Rainer Groothuis kommentiert die Media-Control-Zahlen zum unabhängigen Sortiment

Unabhängig und erfolgreich? Unabhängig = erfolgreich!

23. Oktober 2018
von Börsenblatt
Filialisten im Minus, der unabhängige Buchhandel legt zu - die Ergebnisse von Media Control zur positiven Umsatzentwicklung im unabhängigen Buchhandel sollte Verlage zum Nachdenken über ihre Vertriebsstrategien bewegen, meint der Buchgestalter Rainer Groothuis.

Die Zahlen von Media Control belegen endlich, was schon lange geahnt, aber nicht (mehr) ausgesprochen wurde: Die unabhängigen, kleinen Buchhandlungen sind deutlich wichtiger für so manchen Verlag, als Vertriebsstrategien derzeit abbilden. Sie sind attraktive, weil authentische Orte.

Menschen werden in Zukunft Umsätze für bestimmte dingliche Produkte vermehrt und, irgendwann, steht zu vermuten, ausschließlich an solche Orte tragen, an denen sie Dialog und Austausch, Gespräch und Zuwendung erfahren. Warum sonst sollten sie ihren digitalen Kokon verlassen?

Auch das wird der ehemalige Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder gemeint haben, als er in seiner Rede zur Eröffnung der Buchhändlertage schon 2004 sagte: "Von denen, die Bücher machen, erwartet der Leser, dass sie die kulturelle Funktion des Buches durch schöpferische Fantasie in Produktion, in Präsentation und Vertrieb erhalten." Und weiter: "Die Buchkultur ist in ihrer ganzen Breite – von der Überlebenshilfe bis zur Wissensvermittlung und zur Unterhaltung – nicht unabhängig zu denken von der Wertschätzung des Kulturgutes Buch."

Kunden, vulgo Menschen, verlangen auch vom Buchhandel Haltung – das Dröhnen der Beliebigkeit wird leiser. Aus der einst so häufigen "Verkaufshilfe" sollte wieder der Buchhändler werden, die Beratungsqualität wird zunehmen. Die Lust auf den Dialog mit dem Kunden ist ebenso gefordert wie die Neugier auf Bücher und Inhalte, Autoren und Themen. "Kundenbindung" könnte man das nennen – Passion ist schöner.

Haltung und Empathiefähigkeit, mit der ein jeder sein Geschäft betreibt, sind wichtiges Fundament der möglichen Zukunft. Ja, das hatten wir schon mal. Aber einen anderen Weg als zurück nach vorn zu alten = neuen buchhändlerischen Tugenden (freilich: mit neuen Mitteln) wird es nicht geben.

Es gibt Buchhandlungen, die das immer geblieben sind: Besondere Orte kultureller Begegnung, an denen wir Menschen treffen, die lieben, was sie tun.

Diese Buchhandlungen sind gut aufgestellt für eine Zukunft, in der Kultur und Sinnsuche, Welterfahrung und Herzensbildung eine gesellschaftliche Renaissance erleben, eine Renaissance, die, wenn wir ins Land blicken, sichtlich begonnen hat.

Diese Renaissance hat viel zu tun mit der vollzogenen Spaltung der Gesellschaft, die wir auf Jahre nicht werden beheben können: In jene 80 Prozent, die eine offene Republik wollen, die für Europa sind und die die in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Freiheiten nicht aufgeben wollen. Und in jenen Teil, den wir hier nicht weiter definieren müssen. Es liegt auf der Hand, aus welcher Gruppe die "wildesten Leser" kommen: Ohne Neugier auf die Welt und ihre ungeheure Vielfalt braucht man den Kosmos Buch nicht.

Jede Buchhandlung kann heute, einfacher und stärker noch als früher, ihre eigene "Community" bilden, ihre eigene Gemeinde, ihren Freundeskreis. Ob im Stadtteil oder als übergeordneter Knotenpunkt, auch im Internet. Doch je größer die digitale Welt wird, desto größer wird der Wunsch, dann, wenn man aus ihr hinaustritt, echte, authentische Menschen zu treffen, Gemeinsamkeiten zu suchen – sich zusammenzutun, vielleicht bedrängt von der Welt drumrum.

Der Buchhändler bleibt in der Erwartung seiner alten und neuen treuen Kunden der Entdecker,  das  oft geliebte Trüffelschwein für ihre Buchgelüste; getrieben von Lust, Neugier und Hingabe, kann er seine individuelle Empfehlungsqualitität ausprägen. Und seine Kunden werden ihm Aufmerksamkeit - und Umsatz - schenken.

Das nämlich – die Persönlichkeit des Handels, seiner Orte, seiner Mitarbeiter – ist der zentrale Vorteil des unabhängigen Sortiments gegenüber "Kette" und "Onlineritis". Ein Vorteil, der sich nun in Zahlen dokumentiert, und manchen Verlag zumindest zu einem Moment des Nachdenkens über seine Vertriebsstrategien bewegen sollte.

Zumal, das muss noch gefragt werden: Liegt für die Verlage ein Segen darin, ihre Abhängigkeiten von Filialisten weiter zu erhöhen? Lohnt sich das, wenn diese bei einigen Titeln zwar mehr Exemplare – mit erhöhten Rabatten und berstenden »Werbekostenzuschüssen« – einkaufen dafür aber  tendenziell immer mehr Bücher zu "Weglasstiteln" erklären?

Mehr zum Thema:

Kommentar von Torsten Casimir: Kleine Händler ganz groß