Publikumsverlage tagen in München

"Ein wichtiger Teil der vierten Gewalt"

21. Januar 2016
von Torsten Casimir
Eingangs der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft der Publikumsverlage am heutigen Donnerstag in München stellte René Strien halb im Spaß, halb ernsthaft fest: "Die spannendsten Gespräche haben ohnehin schon gestern Abend stattgefunden." Aber der schon anerkannte Vorrang des kollegialen Austauschs vor der offiziellen Tagesordnung galt diesmal nur bedingt.

Denn das Programm hatte es politisch in sich. Die Situation um die VG Wort und die Ausschüttungen steht zur Debatte. Staatsministerin Monika Grütters hat sich angekündigt, über die kulturpolitische Perspektive auf die Zukunft der Publikumsverlage zu sprechen. Die zuletzt stark kritisierten Marktforschungsunternehmen media control und GfK Entertainment präsentieren am Nachmittag ihre Pläne. Zunächst aber Grußworte:

Vorsteher Heinrich Riethmüller blickte auf Soll und Haben sowie eine Reihe heikler politischer Themen des vergangenen Jahres zurück. In Zeiten wie diesen sei es "besonders wichtig, dass wir einen schlagkräftigen Verband haben". Für ihn auf der Habenseite 2015: eine spannende, sehr politische Frankfurter Buchmesse, die grandiose Rede des Friedenspreisträgers Navid Kermani, ein bemerkenswerter Träger des Deutschen Buchpreises mit Frank Witzel.

Eher Ernüchterung, so der Buchhändler Riethmüller, rufe das Marktgeschehen hervor: keine ganz großen Bestseller, weiterhin Flächenrückgang, und bei einem ohnehin schmalen Betriebs- und Renditeergebnis im stationären Sortiment schmerze ein weiterer Umsatzrückgang wie im vergangenen Jahr ganz besonders. Erschwerend hinzu komme ein wiederum gesunkener durchschnittlicher Ladenpreis. Da war die Meldung zum bevorstehenden Aus der Düsseldorfer Stern-Buchhandlung nur der letzte Paukenschlag in einem schwierigen Jahr, resümierte Riethmüller.

Und fuhr fort: "Die Sorge der Verlage muss es sein, dass es dem Sortimentsbuchhandel gut geht." Noch immer werde jedes zweite Buch stationär verkauft. "Wir gehen in Vorleistung. Wir schließen Zehn-Jahres-Verträge ab. Wir investieren in IT-Infrastruktur." Seine Lieblingsthese sei daher: "Es ist wesentlich aufwendiger, Bücher stationär zu verkaufen als online. Ich habe aber das Gefühl, dass das von Verlagen nicht immer so gesehen und honoriert wird." Er habe, so der Vorsteher – ohne ein Unternehmen konkret zu nennen – kein Verständnis dafür, dass "es immer noch Verlage gibt, die meinen, Amazon den Roten Teppich ausrollen zu müssen". Er begreife nicht, weshalb ein Konzern, der die gesamte Buchhandelsstruktur in Deutschland bedrohe, auch noch privilegiert behandelt werde. – Dennoch: "Wir haben ein wunderbar spannendes Jahr vor uns. Es gibt sehr gute neue Romane. Wir können optimistisch in die Zukunft schauen."

Alexander Skipis knüpfte direkt an die Rückschau des Vorstehers an. Stichwort Meinungsfreiheit: "Wir sind bisher zu selbstverständlich mit diesem Thema umgegangen, weil wir ja Meinungsfreiheit haben." Nach dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo, so der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, habe man allerdings mit einer Reihe von Veranstaltungen hohe Aufmerksamkeit für das Thema auch in der Politik bekommen. Und wir haben Mitstreiter dabei gefunden, unter anderem den Verband der Zeitschriftenverleger. Ein einer Zeit, in der die Welt "allmählich aus den Fugen" gerate, sei es wichtig, dass die Buchbranche sich einmische. "Die Sonderstellung, die wir im politischen Bereich haben, haben wir auch, weil man von uns erwartet, dass wir uns um diese Inhalte intensiv bemühen."

Eine schwierige Situation sieht Skipis auf die Verlage und die gesamte Branche zukommen in der Folge des Reprobel-Urteils des Europäischen Gerichtshofs. Wenn sich Brüssel und Berlin nicht rasch bewegten, drohe die Branche "zwischen den Mühlsteinen in Brüssel und in Berlin zerrieben zu werden". Rückforderungen von Verlagsausschüttungen für die Jahre 2012 bis 2014 werden wohl nicht mehr abzuwenden sein.

Auch der Entwurf des Bundesjustizministeriums zum Urhebervertragsrecht ist Skipis zufolge "von einer solchen Realitätsferne, dass man ihn komplett zurücknehmen müsste". Die politische Einsicht dafür wachse auch in Berlin. Jetzt stehe allerdings der etwas heikle Prozess eines "gesichtswahrenden Rückzugs" bevor.

