True Crime

Nichts ist spannender als die Wahrheit

2. Februar 2017
von Börsenblatt
Mit "Aktenzeichen XY ungelöst" wurde das Genre True Crime vor 50 Jahren in Deutschland heimisch. Warum wahre Verbrechen bis heute gefragt sind: Ein Gespräch mit Sabine Niemeier, Programmleiterin Sachbuch bei Bastei Lübbe.

Im Film und in Serien entwickelt sich das Genre True Crime ständig weiter, die Einschaltquoten bleiben hoch. Außerdem gibt es Konkurrenz am Zeitungskiosk: Sind Bücher über wahre Verbrechen da überhaupt noch gefragt?

Sabine Niemeier: Unbedingt, denn häufig bedienen erst Bücher den Wissensdurst der Leser und beleuchten Aspekte, die in der Berichterstattung häufig zu kurz kommen: psychologische Besonderheiten, familiäre Bedingungen undsoweiter. Erst dadurch können wir verstehen, was die Täter angetrieben hat. Zum Beispiel in der Büchern der Kriminalpsychologin Lydia Benecke: Sie lotet die Grenze zwischen Gut und Böse aus – dadurch entsteht Spannung, weil man Tätern und Opfern gleichermaßen nahekommt. Außerdem muss man sehen, dass sich auch Bücher verändern, sich inhaltlich weiterentwickeln. Gefragt ist alles – angefangen bei klassischen Fallgeschichtensammlungen und Berichten aus dem Ermittleralltag hin zur Erklärung abnormen menschlichen Verhaltens, psychologisch untermauert und wissenschaftlich erforscht.

Bastei Lübbe ließ sich schon recht früh vom großen Interesse an Mord- und Gerichtsfällen anstecken. Wie gehen Sie im Verlag heute mit dem Thema um?

Die Schilderung wahrer Verbrechen ist bei uns Teil des Sachbuchprogramms, wir suchen Geschichten mit starken Protagonisten. Faszinierend sind nicht unbedingt die Verbrechen, sondern die darin verwickelten Menschen und die Hintergründe der Tat.

Was ist momentan „in“ bei den Lesern: eine literarische Aufarbeitung oder ein Sachbuch voller Fakten?

Im Sachbuch kommt es natürlich auf solide Recherchen an. Leser möchten viel aus einer für sie sonst verschlossenen Welt erfahren, zum Beispiel im Bereich der Kriminalbiologie von Mark Benecke. Aber eine spannende und einfühlsame Erzählung darf keinesfalls fehlen. Wie bei anderen Krimis auch, sucht der True Crime-Leser den Nervenkitzel, da ist auch dramaturgisches Handwerk gefragt.

Was macht für Leser den Reiz am wahren Verbrechen aus?

Wahre Verbrechen berühren uns mehr als fiktionale Geschichten, wahrscheinlich, weil die Beschwichtigungsformel Nr. 1 aus unserer Kindheit  – "Keine Angst, ist ja nur ein Film…" – hier nicht funktioniert. Der Schrecken, dass dieses Schicksal wirklich jemandem widerfahren ist, lässt uns noch stärker mitfühlen und verleiht der Aufklärung eines Kriminalfalls besonderes Gewicht. Selbst wenn man bei historischen Fällen den Ausgang kennt, bleibt die Frage: Wie haben die das gemacht?