Sammelband mit Texten von Deniz Yücel erschienen

Korrespondent hinter Gittern

8. Februar 2018
von Holger Heimann
Seit dem 14. Februar 2017 ist der Journalist Deniz Yücel in der Türkei inhaftiert. Mit seinen Artikeln für die "Welt" soll er "Terrorpropaganda" betrieben haben. An dem Tag, da sich seine Verhaftung jährt, erscheint nun ein Buch mit Texten des Reporters.

"Wir sind ja nicht zum Spaß hier" (Edition Nautilus) versammelt nicht allein Beobachtungen aus der Haft. Es ist eine Art Best-of der journalistischen Arbeiten Deniz Yücels, der 1973 als Sohn türkischer Einwanderer in der Nähe von Frankfurt am Main geboren wurde. Es gibt einen Text, der Auskunft gibt, warum der Autor die DKP wählt. Yücel erklärt, was es für ihn heißt, Journalist zu sein, und er ist bei einer Pegida-Demonstration in Dresden. Doch Schwerpunkt seines Schreibens ist spätestens ab Mai 2015 die Türkei, über die er seither als Korrespondent der "Welt" berichtet. Yücel interviewt Oppositionelle, berichtet vom Elend der Flüchtlinge, von immer neuen Bombenattentaten und von den blutigen Kämpfen in Ostanatolien zwischen der türkischen Armee und kurdischen Truppen.

Schritt für Schritt zeichnet er Erdogans Weg zum Diktator nach. Und er schaut auf die Widersacher des türkischen Präsidenten. Die Gülen-Bewegung und die kurdische PKK haben keinen Bonus bei Yücel, nur weil sie Gegner Erdogans sind. Diesem Reporter geht es stets um Genauigkeit und um Differenzierung. Er attackiert die Strategie der PKK, die Kämpfe in Wohngebiete zu verlagern, um mit zivilen Opfern Politik zu machen. Und er schreibt, es könne als erwiesen betrachtet werden, dass die Gülen-Organisation maßgeblich für den Putschversuch verantwortlich war, aber deswegen sei nicht jeder Gülen-Anhänger ein Putschist. In der Summe spiegeln seine Beiträge aus der Türkei von 2013 bis heute die große Tragik eines Landes. Von der Aufbruchsstimmung, die mit den Gezi-Protesten verbunden war, ist nichts geblieben. Erdogan hat vielmehr den nach dem Putsch verhängten und immer wieder verlängerten Ausnahmezustand zum Kern seiner Politik gemacht.

Yücels Reportagen und Interviews markieren entscheidende Wegmarken in diesem Prozess. Neue Erkenntnisse können die naturgemäß zeitverhafteten Beiträge indes kaum bieten. Gespannt ist man deshalb vor allem auf die Berichte aus der Haft, mit denen der Band schließt. Vier solcher Texte hat Deniz Yücel geschrieben, drei waren bereits in der "Welt" abgedruckt. In einem Haftprotokoll, das er während der ersten Tage hinter Gittern verfasste, hat der Gefängnisinsasse seinen Alltag sehr präzise festgehalten. Zellenausstattung, Kälte, Handschellen heißen die Stichworte dazu. "Post" ist vielleicht der wichtigste Begriff in der Aufzählung. Deniz Yücel begreift sehr früh, dass der regelmäßige Kontakt über seine Anwälte zur Außenwelt für ihn existenzielle Bedeutung hat, weil jeder Brief verbunden ist mit dem Wissen, nicht vergessen zu sein.

Immer wieder schlüpft der Häftling in die Rolle des Journalisten. Beobachten und aufschreiben – das betrachtet er als seine Aufgabe. Wie ihm das unter widrigen Bedingungen gelingt, zeigen seine Texte auf beeindruckende Weise. Yücel liefert nicht nur die Erzählung seiner Haft. Es geht ihm auch weiterhin darum, Korrespondent zu sein. Und das heißt nichts anderes, als zu recherchieren und zu analysieren, was im Land geschieht – auch aus dem Gefängnis heraus.

An einer Stelle zitiert Deniz Yücel den großen türkischen Dichter Nazim Hikmet, der um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts wegen seiner politischen Überzeugungen immer wieder inhaftiert war. "Es geht nicht darum, gefangen zu sein/ Sondern darum, sich nicht zu ergeben", hat Hikmet in einem seiner Gedichte, die er in Gefangenschaft schrieb, formuliert. Das ist auch Yücels Grundüberzeugung, nach ihr lebt er seit fast einem Jahr im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul. In seinen Berichten aus der Haft findet diese mutige Haltung in jedem Satz Ausdruck. 

Bibliografie

Deniz Yücel: "Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte". Herausgegeben von Doris Akrap. Nautilus Verlag, 218 Seiten, 16 Euro.