Schweiz: Marianne Sax über ihren Abschied als SBVV-Präsidentin

"Ich werde mich heimlich bedauern. Aber nur für eine Viertelstunde"

30. Mai 2016
von Börsenblatt
Sie hat ihre Kollegen in der Schweiz durch stürmische Zeiten navigiert: Marianne Sax, Präsidentin des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands (SBVV), gibt ihr Amt nach acht Jahren ab. Zeit für einen Blick zurück. Und für einen Rat an ihren Nachfolger.

Ihre Zeit als Präsidentin des SBVV geht heute zu Ende. Ein Abschied, der weh tut?

Sax: Es ist ja so: Die Amtszeit als Präsidentin des SBVV ist auf acht Jahre beschränkt, das ist von vornherein klar. Und ich finde eine derartige Beschränkung auch gut, denn man sollte nicht an dem Sessel kleben, auf dem man sitzt. Aber es tut natürlich auch weh, zu gehen. Man lässt vieles zurück: ein tolles Team, eine spannende Aufgabe, viele tolle Reisen und Begegnungen. Ich kann schon nachfühlen, wie es all den Politikern geht, die sich verzweifelt an ein hohes Amt klammern – aber die Peinlichkeit solcher Leute geht mir auf die Nerven und deshalb werde ich beim Rücktritt keine Miene verziehen, sondern mich danach heimlich etwas bedauern. Aber nur für eine Viertelstunde. Ich habe tolle Projekte vor mir – und meine Arbeit als Buchhändlerin ja sowieso.

Gibt es etwas, das Sie Ihrem Nachfolger Thomas Kramer als künftigem Präsidenten des SBVV mit auf den Weg geben wollen?

Sax: Nur, dass er stolz sein kann und soll auf unsere großartige Branche - und laut sagen sollte, mit was für einem wertvollen Geschenk und tollen Produkt wir handeln. Das Spargelkochbuch für 9.90 wird es immer geben, das ist natürlich auch wichtig. Ich bin aber überzeugt, dass die Zukunft des kleinen und mittleren Buchhandels im "wertvollen Buch" liegt, wie Dörlemann und Matthes & Seitz, Diogenes oder Galiani es anbieten. Solche Verlage scheuen keine Anstrengung, das richtige Papier, das passende Leinen für den Umschlag zu finden und scheuen sich nicht, dafür dann auch einen höheren Preis zu verlangen. Im Buch als wertvollem Objekt liegt die Zukunft.

Die vergangenen acht Jahre waren auch für die Schweizer Buch- und Verlagsbranche aufregend. Was waren für Sie persönlich Meilensteine?

Sax: Zunächst einmal die Abstimmung über die Buchpreisbindung und der lange Weg durch das Parlament dorthin, der mit viel Lobbyarbeit und Engagement direkt im Bundeshaus in Bern verbunden war. Wir als Verband haben lange gekämpft, immer neu geworben und diskutiert – und letztlich verloren. Aber unsere Arbeit hat sich trotzdem gelohnt, unsere Kampagne "Ja zum Buch" hat die Schweizer Buchbranche zusammengeschweißt und viele Kunden auf uns, auf die Problematik des schwindenden Buchhandelsnetzes und der darbenden Innenstädte aufmerksam gemacht.

Haben sich Ihre Befürchtungen hinsichtlich der Abschaffung der Buchpreisbindung bewahrheitet?

Sax: Der Buchmarkt ist damals nicht zusammengebrochen und hält sich noch immer einigermaßen aufrecht. Die Befürchtung, Billiganbieter würden massenhaft Bücher absetzen, wie Tesco das in England tut, hat sich nicht bewahrheitet; wohl weil die Margen auch für Aldi und Denner zu tief wären. Die Umsätze der Versandbuchhändler haben allerdings schon zugelegt, wie auch in Deutschland und Frankreich.

