Annerose Beurich, Stories, Hamburg:
Mir gefällt Gendermarketing nicht, aber in der Buchhandlung zählt nicht mein persönlicher Geschmack, sondern das, was die Kunden wollen. "Frauenromane" habe ich vorrätig, weil sie gewünscht sind, auch wenn ich lieber anderes empfehle, aber ich bin nicht die Lesepolizei. Ebenso steht bei uns im Regal "Mädchen grillen anders" (Löwenzahn). Die Idee dahinter kann ich nachvollziehen: Es gibt bereits zahlreiche Grillbücher, in denen das Gleiche steht, und jetzt wollen Verlage dem eine neue Nuance hinzufügen.
Ich glaube allerdings, dass ein Buch wie "Mädchen grillen anders" vor allem eine nette Geschenkidee von Frauen für Frauen ist – dass es nicht um Rollenbilder geht, sondern darum, einen individuellen Punkt zu setzen: Es ist einfach mal etwas anderes, wenn man eingeladen ist und nicht "Weber‘s Grillbibel" als Geschenk für die Gastgeberin dabei hat. Beide Titel werden aber gern gekauft, deshalb habe ich beide vorrätig.
Doris Höreth, Buchhandlung Pelzner, Nürnberg:
Buchtitel nach dem Motto "Rezepte für den perfekten Mädelsabend" finde ich nicht frauenfeindlich. Wir suchen nicht gezielt nach solchen Titeln, sie stören mich aber auch nicht. Wir veranstalten selbst "Ladies Nights" oder "Freundinnen-Abende", wie sie inzwischen heißen. Unsere Kundinnen stoßen solche Zuschreibungen und Einladungen nicht ab, im Gegenteil: Es gefällt ihnen, und sie kommen gern zu diesen Abenden.
Auch bei anderen Veranstaltungen haben wir die Zielgruppen im Blick – mit großem Erfolg. Beim "Schottland-Abend" etwa gibt es Whiskey und Earl Grey, und wenn der Romanautor Bov Bjerg oder der Schauspieler und Hörbuchsprecher Robert Stadlober kommen, gibt es Bier – das sind Veranstaltungen, die mehr Männer als Frauen anziehen, und entsprechend richten wir sie aus.
Nicole Albrecht, Buchhandlung Dietsch, Düsseldorf:
Für uns und unsere Kunden ist Gendermarketing kein Thema, ob es um Cocktails für Mädels geht oder Grillideen für echte Kerle. Mütter fragen höchstens mal nach einem Männerkochbuch, wenn der Sohn auszieht. Wir suchen das Thema Gendermarketing nicht, lehnen es aber auch nicht ab, sondern schauen, ob uns ein Buch gefällt. Wenn ja, dann nehmen wir es ins Sortiment.
Katrin Rüger, Buchpalast München:
Für uns zählt, was die Kunden wollen, natürlich auch die jungen Leser. Deshalb heißt eine unserer Rubriken bei den Kinder- und Jugendbüchern sogar "Mädchen Mädchen" - eine Regalecke, auf die viele ganz bewusst zusteuern. Jungen greifen dagegen nach "ihren"Titeln, die deutlich an der Coolness und Action versprechenden Covergestaltung zu erkennen sind. Eine Ecke, die "Jungs Jungs" heißt, wollen sie aber nicht, und die gibt es dann eben auch nicht.
Glitzercover führen wir nicht, das geht mir zu weit. Eine Gestaltung in Rosa darf dagegen schon sein, auch Prinzessinnenbücher wie Isabel Abedis "Heute ist Lucy Prinzessin" kaufe ich ein: Abedi erzählt von der Spielfantasie eines Kindes, das sich mädchenhaft, aber auch als Piratin verkleidet und viele Abenteuer erlebt. Wir haben ebenso "Die Prinzessin, die Kuh und der Gartenheini" vorrätig oder den Titel "Auch Prinzessinnen müssen mal pupsen". Wenn es denn schon rosa sein muss, breche ich das wenigstens gern auf.
Phantastik- und Elfenbücher, die sehr weiblich aussehen, stehen ebenfalls im Buchpalast-Regal. "Selection" zum Beispiel: Diese Reihe mit den kitschigen Covern entlocken Leserinnen geradezu Entzückensschreie. Ich empfehle anderes, aber jede soll nach ihrer eigenen Façon schmökern. Für mich zählt zuerst, dass ich alle dazu kriege, ein Buch in die Hand zu nehmen und mit dem Lesen zu beginnen. Das Finetuning folgt danach.
In unserem Leseclub "Die Bücherfresser" mit Kindern und Jugendlichen von elf bis 20 geht es allerdings längst nicht mehr um Gender: Ihnen geht es um "queer", um Anders- und Fremdsein, gerade nicht um die gängigen Rollenbilder, zum Beispiel sprechen sie lieber über Lesben und Schwule. Zu diesen Themen gibt es tolle (Jugend-) Literatur wie "Aristoteles und Dante", "Two boys kissing" oder "Verdammt starke Liebe". Auch Titel für Jüngere greifen diese Themen auf. Sehr gern empfehle ich zum Beispiel "Das Zebra unterm Bett": über ein Mädchen, das zwei Väter hat, für Kinder ab sechs. Oder "George" von Alex Gino für Leser ab zehn: über einen Jungen, der sich als Mädchen fühlt.
Zum Hintergrund der Umfrage:
Wer die Debatte über Börsenblatt-Beitrag "Prost, Mädels!" nachlesen will, findet den Text und die entsprechenden Online-Kommentare hier. In unserer Umfrage wird das Thema von den vier befragten Buchhändlerinnen eher gelassen gesehen. Männer, die mitdiskutieren wollen, hat unsere Autorin leider nicht gefunden. Mehr zum Thema Gendermarketing lesen Sie auch in der aktuellen Printausgabe des Börsenblatts und online hier.
"Das Publikum will es so" empfinde ich als Ausrede. Wo sind die detaillierten Marktforschungsstudien des Buchhandels dazu? Ist es nicht eher so, dass das Publikum das will, weil es oft nichts anderes mehr gibt? Weil es damit bombardiert wird und Verführung die Nachfrage steuert? Gerade von BuchhändlerInnen erwarte ich im Unterschied zum restlichen Einzelhandel eine mutige Verführung zu ganz anderen Bildern von Menschen. Sonst können sie ja gleich Einhörner verkaufen, die laufen besser als Bücher ...
Hier einfach nur von Kundenwünschen zu sprechen, finde ich nicht gerechtfertigt. Man muss nicht alles anbieten, was Kunden wollen.
"Hier einfach nur von Kundenwünschen zu sprechen, finde ich nicht gerechtfertigt. Man muss nicht alles anbieten, was Kunden wollen."
Wenn es mich nicht amüsieren würde, wäre es zum Heulen.
Bei amazon zu kaufen, weil das Angebot dort so mutig und unkonventionell zusammen gestellt wird? Weil man dort noch nienienie das Pubikum beeinflusst hat? Noch nie nicht keine Kundenanalyse durchgeführt hat, noch nichtmal mit gar keiner Verführung die Kundennachfrage gesteuert hat? Bei dieser Firma, die dankenswerterweise die letzten existierenden Einhörner vor dem Aussterben bewahrt, indem es sie als Lasttiere der kapitalistischen Verwertung zuführt?
Aber ich vergesse mich, der Kunde will es ja so!