe der Leute gelangen und die Situation erläutern. Wir haben es da mit Personen zu tun, die studiert haben, aber keine Interpunktion kennen."

Ähnlich wie Willemsen sah auch Reuß Bewegung, nicht zuletzt im sortimenterischen Selbstverständnis und wieder gestiegenen Optimismus: "Diese Veranstaltung wäre vor fünf Jahren noch gar nicht möglich gewesen – da hätten die Buchhändler wie Gregor Samsa auf dem Rücken gelegen und erstaunt ihre Füßchen betrachtet." Diese Einschätzung wiederum mochten die anwesenden Buchhändler nicht teilen – allerdings waren es auch die schon immer unermüdlich aktiven, die erheblichen Anteil daran haben, dass Vernetzung und Initiativen wie buy local oder die Woche der unabhängigen Buchhandlungen überhaupt möglich geworden sind.