Ehrlich gesagt ist die Abschaffung der Buchpreisbindung durch ein anderes großes Problem mittlerweile fast zur Nebensache geworden. Seit Anfang des Jahres ist es der Wechselkurs zwischen Euro und Franken, der den Verlagen und Buchhandlungen gehörig zu schaffen macht. Die Produktion für die Verlage in der Schweiz ist teuer und aufwendig und viele Kunden gehen nicht in die Buchhandlung vor Ort, sondern bestellen bei Amazon oder kaufen im Ausland, wo die Bücher etwas billiger und viele andere Produkte viel billiger sind.

Kann die Buchbranche gegensteuern?

Wir haben nach der Aufhebung des fixen Frankenkurses die Preise gesenkt und das wirkt sich eins zu eins auf die Umsätze aus. Obwohl wir also der Forderung der Konsumenten nach tieferen Preisen recht schnell nachkamen, leiden wir unter dem Einkaufstourismus – weil andere Branchen nicht nachgezogen haben und Leute, die ihre Kosmetika in Weil am Rhein kaufen, auch gleich die Bücher dort erwerben. Das ist im Alltag sichtbar: Wenn ich in den Zug aus Konstanz steige, dann sehe ich viele Schweizer mit Einkaufstüten, die aus Deutschland kommen.

Auch die Bibliotheken weichen übrigens ins Ausland aus, besonders in grenznahen Regionen und davon haben wir in der Schweiz ja viele... Der Franken muss sich also abschwächen auf ein vernünftiges Niveau. Aber darauf haben wir ja leider keinen Einfluss. Wir können nur in der Öffentlichkeit dafür werben: Lasst den lokalen Handel nicht sterben - kauft in der Buchhandlung vor Ort ein!

Der SBVV hat gemeinsam mit dem Bundesamt für Kultur eine neue Verlagsförderung auf den Weg gebracht, die dieses Jahr zum ersten Mal ausgeschüttet werden soll. Ein finanzieller Puffer in dieser angespannten Lage?

Sax: Genau. Diese Verlagsförderung mit einem Gesamtbudget von 1,85 Millionen Franken jährlich ist auch so ein Meilenstein meiner Amtszeit. Die Verlage erhalten fünf Jahre lang einen Betrag, über den sie frei verfügen können. Es handelt sich also nicht um eine Projekt- sondern um eine ganz grundsätzliche Förderung. Eingegangen sind 121 Gesuche insgesamt, davon 76 aus der Deutschschweiz. Und im September gibt das Bundesamt für Kultur bekannt, welche Verlage wieviel Geld erhalten. Das Bundesamt ist verantwortlich für diese Entscheidung, das entlastet uns. Als Verband sind wir für diese Entscheidung viel zu nah dran an den Verlagen.

Kann sich denn jeder Verlag für die Förderung bewerben?

Sax: Schweizer Verlage können das tun, wenn sie professionell arbeiten und einen gewissen Umsatz machen. Die Bewerbung war schon recht aufwendig, das hat bereits die Spreu vom Weizen getrennt: Zum Beispiel muss sich die Buchhaltung der Verlage fünf Jahre zurückverfolgen lassen.

Diese Förderung kommt aber nur den Verlagen zugute, nicht den Buchhandlungen?

Sax: Der Buchhandel sollte lokaler gefördert werden, das liegt nicht beim Bundesamt für Kultur. Zum Glück hat sich auf allen politischen Ebenen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Buchförderung nicht nur Autorenförderung sein darf, sondern dass die gesamte Kette, also Autoren, Verlage und Buchhandlungen, unterstützt werden muss. Es wird zum Beispiel selbstverständlicher, dass bei uns Buchhandlungen von der öffentlichen Hand bei der Finanzierung ihrer Veranstaltungen unterstützt werden. Und das ist richtig, denn ob eine kulturell wichtige Veranstaltung im Theater oder in der Buchhandlung stattfindet, ist doch letztlich egal. Sie ist auf jeden Fall förderungswürdig.

