Rudolf Frankl zieht im Interview Bilanz

"Fleischgewordene Dreispartigkeit"

22. Dezember 2016
von Börsenblatt
Fünf Jahrzehnte hat Rudolf Frankl in der Buchbranche gearbeitet, gut die Hälfte dieser Zeit bei dtv. Jetzt geht der Vertriebsprofi in den Ruhestand – und beginnt ein neues Abenteuer.

26 Jahre in derselben Firma, gar 50 Jahre in derselben Branche: Wie haben Sie Ihr letztes Jahr bei dtv erlebt?Ich hatte mir immer ein behutsames Herunterfahren der Arbeitsleistung vorgestellt. Aber daraus wurde nichts. Anke Hardt und Theresa Schenkel, die meine Nachfolge antreten, kommen erst nach meinem Ausscheiden zu dtv. Daher war ich bis zuletzt auch ins Tagesgeschäft mit eingebunden. Aber vermutlich bin ich für ein gedrosseltes Arbeitspensum auch gar nicht geeignet.


Die Regel ist ein so langjähriges Bleiben bei einem Arbeitgeber nicht mehr ...Die Frage, ob dtv und ich zusammen­passen, hat sich für mich nie gestellt. Aber natürlich gab es in diesen 26 Jahren erfreuliche und weniger erfreuliche Zeiten, es gab auch Versuchungen zum Wechsel. Wie man sieht, habe ich mich in den wenigen Fällen des Abwägens immer für das Bleiben entschieden.


Sind Sie immer schon der Dauertyp gewesen – oder erst einer geworden?Ich bin einer geworden, eindeutig. Das ist wie mit Beziehungen: Irgendwann hat man das Gefühl, angekommen zu sein, und im Idealfall hält das Gefühl auch an.


Schönes Bild! Solche Langzeitveran­staltungen bringen ja typische Aufgaben mit sich: zum Beispiel Neugier zu bewahren. Ist Ihnen das leichtgefallen?Die Lust an der Veränderung ist bei mir durchaus ausgeprägt. Sie ist auch nötig, denn der Markt verändert sich und erfordert Antworten. Alle reden im Augenblick von Disruption, aber wenn ich auf die fünf Jahrzehnte schaue, die ich in der Branche bin, dann gab es in dieser Zeit mehrere, ebenfalls technologisch bedingte Veränderungsschübe. Nur: Post festum relativiert sich die Wahrnehmung. Die größte Angst ist immer vorher da, in der Veränderung selbst merkt man sie kaum, weil alle auf die Ziele konzentriert sind. Erst sehr viel später wird deutlich, welchen Berg man erklommen hat.

Wie heißt der nächste hohe Berg, den die Branche besteigen wird?
Neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen werden die neuen Titelinformations- und Bezugssysteme, die gerade entstehen, das Verhältnis zwischen Buchhandel und Verlag deutlich verändern. Zuallererst ändert sich die Arbeit der Vertreter. VLB-TIX, wenn es denn mal ausgereift sein wird, stärkt die Autarkie des Händlers. Nach einer Gewöhnungsphase für den Handel wird der Vertreter beim Bestellvorgang selbst eine nachgeordnete Rolle spielen. Das Zusammenwirken von Handel und Verlag entwickelt sich zu einer neuen, individuelleren Dimension mit völlig neuen Aufgabenfeldern für die Vertreter. Der Auftritt des einzelnen Verlags, der Kontext seiner Programmidee und Themensetzung läuft – auf den ersten Blick – Gefahr, an Bedeutung zu verlieren.

Behalten wir die Vielfalt von Kanälen, über die auf Verlagsangebote hingewiesen wird? Ja. Denn es geht um Aufmerksamkeitsgewinnung. Deshalb werden die Verlage auch künftig versuchen, ihre verkaufsunterstützenden Informationen auf vielen, auch neuen Wegen zu platzieren. Die personalisierte Form der Kommunikation über die Vertreter wird wichtig bleiben, nur eben in einem veränderten Umfeld. Und wie beim Buch auch, wird die Bedeutung von Print-Informationen in den kommenden Jahren nicht zurückgehen, vielleicht sogar im Gegenteil. Bücher sind emotionale Produkte, also müssen sie auch emotionalisieren. Digitale Titelinformationssysteme haben da ihre Grenzen.

Noch etwas, das sich verändert, ist die Art, wie Profis der Branche sich ver­netzen. Sie gehörten zum legendären 6er-Club. Den gibt es nicht mehr.Die Grundlage des 6er-Clubs mit Felicitas Feilhauer, Georg Rieppel, Reinhold Joppich, Veit Heinichen, Stefan Fritsch, Ralf Alkenbrecher und mir war ja die persönliche Beziehung der Beteiligten. Da haben sich Freunde über die Branche ausgetauscht. Das galt, je länger dieser Club bestand, umso stärker.


Spielt Freundschaft unter den Netz­werkern von heute keine Rolle mehr?Als die Kollegen meiner Generation sich zusammengetan haben, wäre keinem das Wort Netzwerk eingefallen. Man hat jemanden geschätzt, zum Beispiel, weil er oder sie einen klaren Blick auf die Dinge hatte und nicht wolkig herumschwurbelte. Sympathie entstand, weil man im anderen eine Perspektive entdeckte, die man selbst zumindest anregend gefunden hat. Heute sind Netzwerke nach meiner Wahrnehmung viel stärker einem Nutzen unterworfen. Um etwas Altruistisches wie Freundschaften geht es in den Netzwerken von heute nicht.


