Rede Viola Taubes

"Diese bekloppten 99-Cent-Preise!"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Viola Taube hat am vergangenen Mittwoch nicht nur für ihren ehrenamtlichen Einsatz die Goldene Ehrennadel des Börsenvereins erhalten, sondern auch eine beachtenswerte Rede gehalten. boersenblatt.net veröffentlicht die Rede im Wortlaut.

Lieber Heinrich, lieber Vorstand, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lieber Martin,

ich bin gerührt und stolz. Die Goldene Ehrennadel für mich! Buchhändlerin aus Nordhorn! Bin ich würdig, sie zu tragen? Lesebotschafter – Buchbotschafter – oder wie es im Vorlesewettbewerb heißt: Buchakrobat? Ich bin nicht beim Zirkus, obwohl die Buchbranche auch etwas mit einem Drahtseilakt zu tun hat – und mit einem Zirkus allemal.

Ich liebe Bücher und verkaufe für mein Leben gern, weil ich Menschen mag und besonders die Menschen, die lesen und – Bücher kaufen. Das sind wahrscheinlich die besten Vorraussetzungen, um mit Leidenschaft sich für das Buch und natürlich für die Branche einzusetzen. Und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben ja auch mit Büchern zu tun und − mit den Inhalten in den Büchern.

Es gibt ja, ehrlich gesagt, auch nichts Besseres: unkonventionelle Gedanken, gedruckt in einem Buch, dass jedermann kaufen kann, immer zu ein und demselben Preis, leider an zu vielen Verkaufsstellen – ich finde Bücher, haben nichts beim Discounter zu suchen oder gar in einer Tankstelle (ein Buch ist etwas Wertvolles und etwas Schmückendes – zumindest für Lesende, aber auch für die Wohnungen der lesenden Menschen). Hier in meinen vier Wänden kann ich es immer wieder zur Hand nehmen, darin rumblättern, mich wieder daran erfreuen und der Glanzpunkt ist ein Gast, der in meinem Bücherregal dieses eine Buch entdeckt, das er kennt und wir darüber reden können. Sehr kommunikativ − und Leute, die nicht lesen, betreten auch selten meine Wohnung. Man fühlt sich wohl, man ist unter Seinesgleichen – Leser und Büchermacher sind halt eine Familie (das wäre doch ein schönes Drehbuch für einen Werbespot?!).

Um mir diesen Traum zu erfüllen, bin ich Buchhändlerin geworden. Ich habe es mir immer so gewünscht und viele meiner Kunden auch. Ein Luftschloss, diese Darstellung? Aber, verehrte Kollegen und Kolleginnen: Aus Luftschlössern entstehen die Paläste der Erde – das sagte schon Mulford.

Dass es immer schwieriger wird, diese Büchernarren unter den Menschen ausfindig zu machen, liegt zum Einen an uns selbst und natürlich auch an der Veränderung der Gesellschaft. Obwohl das immer nach einer Ausrede klingt – schließlich sind wir auch Gesellschaft und ich will die Schuld nicht ins Nirwana abschieben.

Waren Sie früher mal Klassensprecher? Klassensprecher mussten in meiner Schulzeit nicht nur immer die Tafel nach Unterrichtsende abwischen, nein, der Klassensprecher musste auch die Schullektüren als Sammelbestellung in der Buchhandlung aufgeben und von den Schulkameraden das Geld einsammeln. Heute darf der Lehrer keinem Schüler mehr damit beauftragen und auch der Lehrer darf es nicht mehr selbst organisieren, um kein Geschäft zu übervorteilen. Verrückt, diese Anweisung! Aber verrückt ist unsere Welt – auch im Buchhandel. Ich frage mich, wer auf die bekloppte Idee der 99-Cent-Preise gekommen ist? Halten Sie die Leser für so doof, dass sie das nicht durchschauen? Lesen macht schlau! Hat sich das nicht rumgesprochen? Soll wirklich einem Leser suggeriert werden, dass ein Buch für 9,99 Euro keine 10 Euro kostet?

Lesen bildet und kein Leser will sich für dumm verkaufen lassen! Meine Kunden nicht! Und hat jemand auch an die Buchhändler gedacht, die beim Kassenabschluss jetzt auch Cents und 2 Centstücke fürs Finanzamt zählen müssen – was könnte man in der Zeit alles tun?