Allerdings muss auch den Buchhändlern klar sein, dass es an ihnen ist, mit der lokalen Politik und mit den Kulturämtern zu verhandeln. Die kommen nicht von selbst: Man muss Gesuche stellen, sich erklären und Mitstreiter suchen. Auch kommen die Bibliotheken, Verwaltungen und Schulen womöglich nicht von selbst auf die Idee, im lokalen Buchhandel einzukaufen. Mit der Unterstützung der Kulturinstitutionen müssen Buchhandlungen versuchen, mit ihren Kunden ordentlich zu verhandeln und aktiv zu sein. Dazu gehört zum Beispiel auch, regelmäßig bei den örtlichen Bibliotheken vorbeizuschauen oder zu Veranstaltungen einzuladen.

Sie betreiben eine Buchhandlung in Frauenfeld bei Zürich – tun Sie das, was Sie gerade raten, denn selbst?

Sax: Na klar! Ich gehe wöchentlich bei der Bibliothek vorbei und bringe auch die Bücher oft selbst dort hin... Und gerade dieses Wochenende habe ich gemeinsam mit dem Amt für Kultur, der Bibliothek und anderen Partnern in Frauenfeld ein großes Lesefestival veranstaltet, das "Frauenfelder Bücherfest" mit tollen Autorinnen und Autoren.

Dabei habe ich gerade wieder gemerkt: Es ist möglich, als Buchhandlung ohne finanzielles Risiko mit den richtigen Partnern etwas Großes auf die Beine zu stellen. Und das kommt natürlich auch der Kasse meiner Buchhandlung zugute. Einerseits direkt durch die Büchertische, die gut laufen – andererseits durch die enorme Aufmerksamkeit der lokalen Presse. Die Buchhandlung bekommt so immer wieder gratis Werbung. Nicht zuletzt gehört ein großer Teil des Publikums ohnehin zu meinen Kunden und ist stolz darauf, dass wir hier in Frauenfeld ein so hochkarätiges Literaturprogramm haben.

In Ihre Amtszeit fiel 2014 der "Auftritt Schweiz" auf der Leipziger Buchmesse 2014. Auch ein Meilenstein?

Sax: Natürlich war der "Auftritt Schweiz" 2014 ein absoluter Höhepunkt für uns alle. Wir haben mit einem beschränkten Budget (das war verglichen mit anderen Auftritten wirklich ein Klacks) und einem großartigen Team sehr viel auf die Beine gestellt – unsere roten Parkbänke werden sogar noch immer jedes Frühjahr in Leipzig herausgeholt, gepflegt und aufgestellt. Wir wollten mit unserem Auftritt Danke sagen für die freundliche Aufnahme, die wir in Leipzig jedes Jahr genießen. Und ich glaube, das ist uns auch gelungen.

Zu den Meilensteinen gehört für mich übrigens auch noch der "Schweizer Buchpreis", den wir zusammen mit dem Verein LiteraturBasel 2008 zum ersten Mal vergeben haben und der zu einer PR-Erfolgsgeschichte geworden ist, auf die wir stolz sind.

Und wie geht es nun für Sie persönlich weiter?

Sax: Ich werde nach dem Sommer in den großen Rat einsteigen, das ist das Parlament des Kantons Thurgau, und dort Politik für die sozialdemokratische Partei machen. Das habe ich bereits vor mehr als 20 Jahren getan, es hat mir immer viel Spaß gemacht. Und ich glaube, dass es in den Parlamenten nicht genug Menschen geben kann, die sich mit Kulturarbeit und -förderung auskennen.

Auf ihrer heutigen Generalversammlung (30. Mai) entscheiden die Mitglieder des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands über die Nachfolge von Marianne Sax. Der Zentralvorstand hat als Kandidaten Thomas Kramer vorgeschlagen, den Verlagsleiter des Zürcher Architektur-, Kunst- und Fotobuch-Verlags Scheidegger & Spiess.