"Geradezu eine Groteske" nannte Skipis die Vorgänge zur Buchmarktforschung. "Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass Wettbewerb hier die Produkte schlechter macht." Er hoffe sehr auf eine rasche Lösung. Ganz unschuldig sei freilich die Branche nicht am Dilemma. "Wer den Verlockungen von Exklusivdatenlieferungen erliegt, darf sich am Ende nicht wundern, wenn die Basis der Datenerhebung insgesamt schlechter wird."

Die Perspektiven für die Publikumsverlage sieht Skipis dennoch in einem positiven Licht: etwa die Chance, mit den digitalen Möglichkeiten neue Leserkreise zu erreichen. Die Branche habe hier ihre Zukunftsfähigkeit bereits bewiesen. Mit dem Tolino sei es großartig gelungen, binnen zwei Jahren den bisherigen Marktführer Amazon und dessen geschlossenes System Kindle in die Schranken zu weisen. "Im digitalen Bereich kommt es auf Gemeinsamkeit und Größe an, um erfolgreich zu sein." Das habe die Tolino-Gemeinschaft verstanden und gezeigt, wie man es macht.

Mit dem Stichwort Verbandsreform – von dem manche behaupteten, es sei in Widerspruch in sich – verbindet Skipis den Weg hin zu einem noch effizienteren, agileren Verband. "Wir müssen in vielen Prozessen viel schneller werden." Das neue Zusammenarbeiten, über Sparten hinweg zu denken, habe letztlich den einzigen Sinn, "für unsere Kunden die richtigen Lösungen zu bieten." Man wolle im Zuge dieser Reform nicht alles auf einmal regeln, sondern "in einem iterativen Prozess" behutsam vorgehen.

Erster Schritt: die Überführung der Arbeitsgemeinschaften in spartenübergreifende Interessengruppen. "Wir sind im Hauptamt gerade in der Phase, uns selbst umzustellen." Die Teams der beiden Fachausschüsse würden derzeit integriert aufgestellt. Auf der anderen Seite müsse man sicherstellen, dass es die Zusammenkünfte etwa von Verlegern und Buchhändlern "unter sich" auch weiterhin gebe. Der Wunsch nach solchen Gelegenheiten war am Vorabend von vielen  Publikumsverlegern deutlich bekundet worden.

Am Ende verstärkte Skipis noch einmal Riethmüllers Kritik an privilegierten Handelspartnerschaften mit Amazon – diesmal mit Nennung des Adressaten: "Wer glaubt, dass er mit Amazon gute, exklusive Geschäfte machen kann, wird sich am Ende irren. Mit dem Buch 'Illuminati' eine Kooperation mit Amazon einzugehen, finde ich den völlig falschen Weg."

Das Vorstandstrio mit René StrienPeter Kraus vom Cleff und Markus Klose, das in den vergangenen Jahren die Geschicke der AG bestimmt, kam für ein paar persönliche Schlussworte zu dritt auf die Bühne: "Für uns wird die Zäsur größer sein als für Sie." Das Resümee der drei zu ihrer gemeinsamen Amtszeit: "Die kulturelle Relevanz unserer Branche müssen wir zur Politik hin immer wieder postulieren", forderte René Strien. Die immer mal drohende Spaltung zwischen Urhebern und Verwertern habe derzeit erschütternde Aktualität. "Für uns ist Lobbyarbeit auch gesellschaftliche Arbeit – und nicht nur ein kleiner Egoismus." Die Buchbranche sei ein nicht unwesentlicher Teil der vierten Gewalt.

Peter Kraus vom Cleff: Was uns von vielen unterscheide, sei, "dass wir das, was wir machen, auch machen wollen“. Deshalb könne Neues entstehen. Eine Branche, die um das knappste Gut ihrer Kunden buhle, nämlich deren Zeit, könne nur auf diesem Weg Erfolg behalten. Der Rowohlt-Geschäftsführer widersprach Riethmüller in einem Punkt: Dass es keine großen neuen Titel gegeben habe, halte er für falsch. "Es gab sie sehr wohl."

Markus Klose schließlich stellte fest: Man habe die veröffentlichte Meinung widerlegt – die Buchbranche könne es eben doch. Viele falsche Prognosen zur digitalen Entwicklung hätten sich inzwischen erledigt. "Unser Held ist der Content, der Text." Die Branche sei heute in der Lage, das in jeder Form anzubieten, in der Inhalt nachgefragt werde. "Wir wissen alle, was wir tun": eine selbstbewusste Behauptung entgegen den vielen eiligen Ratschlägen von außen, die suggerierten, die Branche stehe sich selbst im Weg.

Zum Schluss ein Dank an Rolf Nüthen, den Geschäftsführer des Verlegerausschusses im Börsenverein, "für eine tolle Zusammenarbeit über all die Jahre". Einen guten Whiskey gab’s dafür.