Und wo ich schon bei der kleinen Schelte bin: Warum erscheinen die Vorschauen so schnell hintereinander? Da sollen wir Buchhändler mehr Backlist verkaufen, wo wir schon zuwenig Zeit haben, unseren Kunden die Neuerscheinungen zu offerieren – weil wir dann schon die nächste Saison an Literatur ankündigen sollen. Ich hab noch nicht raus, wie das geht und bin immerhin schon 40 Jahre dabei. Mein Vorschlag an die Verlage ist: machen Sie weniger Bücher, aber dafür teurere! Das Buch hat einen Wert, mein Service der individuellen Beratung auch und ich will weder mich, noch das gedruckte Wort unter Wert verkaufen!

Nun will ich Sie aber nicht beschimpfen. Ich bin Buchhändlerin mit Leib und Seele und deswegen werde ich häufig zu Vorträgen eingeladen. Da sind verschiedene Lion Clubs, oder Rotarier, die Wirtschaftsvereinigung, die Landfrauen und viele andere Institutionen, die wissen wollen, wie der Buchmarkt funktioniert. Ich referiere über den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (dank Martin Schult mit einer super Power-Point-Präsentation), ich bin in Lesekreisen und stelle den Deutschen Buchpreis vor oder bin auch in Kindergärten und vermittle den Eltern, wie das Kind zum Lesen kommt. Wir laden in die Buchhandlung Verleger oder Verlagsmitarbeiter ein, die meinen Kunden die Geschichte ihres Verlages erzählen. Antje Kunstmann war schon da, Verlag Beck hat sich präsentiert, Diogenes haben wir unsere ganze Schaufensterfront zur Verfügung gestellt und mit Rowohlt haben wir ein riesiges Fest mit 750 begeisterten Kunden gefeiert. Wir sind auch schon mit Kunden zu Libri und KV gefahren. Wie dankbar und treu Kunden werden, wenn sie die Hintergründe des Buchmarktes erfahren dürfen, können Sie sich vielleicht vorstellen. Buch und Buchmarkt wird Heimat – dort fühlt man sich wohl!

Ich bin Botschafter des Buches – kein Arzt- oder Friseurtermin ohne Buch. Und wo immer ich ein Buch zu Ende gelesen habe, lasse ich es liegen, schreibe dem Finder: 'Viel Spaß beim Lesen' ins Buch und meine Mailanschrift. Viele Leser und neue Kunden habe ich dadurch gewonnen – es ist zur Nachahmung empfohlen!

Natürlich nutzen wir in der Buchhandlung auch die Angebote des Börsenvereins und der Verlage: Lesetüte, Vorlesewettbewerb, Vorsicht Buch, die Sticker Kinderbuchhelden, wir machen mit bei der Verlosung der Longlist-Autoren des Deutschen Buchpreises, wir übertragen übers Internet die Verleihung im Römer. Auch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bewerben wir und weisen unsere Kunden auf die Übertragung im Fernsehen hin (jedem Buchkäufer wird ein Lesezeichen mit den Übertragungsterminen ins gekaufte Buch gesteckt – es wäre doch ein Ding, wenn wir die Einschaltquoten nicht erhöhen könnten!).

Zu meinem Buchhändlerglück fehlt jetzt nur noch der Deutsche Sachbuchpreis. Ich hoffe, dass der Börsenverein einen Sponsor finden wird (Sie kennen nicht zufällig jemanden?). Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben!

Lobbyarbeit ist dafür wichtig. Durch meine Arbeit im Vorstand des Börsenvereins habe ich es bei vielen Gesprächen mit Politikern festgestellt: reden, reden, reden!

Da rede ich mit einem Politikerehepaar auf dem Weg von der Paulskirche zum Frankfurter Hof über Krimis. "Leider", sagt die Politikerfrau, "liest mein Mann zur Zeit nur den Mankell und den mag ich überhaupt nicht!" Sofort als gelernte Buchhändlerin empfehle ich ihr eine Alternative, erzähle etwas von den Inhalt und sie ist völlig begeistert und sagt zu ihrem Mann: "Schreib den Titel gleich auf, dann können wir den gleich bei Amazon bestellen!" Abrupt bleibe ich stehen und sage völlig entsetzt: "Das ist nicht ihr Ernst. Ich empfehle Ihnen ein Buch und sie wollen es beim Konzern bestellen, der in Deutschland nicht mal Steuern zahlt!"

Sie haben es nicht bei Amazon bestellt, sondern auf meinem Onlineshop – es war auch ein guter Gesprächseinstieg, um wieder mal über das Funktionieren des Buchmarktes zu sprechen – ohne Buchmarkt auch kein Friedenspreis! Ohne den Buchmarkt keine Kultur! "Lesen ist alles und ohne Lesen alles nichts", das sagt Viola Taube, das ist jetzt die mit der Goldenen Ehrennadel!"