Sinnvoller Einsatz von Macht im Arbeitsleben

Der Anti-Machiavelli

16. März 2017
von Börsenblatt
Macht im Job erkämpft man sich nicht – sie wird einem gewährt. Entsprechend sorgsam sollten Führungskräfte damit umgehen, meint der amerikanische Psychologe Dacher Keltner.

Wenn es nach Dacher Keltner geht, ist Macht der Dreh- und Angelpunkt des Lebens. Tag für Tag üben wir Macht aus oder werden selbst zu Adressaten von Macht, ob am Arbeitsplatz oder in sozialen Beziehungen wie Partnerschaft und Familie.

Allerdings ist der Grat, auf dem sich Bemächtigte bewegen, ­schmal, schreibt der renommierte Psychologe, der im kalifornischen Berkeley lehrt: "Wenn unsere Macht und unser Einfluss zunehmen, versuchen wir, mit den besten Fähigkeiten, die unsere menschliche Natur zu bieten hat, etwas zu bewirken und in der Welt zu verändern." Auf der anderen Seite verleitet das Bewusstsein, über Macht und Privilegien zu verfügen, oft zu Machtmissbrauch – mit negativen Folgen besonders für den Machthaber. Denn wer nicht aufpasst, verliert seine Macht schnell wieder.

Keltner nennt es "Das Macht-Paradox". In seinem Buch (Campus, 204 S., 22,95 Euro) erörtert er – nach 20 Jahren Forschung – einen zeitgemäßen Machtbegriff, der mit der machiavellistischen Definition nicht mehr viel gemein hat. Demnach ist Machtausübung durch Stärke, Betrug, Unbarmherzigkeit oder strategische Gewalt in der Geschichte nie von bleibender Wirkung gewesen. Wie sonst hätte es wichtige Entwicklungen wie die Abschaffung der Sklaverei, den Sturz von Diktatoren oder die Durchsetzung von Bürgerrechten geben können, fragt der Autor. Intrigen, Manipulationen, gewaltsame Machtergreifungen passen nicht mehr in die heutige Zeit – heute rauben wir Macht nicht mehr, sie wird uns von anderen gewährt.

Zum Beispiel von den Kollegen. Daher haben Despoten auch im Büro in der Regel keine großen Zukunftsaussichten mehr. Das Ende von Hierarchien, hin zu einer Vergesellschaftung, bei der sich Individuen zu Bündnissen zusammenschließen und auf einfache Weise alle im Zaum halten, die versuchen, die Macht zu missbrauchen – das sei ein zentraler Evolutionsschritt, so Keltner. "Gruppen verleihen denen Macht, die sich dem Wohl aller annehmen."

Er definiert vier universelle Praktiken, mit denen Chefs das Gute aus ihrem Umfeld herauslocken und zum Aufbau starker Kollektive beitragen können:

  1. Mitgefühl empfinden und sich einfühlen,
  2. Dankbarkeit zeigen,
  3. sich großzügig geben und
  4. Geschichten erzählen, die Einigkeit stiften.

Wer danach handelt, zollt seinen Mitmenschen Respekt – eine Basis für starke Bindungen, die wiederum die Macht des Vorge­setzten stärken. Das Macht-Paradox lässt sich so überlisten, meint Keltner: "Indem wir unser Denken erweitern und Macht als die Fähigkeit definieren, etwas in der Welt zu verändern, insbesondere, indem wir mithilfe der Macht andere in unseren so­zialen Netzwerken aufrütteln." Er meint damit reale Netzwerke.

Wer sich dagegen machtlos fühlt, weil ein anderer Macht missbraucht, wird dem Kollektiv, in diesem Fall dem Unternehmen, schaden. Die Vertrauensbasis schwindet, das Engagement geht zurück, es treten gesundheitliche Beeinträchtigungen auf, der Krankenstand wird höher. Außerdem wird die Gruppe den Machtmissbrauch über kurz oder lang bestrafen. So wie sie das Ansehen eines Einzelnen aufbauen kann, etwa über Klatsch und Tratsch, wird sie dessen Ruf und damit dessen Macht sukzessive wieder herabsetzen.

"Unser Einfluss auf die Welt und die bleibenden Erinnerungen, die wir in ihr erreichen, sind letztlich nur so gut wie das, was andere von uns denken", schreibt Keltner. "Dauerhaft über Macht zu verfügen, ist ein Privileg, das davon abhängt, dass uns andere die Macht auf Dauer verleihen. (...) Wie wir mit diesem Macht-Paradox umgehen, bestimmt unser persönliches Leben und unser Verhalten bei der Arbeit und entscheidet letztlich, wie glücklich wir und die Menschen sind, für die wir sorgen."

Seine Theorien reichert er im Verlauf des Buchs mit zahlreichen Beispielen, Statistiken und interessanten Experimenten an (nicht immer aus der Arbeitswelt – mal geht es zum Beispiel darum, wer mit welchem Auto Vorfahrt gewährt oder für Fußgänger bremst). Das Macht-Paradox sieht er neben dem Klimawandel als die aktuell größte Bedrohung der Gesellschaft.

Angesichts bestimmter Personen, die aktuell im Weltgeschehen höchst verantwortungsvolle Arbeitsplätze bekleiden, ist das sicher nicht zu hoch gegriffen.