Nun sind Freundschaften keine profes­sionelle Kategorie, sondern eine private.Das stimmt. Wer sich über Freundschaft vernetzt, geht vielleicht das Risiko ein, sich zu wenig Informationen und Sichtweisen von Kollegen einzuholen, die einem nicht sympathisch sind. Beim Netzwerk spielt Sympathie eine nachgeordnete Rolle.


Warum sind freundschaftliche ­Netzwerke heute weniger verbreitet?Meine Generation war vom Glück geprägt. Wir sind vergleichsweise früh in die Positionen gekommen und füllen diese sehr lange aus. Das schafft Stabilität in der Lebensplanung. Die Generation heute ist viel stärker involviert in die Planung der eigenen Karriere. Man bleibt unstet, solange man nicht an einem Punkt angelangt ist, von dem sich sagen lässt: Das ist meins. Ich glaube, dass die Fähigkeit, aus einer gewissen Ruhe heraus genauer hinzuschauen, mit wem ich arbeiten möchte, sich heute nicht mehr so gut entwickeln kann.


Ein anderes Merkmal Ihrer Generation sind Typen, Marken, Originale. Auch die, so scheint's, werden seltener.Wohl wahr. Das könnte mit dem zu tun haben, worüber wir eben sprachen: So­lange ich auf der Suche bin, ist die Neigung zur Anpassung größer. Heute werden unkonventionelle Menschen mit einem eigenen Kopf deklaratorisch zwar hoch geschätzt, aber operativ sind sie nicht immer erste Wahl. Es könnte ja anstrengend sein. Rhetorisch feiern wir die Biografien mit Brüchen, aber wenn ich schaue, wer den interessanten Job kriegt, dann sind es doch häufiger die glatten Biografien. Da würde ich mir auch in unserer Branche mehr Mut wünschen.


Immer mal haben Sie sich mit sanfter Ironie über das Verhältnis von Verlegern und Lektoren auf der einen und Marketing- und Vertriebsleuten auf der anderen Seite geäußert: heute eher ein Gegen- oder eher ein Miteinander?Ironie ist für mich ein Mittel, nicht nur über andere, sondern auch über sich selbst zu lachen. In dem Augenblick, wo ich nicht mehr zulassen kann, dass es Sichtweisen gibt, die über den Horizont meines Schreibtischs hinausgehen, gibt es nur den eskalatorischen Weg. Gerade in schwierigen Marktsituationen wächst der Reflex, die Schuldfrage nach alten Mustern dingfest zu machen: Lektorat versus Vertrieb und umgekehrt. Aber erstens ist das unsinnig, weil nicht zielführend. Zweitens ist es auch nicht wahr. Der Vertrieb kann noch so gut sein – wenn das Lektorat nicht die Spürnase hat für die wichtigen Bücher, wird der Vertrieb nichts bewegen. Umgekehrt werden gute Bücher, die keine professionelle vertriebliche Begleitung haben, auch nicht funktionieren. Erfolgreich sind immer die Bücher, die im Verlag von der Poststelle bis zum Verleger Begeisterung auslösen.


Früher war mehr Gefälle?Definitiv. Viele Verlage, die literarischen zumal, waren rein inhaltsgetriebene Unternehmen. Die sogenannten Markt­abteilungen dienten als Hilfstruppen, um den Genius zu verbreiten. Verleger der früheren Generation – Siegfried Unseld etwa oder für unser Haus Heinz Friedrich – hatten eine klare Haltung: Das beste Marketing, das man machen kann, sind die Bücher. Das ist ja nicht falsch. Aber ich bezweifle, dass es heute noch reicht. Heute müssen wir alle Register ziehen, um die vielfach abgelenkten und auch nicht immer geneigten Leser zu solchen zu machen.


Sehen Sie umgekehrt die Gefahr, dass heute Lektorate den Vorgaben aus den Marktabteilungen hinterherproduzieren müssen?Bei literarischen Texten sehe ich dieses Risiko nicht. Dort steht der Autor im Mittelpunkt, und ein Verlag kann nur entscheiden, ob er eine Plattform bieten will – oder nicht. Marktgerechte Schreib­anforderungen sind in diesem Bereich weder gewollt noch machbar. Im Bereich der Genre-Literatur, wo wir zunehmend mehr über Leseverhalten, optimale Um­fänge, Covervorlieben und inhaltliche Wünsche wissen, wäre es natürlich fahr­lässig, all dieses Wissen zu negieren. Andererseits, wenn wir immer nur das machen, was aus Erfahrung erfolgreich war, würde nichts Neues entstehen. Verlage brauchen aber ständig neue Autoren mit neuen Ideen. Wir müssen deshalb beides tun.


Nach exakt 50 Jahren Arbeit in dieser Branche – in allen drei Sparten übrigens …… stimmt, ich bin sozusagen die fleisch­gewordene Dreispartigkeit!


Nach fünf Jahrzehnten also gehen Sie nun in Rente. Was macht man so als fleischgewordene Dreispartigkeit ab Januar 2017?
Im Grunde kann ich Ihnen die Frage nicht seriös beantworten. Ich habe mir vorgenommen, die nächsten zwei, drei Monate überhaupt nichts zu tun, um den Kopf freizukriegen. Gefühlt wäre mein Wunsch, zu schauen, was denn in mir sonst noch an Dingen schlummert, an Interessen, an Talenten, von denen ich vielleicht noch gar nicht weiß. Andererseits weiß ich natürlich um die Vielfalt interessanter Themenfelder, die vielleicht darauf warten, auch von mir entdeckt zu werden. Auf dieses Abenteuer würde ich mich gern einlassen.