Presseschau

Rechtsstreit "???", Durs Grünbein zum Mauerfall, Daniel Kehlmann

9. November 2007
von Börsenblatt
"Drei Fragezeichen hinter der Frage, wem das Recht an den '???'", kommentiert Wieland Freund in der WELT den komplizierten Rechtsstreit um die beliebte Hörspielserie. Ebenfalls Thema: Durs Grünbeins Erinnerungen zum Mauerfall und Daniel Kehlmann im Porträt.
"Streit um drei ???" - Wieland Freund schreibt in der "Welt": Um Lizenzen ging und geht es also immer wieder, die eigentlichen Urheber hingegen verschwanden nach und nach hinter dem Recht. Arthur selbst etwa schrieb nur ein paar Folgen, danach übernahmen andere, bis 1987 (in Amerika) Schluss war. Ganz anders in Deutschland, wo gerade jetzt, mitten im schönsten Rechtsstreit, der erste "???"-Kinofilm angelaufen ist und ein ganzes Autorenteam unablässig neue Fälle produziert. Hier erlangten die "???" jene rätselhafte Berühmtheit, die man der Einfachheit halber mit dem Begriff "Kult" beschreibt. John Wayne, ist behauptet worden, sei nur berühmt geworden, weil eine ganze Generation ihm nicht entrinnen konnte, und ähnlich könnte es sich mit den "???" verhalten. Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews jedenfalls haben die Kinder der Bonner Republik so wie "Nesthäkchen" die der Weimarer begleitet, wobei dieser Vergleich in mehrfacher Hinsicht hinkt: Die "???" waren in erster Linie ein Hörspielerfolg; dass Oliver Rohrbeck Mastermind Justus Jonas spricht, gehört heute zum Weltwissen der 40-Jährigen. "Hoffnung, Schock und Krampf" - die "NZZ" interviewt den Lyriker Durs Grünbein zum Mauerfall: Wo waren Sie in der Nacht des 9. November? In Berlin. Bei einem befreundeten Physiker wurden Nachrichten geschaut. Es begann mit dieser Pressekonferenz, diesem Zettel. Ich verstand sofort Schabowskis offenbar unglückliche Äusserung. Die machen eine neue Reiseregelung. Ich habe noch mit Leuten gestritten, die sagten: Nein, um Gottes willen, also das wäre das Schönste, vielleicht demnächst und irgendwann. Ich sagte: Nein, der hat gesagt, ab heute, 24 Uhr. Es war nicht anders zu verstehen. Wir sind an das Fenster gegangen. Unten hörte man schon, wie zu Silvester, so ein Strassengeräusch, wenn Leute sich verstärkt auf der Strasse aufhalten und hin und her laufen. Irgendwie vibrierte die Luft. Und alle zogen los. Wir haben uns die Mäntel übergeworfen und sind selber losgegangen. Wir kamen zum Grenzübergang Bornholmer Brücke in genau der Phase, in der die Befehle noch recht unklar waren. Es gab ein Hin und Her mit irgendwelchen Offizieren, die schon sehr desorientiert waren. Das spürte man. Und dann wurde ein erstes Gatter geöffnet, und die Leute strömten immer wieder nach, bis irgendwann alle über die Brücke strömten. Kurz nach eins war ich mit einer Gruppe von guten Bekannten, Ostlern, auf dem Ku'damm. Das war's. Unterschiede zwischen westlichen und östlichen Bundesländern gibt es in Deutschland immer noch. Inwieweit ist Ihr Schreiben davon geprägt? Die Determinanten des Im-Osten-Aufgewachsenseins sollen nicht mein ganzes Denken dominieren. Das ist eine genuin poetische Haltung. Ich glaube, als Dichter ist man gewohnt, grössere Zeiträume in sich hineinzuschlingen, grössere Perspektiven auszuprobieren. Ob das nun realistisch ist oder albern, ist eine andere Frage. Aber ich klebe nicht an diesen Determinanten, die natürlich im Journalismus, vielleicht aber auch bei Historikern, vielleicht sogar bei Prosaerzählern eine grössere Rolle spielen. Als Dichter bin ich in einem ganz anderen Zeitraum unterwegs. Generation 80 Verliert sich dabei nicht der Blick auf die tägliche Realität? Alles unmittelbar mir Begegnende, zum Beispiel so eine Maueröffnung oder gewisse Erlebnisse eben innerhalb noch des Sozialismus, ist natürlich wichtig geworden. Das findet Eingang in das Schreiben. Aber ich kann mich in meinem Verlangen, idealerweise zu einer literarischen Moderne zu gehören, deren Spektrum grösser ist als diese Determinanten, nicht von ihnen bestimmen lassen. Das heisst, ich kämpfe immer neu an gegen die Zufallsbedingungen, die mir die Geburt 1962, ein Jahr nach dem Mauerbau, in Dresden beschert hat. Nicht hinzunehmen, da und dann geboren zu sein, sondern immer wieder neu damit ins Gericht zu gehen – daraus entspringt sehr viel Produktivität. Würden Sie sich einer «Generation 89» zugehörig fühlen? Ich hasse diesen Generationenbegriff. Mich hat er immer geärgert, gerade wenn er, wie in den letzten Jahren häufiger, vom Feuilleton lanciert wurde. Wenn überhaupt, könnte ich sagen, dass ich latent zu einer «Generation 80» gehöre. Daniel Kehlmann erhält heute den WELT-Literaturpreis. Über Kehlmanns Liebe zu New York dreht sich das Porträt der Zeitung: Daniel Kehlmann ist gern in New York. Er liebt diese Stadt. Am liebsten würde er hier leben. Er hat gerade ein Künstlervisum beantragt, das ihm die freie Ein- und Ausreise in die USA ermöglicht. Zuerst einmal hat er sich aber eine Wohnung in Berlin gekauft. Beim Schlendern über die Brooklyn Bridge hat man Zeit, über allerlei zu reden - schließlich dauert es bei gemächlichem Gehen etwa eine Stunde, bis man am anderen Ufer ankommt. Eine Frage, die sich aufdrängt: Haben die Herren Literaturkritiker, als "Die Vermessung der Welt" erschien, bemerkt, was für ein freches Buch sie da in ihren Händen hielten? Eigentlich nicht, sagt Kehlmann. "Es hat schon beinahe etwas Komisches: Ausgerechnet ich gelte jetzt als Gralshüter der deutschen Klassik, weil in meinem Roman Goethe, Humboldt und Kant vorkommen ..." Dabei erinnert das erzählerische Verfahren, das in "Die Vermessung der Welt" angewandt wird, doch am ehesten an den Film "Forrest Gump". Dessen Held stolpert ständig über Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts - Elvis, Nixon, Kennedy - und findet sich per Zufall immer ausgerechnet an den historischen Schnittstellen wieder.